Er hatte sich zu früh gefreut. "Diese Grand Jury hat meinen Respekt gewonnen", lobte Donald Trump am Mittwoch ungewohnt freundlich die Geschworenen in New York, die seit Monaten über seine Anklage beraten. Seine Unschuld sei so eindeutig, dass die Grand Jury gerade gegen den Staatsanwalt aufbegehre und erkläre: "Halt, wir sind keine Erfüllungsgehilfen", fabulierte der Ex-Präsident.
Donald Trump in New York angeklagt: Lange sah es nicht danach aus
Ein Phantasma, genauso wie seine angebliche Verhaftung, die das selbsternannte "stabile Genie" für den Dienstag der vergangenen Woche angekündigt hatte. Ganz allein stand Trump freilich nicht mit dem Eindruck, dass das langwierige Verfahren um seine Schweigegeldzahlung an die Porno-Darstellerin Stormy Daniels nicht so recht vorankam. Angeblich wurden Sitzungen des Gerichts abgesagt. Die Osterpause drohte. Frühestens Ende April werde über eine mögliche Anklage entschieden, unkten professionelle Beobachter. Möglicherweise auch nie.
Doch am Donnerstagnachmittag um kurz nach 17 Uhr amerikanischer Zeit platzte in Manhattan die Nachrichtenbombe: Die 23 Geschworenen hatten abgestimmt. Und sie hatten beschlossen, zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte einen Ex-Präsidenten vor Gericht zu stellen. Als seine Anwälte davon erfuhren, hielt sich Trump mehr als 1000 Meilen entfernt auf seinem Anwesen Mar-a-Lago in Florida auf. Rasch griff er zum Handy. "Schläger und linksradikale Monster" hätten es gewagt, den führenden republikanischen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2024 anzuklagen, wütete er inklusive eines Tippfehlers auf seiner Propagandaplattform Truth Social: "Dies ist ein Angriff auf unser Land, wie es ihn noch nicht gegeben hat."
Anklage zeigt nur die Spitze von Trumps kriminellen Eisberg
Jahrzehntelang ist Trump trotz aller seiner windigen Geschäfte als Immobilienmogul, seiner Lügen, Drohungen und der Missachtung zahlreicher demokratischer Rechtsnormen im Präsidentenamt bis hin zur Aufwiegelung zu einem Putschversuch mit hunderten Verletzten und sieben Toten einer strafrechtlichen Verfolgung entkommen. "Ich könnte jemand auf der Fifth Avenue erschießen und würde keinen Wähler verlieren", hatte er sich im Wahlkampf 2016 gebrüstet. Nun könnte der 76-Jährige erstmals zur Verantwortung gezogen werden.
Genaues ist bislang weder über den Inhalt der Anklage noch über den Ablauf des Verfahrens bekannt. Die Anklageschrift ist unter Verschluss und wird erst geöffnet, wenn Trump vor dem Haftrichter steht. Die Staatsanwaltschaft hat Kontakt mit den Anwälten des Ex-Präsidenten aufgenommen, um die nächsten Schritte zu besprechen. Amerikanische Medien sehen Anzeichen dafür, dass sich Trump freiwillig stellen könnte. Eine spektakuläre Verhaftung durch das FBI in seiner Protz-Villa in Florida würde sich damit erübrigen.
Nach Anklage: Ex-Präsident Trump Anfang nächster Woche in New York erwartet
Bei Trump ist man nie vor erratischen Überraschungen gefeit. Doch momentan sieht es so aus, als wenn es am Dienstag in Manhattan zum Showdown kommt - in jenem New Yorker Stadtteil also, dessen faszinierende Skyline der Milliardär seit 40 Jahren von seinem Penthouse im 68. Stock des Trump Towers an der Fifth Avenue genießen kann, der umgekehrt den Präsidenten aber nie leiden mochte. Gerade mal zwölf Prozent der Wähler haben hier 2020 für ihn gestimmt. Knapp 61 Prozent votierten für Joe Biden.
Ein ehemaliger Präsident auf der Anklagebank - das hat es noch nicht gegeben. Und tatsächlich ist die Sache auch logistisch heikel. Als früheres Staatsoberhaupt steht Trump nämlich unter dem Schutz des Secret Service. Das Gericht mit eigenen Sicherheitskräften und die bewaffneten Personenschützer müssen sich also koordinieren. Daran könnte eine ursprünglich wohl schon für den heutigen Freitag geplante Vorladung gescheitert sein. Trumps Anwälte sollen mitgeteilt haben, dass sie für die Vorbereitung mehr Zeit brauchen. Nun gilt der Dienstag als wahrscheinlicher Tag für die Anklageeröffnung.
Trump würde sich dann mutmaßlich im Justizgebäude an der 100 Centre Street im Süden Manhattans einfinden. Drinnen müsste er seine Fingerabdrücke abgeben. Es würde ein Polizeifoto (der berüchtigte "Mug Shot") gemacht. Theoretisch könnten ihm dazu und zur anschließenden Befragung Handschellen angelegt werden, was aber als eher unwahrscheinlich gilt. In einem Gerichtsraum würde ihm schließlich die Anklageschrift verlesen. Da Trump kein Gewaltverbrechen zur Last gelegt wird und die Fluchtgefahr angesichts seiner Präsidentschaftskandidatur als gering gilt, dürfte er anschließend wohl nachhause fliegen. Bis zum Beginn des Verfahrens kann es Monate oder gar ein Jahr dauern.
