Er hatte eine Runde Golf gespielt, diverse Tweets abgefeuert und wollte sich nun bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz ein bisschen selbst loben. Ein Wohlfühlsonntag im Weißen Haus. „Hunter Biden. Wo ist eigentlich Hunter?“, stimmte Donald Trump eines seiner politischen Evergreens an. Doch dann kam die Frage, die kommen musste, und der US-Präsident geriet sichtbar in Rage: „Haben Sie tatsächlich nur ein paar hundert Dollar Einkommensteuer bezahlt?“ Der Mann am Pult hatte keine wirklich gute Antwort parat. „Nein. Nein. Das sind Fake News“, wehrte der Präsident ab und begann eine kleine Wutrede gegen die Finanzbehörden, die ihn nicht gut behandelten und die New York Times, die ihre Pulitzer-Preise zurückgeben müsse. Doch seitdem diskutieren die USA darüber, wie arm oder reich Donald Trump in Wahrheit ist.
New York Times deckt niedrige Einkommenssteuerzahlungen von Trump auf
„Ich habe eine Menge bezahlt“, behauptete er selbst. „Sie können uns sagen, wie viel?“, rief ein Reporter dazwischen. „Ich habe Sie nicht drangenommen“, fuhr Trump ihn an: „Aber ich freue mich drauf, das offenzulegen.“ So geht das seit vier Jahren. Der angebliche Selfmade-Milliardär verspricht, seine Steuererklärung zu veröffentlichen, wie dies alle seine Vorgänger im Präsidentenamt getan haben. Doch dann kommt nichts. Nun hat die renommierte New York Times diese Aufgabe übernommen. Ein Rechercheteam hat sich durch Berge von Finanzunterlagen gekämpft, die dem Blatt zugespielt wurden. Sie umfassen die Steuererklärungen von Trump sowie seinen mehr als hundert Unternehmen für 2000 bis 2017 und beruhen auf seinen eigenen Angaben. Und sie lassen die Legende vom supererfolgreichen Geschäftsmann, mit der Trump seit 2016 hausieren geht, endgültig platzen.
Tatsächlich kassierte der heutige Präsident als New Yorker Immobilienmogul zwar jährlich dreistellige Millionenbeträge, er fuhr unter dem Strich aber chronische Verluste ein, die er aggressiv einsetzte, um Steuern zu sparen. Für den Fiskus blieb da nicht viel übrig. So überwies er 2016 und 2017 den Unterlagen zufolge jeweils gerade einmal 750 Dollar Einkommensteuer an das Bundesfinanzamt – das ist selbst im Niedrigsteuerland USA eine Provokation. Der Durchschnittsamerikaner musste 12.200 Dollar abdrücken.
Der amerikanische Präsident steckt in einer finanziell schwierigen Lage
Dass Trump deutlich mehr gerissener Selbstvermarkter als seriöser Unternehmer ist, kommt nicht ganz überraschend. Schon vor der Wahl 2016 konnte man in Atlantic City, nur zwei Autostunden südlich vom Trump Tower an der Fifth Avenue, die heruntergekommenen oder geschlossenen Casinos bestaunen, die einst seinen falschen Ruf begründeten. Im vergangenen Jahr enthüllte die New York Times, dass ein Großteil seines Geldes aus dem Erbe des Vaters stammt, das mit zweifelhaften Tricks am Fiskus vorbeigeschleust wurde. Trumps Nichte Mary Trump schilderte kürzlich in ihrem Buch, wie der Onkel die ganze Familie über den Tisch zog. Doch die nun bekannt gewordenen Steuerunterlagen geben erstmals einen detaillierten Einblick in Trumps unternehmerisches Wirken der vergangenen zwei Jahrzehnte.
