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US-Präsidentenwahl 2016: Vielen Amerikanern bleibt Trumps Sieg unheimlich

US-Präsidentenwahl 2016

Vielen Amerikanern bleibt Trumps Sieg unheimlich

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    „Nicht mein Präsident“ hat sich diese junge New Yorkerin auf ihre Stirn schreiben lassen: Tausende Amerikaner demonstrieren landesweit gegen Donald Trump.
    „Nicht mein Präsident“ hat sich diese junge New Yorkerin auf ihre Stirn schreiben lassen: Tausende Amerikaner demonstrieren landesweit gegen Donald Trump. Foto: Kena Betancur, afp

    Die pensionierte Regierungsmitarbeiterin mit schwarzer Hautfarbe sitzt vor dem Nationalmuseum für afroamerikanische Geschichte in Washington und versteht die Welt nicht mehr. „Ich kann nicht mit Ihnen sprechen“, wehrt die Frau ab, die nur ihren Vornamen Maxine nennen will. „Ich fühle mich wie nach einem Todesurteil“, verrät sie dann doch ihre Gefühle. „Ich bin tieftraurig. Es ist, als ob ich einen geliebten Menschen verloren hätte.“

    Fassungslos sind auch Tage nach der Wahl viele andere Amerikaner nach der Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten. In den vergangenen Tagen kam es quer durch die USA zu Protestkundgebungen.

    Donald Trump: "Nicht mein Präsident!"

    Viele davon standen unter dem Schlachtruf „Nicht mein Präsident!“. In Portland im Bundesstaat Oregon wurden bei einer Kundgebung mit 4000 Teilnehmern Schaufenster eingeschlagen und Mülltonnen angezündet. Die Polizei setzte Pfefferspray und Gummigeschosse ein. In Denver legten Demonstranten eine Autobahn lahm; vor den beiden Trump-Türmen in New York und Chicago versammelten sich hunderte zorniger Protestierer. In San Francisco demonstrierten Schüler mit Regenbogenfahnen und der mexikanischen Flagge gegen das künftige Staatsoberhaupt.

    In Washington wurde das neu eröffnete Trump-Hotel zum wiederholten Mal mit Graffiti beschmiert; auch andernorts kam es zu Sachbeschädigungen an Einrichtungen der Trump-Organisation und der republikanischen Partei.

    Trumps Unterstützer sorgten vereinzelt ebenfalls für Unruhe. In Oregon wurde ein Mann verhaftet, der Trumps Wahlsieg in seinem Garten mit einem Kanonenschuss gefeiert hatte. Aus San Diego und San José wurden Übergriffe auf Muslime gemeldet. Die Rassistenorganisation Ku-Klux-Klan, die seit Jahrzehnten nur im Verborgenen agiert, kündigte für Dezember einen Umzug in North Carolina an. Der

    "Wenn etwas schiefgeht, ist es diesmal allein die Schuld der Republikaner"

    Die stille Verzweiflung, in die Trumps Sieg manche gestürzt hat, ist auch abseits der Proteste zu spüren. Das Nationalmuseum für afroamerikanische Geschichte in Washington ist erst im September eröffnet worden, ausgerechnet vom ersten schwarzen Präsidenten der USA. Für viele war das ein emotionales Ereignis, ein Symbol echter Versöhnung. „Ich akzeptiere das Schicksal, das mein Land uns auferlegt hat. Aber ich habe große Angst“, sagt Saundra Charles, eine 23-jährige Fotografin aus Virginia. „Ich habe mexikanische Freunde ohne Papiere, Freunde aus der Schwulen-Community. Ich habe muslimische Freunde. Und ich bin schwarz.“ Die 23-Jährige fürchtet sich weniger vor Trump als vor den Menschen, die sein Sieg ermutigt. „Einer Freundin in New Jersey hat jemand das Kopftuch runtergerissen.“ Was Trumps frauenfeindliche Sprüche für das Weltbild von Kindern bedeuten, mag sie gar nicht weiterdenken.

