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Untersuchungsausschuss: Scheuer zieht seinen Kopf im Maut-Showdown vorerst aus der Schlinge

Untersuchungsausschuss

Scheuer zieht seinen Kopf im Maut-Showdown vorerst aus der Schlinge

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    Muss sich den Fragen des Maut-Ausschusses stellen: Verkehrsminister Andreas Scheuer.
    Muss sich den Fragen des Maut-Ausschusses stellen: Verkehrsminister Andreas Scheuer. Foto: Kay Nietfeld/dpa

    Eine halbe Stunde vor Mitternacht beginnen in Berlin die schwierigsten Stunden in der politischen Karriere des Andreas Scheuer. Sie beginnen ausgerechnet an dem Tag, an dem die Maut für Ausländer hätte starten sollen. Als der Bundesverkehrsminister den Sitzungssaal ernst und gefasst betritt, fällt für einen Moment das Licht aus. Dunkelheit.

    Der jahrelange Zoff um die Pkw-Maut

    15. Juli 2013: Die CSU nimmt die Pkw-Maut "für Reisende aus dem Ausland auf deutschen Autobahnen" ins Wahlprogramm auf.

    1. September: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt im TV-Duell: "Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben."

    17. Dezember 2014: Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, beschließen Union und SPD die Infrastrukturabgabe für Pkw auf Autobahnen und Bundesstraßen. Ausländische Autos sollen nur auf Autobahnen bezahlen, Deutsche ihr Geld über eine niedrigere Kfz-Steuer voll zurückbekommen. Ein halbes Jahr später tritt das Gesetz in Kraft.

    18. Juni 2015: Die EU-Kommission gibt die Einleitung eines Verfahrens gegen Deutschland bekannt. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) legt die Umsetzung der beschlossenen Maut auf Eis.

    24. März 2017: Wegen der Bedenken der EU beschließt der Bundestag Änderungen der Pkw-Maut. Auch der Bundesrat gibt grünes Licht.

    17. Mai: Die EU-Kommission akzeptiert die Gesetzesänderung und stellt ihr Verfahren gegen Deutschland ein.

    13. Oktober: Österreich reicht Klage vor dem EuGH ein. Aus Sicht des Nachbarlandes sind auch die geänderten Pläne diskriminierend für Ausländer.

    22. Oktober 2018: Die österreichische Firma Kapsch TrafficCom bekommt den Zuschlag im Vergabeverfahren "Automatische Kontrolle".

    30. Dezember: Im Vergabeverfahren "Erhebung" erhält ein Konsortium aus Kapsch TrafficCom und CTS Eventim den Zuschlag. Verkehrsminister zu diesem Zeitpunkt ist Andreas Scheuer (CSU).

    6. Februar 2019: Der EuGH-Generalanwalt Nils Wahl empfiehlt den obersten EU-Richtern, die Klage Österreichs abzuweisen. Ihr liege ein "Missverständnis des Begriffs Diskriminierung" zugrunde.

    18. Juni: Der EuGH erklärt das 2017 beschlossene Maut-Gesetz für rechtswidrig. Am selben Tag wird veranlasst, die Verträge "Erhebung" und "Automatische Kontrolle" zu kündigen. Scheuer gerät wegen der kostspieligen Verträge in die Kritik.

    12. Dezember: Der Maut-Untersuchungsausschuss des Bundestags nimmt seine Arbeit auf und soll vor allem Scheuers Vorgehen durchleuchten. (dpa)

    Es sollte kein Omen werden für das folgende Verhör, das sich fünf Stunden hinziehen würde. Scheuer kam zeitweise in Bedrängnis, aber fiel nicht um. Er musste um jeden Preis vermeiden, dass sich der Vorwurf bestätigt, er habe im Bundestag gelogen. Dort hatte er erklärt, die Maut-Betreiber hätten ihm kein Angebot gemacht, mit der Unterschrift unter den Verträgen bis zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur Maut zu warten. Immer wieder betonte er daher: "Ein Angebot zur Verschiebung des Vertragsabschlusses bis zu einer Entscheidung des EuGH (Europäischer Gerichtshof) hat es nach meiner Erinnerung nicht gegeben."

    Andreas Scheuer erreichte, was er maximal herausholen konnte

    Es ist die zentrale Aussage der Sitzung, die bereits am Vormittag mit den ersten Zeugen begonnen hatte. Genau das Gegenteil hatten die Chefs der beiden Maut-Betreiber Kapsch und Eventim zuvor im Ausschuss erklärt. Demnach hatten sie Scheuer bei einem Frühstück Ende November 2018 vorgeschlagen, eine Entscheidung des EuGH zum CSU-Wahlkampfschlager abzuwarten. Der Minister entgegnete, es habe seinerzeit gar keinen Grund für eine Verschiebung gegeben, weil die Maut schnellstmöglich umgesetzt werden sollte.