Eine Auswahl der Wahlversprechen von Donald Trump:
In den ersten zehn Monaten sollen zehn Millionen neue Jobs geschaffen werden
Steuern sollen sinken
Bis Ende des Jahres soll ein Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt werden
Wichtige Medikamente sollen künftig in den USA hergestellt werden
Eine Million Fertigungsjobs aus China sollen zurück in die USA geholt werden
Unternehmen, die Arbeitsplätze nach China auslagern, sollen keine Aufträge der Bundesregierung mehr bekommen
China soll für die Ausbreitung des Coronavirus zur Verantwortung gezogen werden
Medikamentenpreise sollen gesenkt werden
Die Amtszeiten im Kongress - dem aus Repräsentantenhaus und Senat bestehenden US-Parlament - sollen begrenzt werden
Bürokratie soll abgebaut werden
Illegal eingereisten Migranten soll der Zugang zu Sozialleistungen verwehrt werden
Angehörige krimineller Banden sollen verpflichtend ausgewiesen werden
Auf dem Mond soll eine permanente US-Präsenz geschaffen und die erste bemannte Mission zum Mars geschickt werden
Die Infrastruktur soll zur weltbesten ausgebaut werden
Die "endlosen Kriege" der USA sollen beendet und die US-Soldaten nach Hause geholt werden
Verbündete sollen ihren "fairen Anteil" an Verteidigungsausgaben bezahlen. (dpa)
Sie enthüllen kuriose Details wie jene 70.000 Dollar, die Trump tatsächlich während seiner Zeit als Reality-TV-Star für Haarpflege und Friseurbesuche von der Steuer absetzte. Sie machen deutlich, wie er seit seinem Amtsantritt im Weißen Haus seine Hotels und Golfplätze nutzt, um Geld von Lobbyisten und ausländischen Regierungsvertretern zu kassieren. Und sie legen offen, wie angespannt die finanzielle Lage des Präsidenten offenbar ist: In den nächsten vier Jahren werden Kredite über 421 Millionen Dollar fällig, für die er persönlich gebürgt hat.
Da passt es ins Bild, dass Trumps Wohlstand maßgeblich auf einer Show beruht. Ab 2004 spielte er in der Casting-Sendung „The Apprentice“ einen strengen Top-Manager, der den Bewerbern Aufträge erteilte und am Ende entschied, ob sie einen Job bekommen. Der sarkastische Spruch „You are fired“ („Du bist gefeuert“) wurde zu seinem Markenzeichen. Der New York Times kann man entnehmen, wie sich Trumps Vermögen vor allem durch die Einnahmen aus dieser Serie aufgebaut hat. Hinzu kamen die daraus resultierenden Lizenzgebühren und Investments – alles in allem gut 600 Millionen Dollar. Er nutzte das Geld, um kräftig in Golfclubs und Hotels zu investieren, die jedoch tiefrote Zahlen schrieben.
Präsidentschaftswahlkampf: Biden nutzt Vergehen für die Kampagne
„Unter dem Strich war Trump erfolgreicher darin, im Fernsehen einen Geschäftsmann zu spielen als im wirklichen Leben einer zu sein“, urteilt die Zeitung. Ihr Chefredakteur Dean Baquet spricht von einer „bemerkenswerten Kluft“ zwischen dem Selbstbildnis des Präsidenten und der Realität.
Tatsächlich zeigen die bekanntgewordenen Zahlen nicht nur, wie Trump mit zweifelhaften Tricks sein Einkommen heruntergerechnet und seine Steuerschuld durch enorme Verluste minimiert. Vor allem hat sich seine finanzielle Lage seit 2011 drastisch verschlechtert. Die New York Times stellt die Vermutung auf, dass seine Präsidentschaftsbewerbung 2016 „zumindest in Teilen ein Schachzug (war), um die Vermarktbarkeit seines Namens wiederzubeleben“. Seine Wiederwahlkampagne könnte auch der Konkursverschleppung dienen.
Für die Demokraten ist die Geschichte ein gefundenes Fressen. Das Team von Joe Biden produzierte seine Kampagne einen Ansteck-Button mit dem Spruch „Ich habe mehr Einkommensteuer gezahlt als Donald Trump“.
Lesen Sie auch:
- Donald Trump nominiert Konservative Barrett für den Supreme Court
- Ortsbesuch bei den Trump-Fans – in Bidens Heimatstadt
- Trump wollte eine Corona-Panik vermeiden? Das ist eine Lüge
- Übertragung: TV-Duell zwischen Trump und Biden live im Fernsehen und Stream
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.