    Nicht alle sind so tief getroffen. Roddy Peters, ein Schneider und Personal Trainer aus Washington, hat Hillary Clinton gewählt, sieht aber auch Vorteile im Ergebnis. „Meine Frau war geschockt, aber wenn Clinton gewonnen hätte, hätte ich mir mehr Sorgen um die öffentliche Ordnung gemacht“, sagt der schwarze 43-Jährige. „Trump ist ein Geschäftsmann, nicht alle seine Anliegen sind schlecht. Und wenn etwas schiefgeht, ist es diesmal allein die Schuld der Republikaner.“

    Peters glaubt, dass Dinge wie die Reform der Polizeiarbeit auch unter Trump weitergehen werden. Angst hat er keine: „Ich glaube, Trump hat mindestens so viel Angst wie wir. Der hat nie ernsthaft mit diesem Amt gerechnet.“

    Trump will offenbar Teile von "Obamacare" behalten

    Seit dem Tag nach Trumps Wahl, verzeichnete die als „Obamacare“ bekannt gewordene Gesundheitsversicherung mehr als 100.000 Neuanmeldungen – Rekord in diesem Jahr. Trump hatte im Wahlkampf angekündigt, sie abzuschaffen. Nun will er anscheinend zumindest Teile der von US-Präsident Barack Obama durchgesetzten Gesundheitsreform aufrechterhalten. Die Regelung, dass Versicherer Patienten nicht wegen Vorerkrankungen ablehnen können, halte er für richtig, sagte Trump dem Wall Street Journal in seinem ersten Interview seit der Präsidentschaftswahl. Aus Respekt für Obama wolle er darüber nachdenken, die Reform nicht vollends rückgängig zu machen.

    In Kalifornien freut sich eine Bürgerinitiative über Zulauf, die eine Abspaltung von den USA anstrebt. Die überwiegende Mehrheit der Menschen scheint nach der Wahl aber vor allem eins: ermattet und leicht betäubt. Trumps versöhnliche Ansprache nach dem Sieg hat bislang die wenigsten überzeugt, aber selbst unter seinen Gegnern sind die meisten der Meinung, dass der demokratische Sieger eine Chance verdient. „Ich bete zu Gott, dass er sich ändert“, sagt auch die junge Fotografin Saundra.

    Trump tut sich noch schwer mit seiner neuen Rolle. So beschwerte er sich am Donnerstagabend noch auf Twitter über die Proteste, nach einer offenen Wahl seien professionelle Demonstranten unterwegs: „Sehr unfair!“ Schnell wurde ihm vorgehalten, dass er 2008 nach der ersten Wahl Obamas selbst zu einem Protestmarsch gen Washington aufgerufen hatte, um „die Travestie“ zu stoppen: „Wir können das nicht zulassen“, twitterte er damals. Vielleicht korrigierte sich Trump deshalb am Freitagmorgen und lobhudelte über seine Gegner: „Ich liebe die Tatsache, dass die kleine Gruppe der Protestierer in der vergangenen Nacht Leidenschaft zeigt für unsere großartige Nation. Wir werden alle zusammenfinden und stolz sein!“

    Merkel und Trump telefonieren

    Europa tastet sich derweil vorsichtig an die Präsidentschaft von Donald Trump heran: Kanzlerin Angela Merkel gratulierte dem Republikaner telefonisch zur Wahl, pochte aber erneut auf eine werteorientierte Zusammenarbeit. Offen ließ sie, ob es ein persönliches Treffen in Washington oder Berlin vor dem G-20-Gipfel in Deutschland geben wird. Der Gipfel ist erst im Juli.

    Nach dem Telefonat Merkels mit Trump ließ ein Regierungssprecher die Frage offen, von wem der Gesprächswunsch ausgegangen war – genauso wie jene nach der Dauer. Auch über das, was der designierte US-Präsident in dem Telefonat am Donnerstag zu Merkel gesagt hat, äußerte er sich nicht. Merkel habe erneut betont, dass Deutschland und Amerika durch gemeinsame Werte eng verbunden seien und sie auf dieser Basis mit Trump zusammenarbeiten wolle.

    Die CDU-Vorsitzende hatte bereits nach der US-Wahl erklärt, sie wolle mit Trump weiter eng kooperieren – unter der Bedingung, dass Deutschland und Amerika auch weiterhin Werte wie Demokratie, Freiheit, Recht und Respekt vor Minderheiten achteten.

    Mehr zum Thema: Könnte ein Mann wie Trump auch in Deutschland an die Spitze gelangen?

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