    Die Europarichter kassierten im Juni vergangenen Jahres den Wegezoll, weil er Ausländer diskriminiere. Autofahrer aus Deutschland sollten die Abgabe zwar auch zahlen, der Betrag aber später mit der Kfz-Steuer verrechnet werden. Die Mautbetreiber verlangen von der Bundesrepublik wegen des geplatzten Geschäfts nun Entschädigung in Höhe von einer halben Milliarde Euro. Bekommen sie im laufenden Schiedsverfahren Recht, droht dem Steuerzahler eine saftige Rechnung.

    Der angeschlagene Verkehrsminister erreichte, was er maximal herausholen konnte. Mitten in der Nacht stand Aussage gegen Aussage. In den Stunden zuvor hatte ihn sein früherer Staatssekretär Gerhard Schulz gestützt. "Nein, aus meiner Erinnerung gab es dazu kein konkretes Angebot", erklärte der Jurist. Im Verkehrsministerium war er "Mr. Maut", der das Prestigeprojekt der Christsozialen praktisch umsetzen sollte. CSU und CDU hatten mit Billigung der SPD Schulz erst tags zuvor auf die Zeugenliste gesetzt.

    Scheuer brauchte einen zweiten Mann, der seine Version untermauerte. War der beurlaubte Staatssekretär zu Beginn seiner Befragung fest und eindeutig, geriet er durch das Nachhaken nach und nach arg ins Schwimmen. Am Ende blieb ihm nur die Zauberformel aller Untersuchungsausschüsse. "Daran kann ich mich nicht erinnern."

    Untersuchungsausschuss zur Pkw-Maut: Die CSU gab sich siegesgewiss

    Im politischen Betrieb hatte schon rasch eine Deutung über den Schachzug mit Ex-Staatssekretär Schulz die Runde gemacht. Im anstehenden Untersuchungsausschuss zur Skandalfirma Wirecard soll SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz nicht allzu hart angefasst werden, zumindest nicht aus den Reihen der Union. Scholz ist für die SPD wichtiger als Scheuer für CSU und CDU. Bei Wirecard hatte die deutsche Finanzaufsicht völlig versagt. Verantwortlich für die Aufseher ist das Finanzministerium.

    Die SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann blieb nach dem Grillen des Verkehrsministers zahm. "Es gibt keinen Beweis, dass Minister Scheuer das Parlament belogen hat. Er ist aber auch nicht eindeutig entlastet", sagte die Abgeordnete. Zuletzt hatte sie rote Linien gemalt. Sollte Scheuer den Vorwurf, im Bundestag die Unwahrheit gesagt zu haben, nicht glaubwürdig ausräumen, müsse er gehen. Die CSU zeigte sich hingegen siegesgewiss nach den langen Stunden. "Er war da, er ist Minister, er bleibt Minister", sprach Verkehrsexperte Ulrich Lange in die Mikrofone der ausharrenden Reporter.    

    Wie sein ehemaliger Staatssekretär musste sich auch Scheuer häufiger auf Lücken im Gedächtnis berufen. Die Vertreter von FDP, Linken und Grünen versuchten ihn immer wieder mit der Formulierung "Schließen Sie aus, dass es ein Angebot zur Verlängerung gegeben hat?" festzunageln. Doch eine absolute Aussage konnten sie dem 46-Jährigen nicht entlocken. Die Opposition will aber noch nicht locker lassen: Schulz, die beiden Maut-Chefs Klaus-Peter Schulenberg (Eventim) und Georg Kapsch (Kapsch AG) und ein weiterer Manager sollen zum Kreuzverhör bestellt werden. Sie sollen alle in einem Raum geladen werden und mit ihren bisherigen Aussagen konfrontiert werden. "Das ist wohl historisch einmalig", sagte der FDP-Verkehrspolitiker Christian Jung.

    Ob Andreas Scheuer Verkehrsminister bleibt, wird in München entschieden

    Scheuer will die Opposition gegebenenfalls auch noch einmal verpflichten. Kapsch muss als österreichischer Staatsbürger der Ladung aber nicht Folge leisten. Ob es für das Kreuzverhör eine Mehrheit im Ausschuss gibt, ist zudem offen. "Im Moment erschließt sich mir nicht, was das bringen kann", sagte Lühmann. 

    Die Entscheidung, ob Andreas Scheuer Verkehrsminister bleibt, wird aber nicht in Berlin, sondern in München gefällt. Jede Partei der Großen Koalition hat das Recht, ihre eigenen Minister zu berufen und wieder zu entlassen. "Es ist nur Markus Söder, der das entscheidet", raunte einer der Unions-Politiker.

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