Richter Robert Reed hatte am gestrigen Mittwoch das vielleicht letzte, entscheidende Wort in einer politischen Saga, die Großbritannien seit Monaten beschäftigt. Um kurz nach zehn Uhr verkündete er im Zentrum Londons ein Urteil, das die Asylpolitik auf der Insel prägen wird. Der Oberste Gerichtshof bestätigte, dass Ruanda kein sicheres Land für Geflüchtete sei. Damit werden auch in absehbarer Zukunft keine illegal eingereisten Migranten von London nach Kigali ausgeflogen werden.
Joelle Grogan, Expertin im Bereich Migration von der Denkfabrik UK in a Changing Europe, beschrieb das einstimmige Urteil am Mittwoch gegenüber dieser Redaktion als "sehr mächtig". Das Oberste Gericht habe erneut auf die schlechte Bilanz Ruandas in Hinblick auf Menschenrechte verwiesen. Ein Sieg für die Betroffenen, die fürchten, nach Ruanda geschickt zu werden, und ein Rückschlag für Premierminister Rishi Sunak.
Boris Johnson hatte den Ruanda-Plan bereits 2022 vorgeschlagen
Erstmals vorgeschlagen wurde das Vorhaben von Ex-Premier Boris Johnson im April 2022. Damals geriet die Regierung zunehmend unter Druck, gegen die wachsende Zahl illegaler Migranten vorzugehen, die in kleinen Booten den Ärmelkanal überquerten. Um diese von der gefährlichen Überfahrt abzuschrecken, so der Plan, sollten irreguläre Einwanderer in Lagern interniert und dann in das vermeintlich sichere Ruanda ausgeflogen werden, um dort in Unterkünften auf die Bearbeitung ihres Asylantrages zu warten. Eine Rückkehr nach Großbritannien war nicht vorgesehen.
Im Gegenzug zahlte das Vereinigte Königreich Millionen von Pfund an Kigali. Der erste Flieger sollte im Juni 2022 abheben, doch die Zahl der Passagiere schrumpfte immer weiter, nachdem die Betroffenen gegen das Vorhaben geklagt hatten. Schließlich schritt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein und der Flug wurde in letzter Minute gestoppt. Die Regierung hielt dennoch an ihrem Plan fest, der alle rechtliche Instanzen durchlief. Im Juni hatte ein Gericht das Vorhaben für illegal erklärt. Ruanda sei nicht sicher, hieß es. Dieses Urteil wurde nun bestätigt.
Premier Rishi Sunak will das Konzept weiterverfolgen
"Das ist nicht das Ergebnis, das wir wollten", sagte Sunak. Er bleibe jedoch fest entschlossen, die "kleinen Boote", also die illegale Einwanderung über den Ärmelkanal, zu stoppen. Entscheidend sei, dass der Gerichtshof bestätigt habe, dass der Grundsatz, illegale Migranten in ein sicheres Drittland zu schicken, rechtmäßig ist.
Laut Grogan habe die konservative Regierung vor allem zwei Möglichkeiten: Sie könne versuchen, eine Einigung mit einem sicheren Drittland zu erzielen. Das sei jedoch schwierig, weil dies viel Zeit in Anspruch nehme und diese Länder überwiegend in Europa liegen. „Es ist kaum vorstellbar, dass einer dieser Staaten ein Abkommen trifft, welches mit jenem zwischen Ruanda und Großbritannien vergleichbar ist.“ Die zweite Option sei, die Menschenrechtsstandards in dem ostafrikanischen Land zu erhöhen, indem noch mehr Geld investiert wird. Ex-Premier Johnson forderte auf X, vormals Twitter die Entscheidung des Gerichts zu umgehen, indem Ruanda per Gesetz zu einem sicheren Land erklärt wird.
Das Londoner Urteil strahlt europaweit aus
Das Urteil strahlt europaweit aus. So erntet etwa Italiens Premierministerin Giorgia Meloni mit ihrem Plan für ein Aufnahmezentrum an der albanischen Küste große Aufmerksamkeit. Grogan verweist jedoch auf einen entscheidenden Unterschied zum britischen Ruanda-Plan. Beim italienischen Beispiel würden die Anträge zwar in Albanien bearbeitet, aber auf Basis italienischen Rechts. Stelle sich dann heraus, dass die Person einen Flüchtlingsstatus habe, könnte sie sich in Italien niederlassen. "Im britischen System hingegen würden die Fälle in Ruanda nach ruandischem Recht bearbeitet." Würde dem Antrag auf Asyl dann stattgegeben, wären sie in Ruanda geblieben, so Grogan.