Rufen Trump oder seine Anhänger nun zu Gewalt auf?
Lautlos wird das alles sicher nicht ablaufen. Trump hat vor ein paar Tagen indirekt von "Tod und Zerstörung" fabuliert, die bei seiner Festnahme drohten. Mit immer wilderen Posts hetzt er seither seine Anhänger auf. "Sie sind nicht hinter mir, sondern hinter Euch her", hat der Ex-Präsident in Großbuchstaben gleich in seine Biographie bei Truth Social geschrieben. Den zuständigen Manhattaner Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg, einen Afroamerikaner, hat er als "Rassisten" und "Tier" bepöbelt. Rasch solidarisierten sich fast alle führenden Republikaner mit ihrem De-facto-Anführer. Unisono attackierten auch Trumps innerparteiliche Gegenspieler Ron DeSantis und Nikki Haley den Staatsanwalt, dem sie eine politisch motivierte Kampagne unterstellen. "Mit dem Versuch der Einmischung in unsere Präsidentschaftswahlen hat Alvin Bragg unser Land irreparabel beschädigt", wetterte Kevin McCarthy, der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses: "Das amerikanische Volk wird diese Ungerechtigkeit nicht tolerieren."
Während McCarthy dem Staatsanwalt das Leben mit Untersuchungsausschüssen und Vorladungen in den Kongress erschweren will, könnten gewaltbereite Trump-Anhänger zu anderen Mittel greifen. Die derzeitige Rhetorik des Ex-Präsidenten erinnert gefährlich an seine Tweets vom Jahreswechsel 2020/21, als er nach der verlorenen Wahl den Mob zum Sturm auf das Kapitol aufhetzte. Die Polizei in New York hat deshalb ihre Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Seit Freitag sind alle 36.000 Beamten der Millionenmetropole in Einsatzbereitschaft.
Trump-Anwalt zahlte angeblich auf Anweisung Schweigegeld
Auch wenn die genauen Anklagepunkte - der Sender CNN will erfahren haben, dass es sich um 34 handelt - noch unbekannt sind, dürfte sich das New Yorker Verfahren um die Weiterungen einer mutmaßlichen Affäre des damals frischverheirateten Trump im Sommer 2006 mit der Porno-Darstellerin Stormy Daniels drehen. Im Wahlkampf 2016 zahlte der damalige Trump-Anwalt Michael Cohen angeblich auf Weisung seines Bosses ein Schweigegeld von 130.000 Dollar an Daniels, um peinliche Enthüllungen zu vermeiden. Zuvor schon hatte Cohen dafür gesorgt, dass das Schundblatt National Enquirer, das an amerikanischen Supermarktkassen verkauft wird, für 150.000 Dollar die Story über eine Trump-Affäre mit dem Ex-Playboy-Modell Karen McDougal aufkaufte - nicht etwa, um sie zu drucken, sondern um ihre Veröffentlichung zu verhindern.
Trump überwies Cohen insgesamt 420.000 Dollar, in denen mutmaßlich die Erstattung für die Schweigegeldzahlungen enthalten waren. Er ließ die Summe aber als Anwaltskosten verbuchen. Damit hätte er gegen Buchungsvorschriften verstoßen. Deutlich schwerwiegender wäre es, wenn die Staatsanwaltschaft nachweisen könnte, dass er mit der Fehlbuchung bewusst einen strafbaren Verstoß gegen das Gesetz zur Kampagnenfinanzierung vertuschen wollte. Theoretisch würden Trump dann bis zu vier Jahre Haft drohen. Doch amerikanische Rechts-Experten halten ein solch hohes Strafmaß bei einem juristischen Ersttäter für unwahrscheinlich. An einer erneuten Kandidatur für das Weiße Haus würde eine Verurteilung Trump nicht hindern. Der Rechtspopulist setzt das Verfahren im Gegenteil bewusst als Wahlkampfargument ein. Gleich am Donnerstag startete er eine Spendensammelaktion zu eigenen Gunsten.
Das Ausmaß der Anklage ist noch unbekannt
Doch noch ist die Anklage unbekannt. Nicht auszuschließen ist, dass Staatsanwalt Bragg Belege für weitere Straftaten gefunden hat. "Viele Leute werden überrascht sein von dem Ausmaß und der Schwere der Beweise", sagte Lanny Davis, der Anwalt von Trumps ehemaligem Ausputzer Cohen, dem Sender CNN. Cohen hatte nach Verbüßung seiner eigenen Haftstrafe als einer der wichtigsten Zeugen mit Staatsanwalt Bragg zusammengearbeitet. Die Äußerungen von Davis sind daher an die Adresse von Kritikern gerichtet, die den New Yorker Fall für den schwächsten Hebel halten, um Trump strafrechtlich zu belangen.
Tatsächlich bereitet der Sonderermittler des Justizministeriums, Jack Smith, eine mögliche Anklage des Ex-Präsidenten wegen dessen mutmaßlich schwerwiegenderer Rolle beim Kapitolputsch und der Entwendung von geheimen Regierungsdokumenten vor. Eine Staatsanwältin in Georgia sammelt Beweise für Trumps Versuch, das Wahlergebnis in dem Bundesstaat durch massiven Druck auf republikanische Wahlaufseher zu manipulieren. Doch beide Ermittlungen sind offenbar noch nicht so weit fortgeschritten, dass dort Anklage erhoben werden kann. So richten sich alle Augen zunächst auf jene Stadt, in der Trump seine Karriere als Spekulant und Baulöwe begann: New York.