So viel Harmonie war bei der CDU schon lange nicht mehr. Friedrich Merz wird nächste Woche zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Das zunächst befürchtete Gezerre um die fünf Stellvertreterposten dürfte ausbleiben, Kampfkandidaturen deuten sich erst auf den Ebenen darunter an, gelten aber als „beherrschbar“. Der Weg zum inneren Frieden scheint geebnet.
Zumindest gilt das für die Partei, die seit dem Rückzug von Angela Merkel als CDU-Chefin mit Annegret Karrenbauer und Armin Laschet in vergleichsweise kurzer Zeit zwei Vorsitzende verschlissen hat. Denn die Unruhe, die in den letzten Monaten bei den Christdemokraten herrschte, ist in die Bundestagsfraktion weitergewandert. Die Abgeordneten von CDU und CSU beschäftigt vor allem eine Frage: Wird Merz auch nach dem Fraktionsvorsitz greifen? Die Antworten tendieren derzeit zu einem Ja.
Der Parteichef in spe, der bei der Mitgliederbefragung im Dezember ein klares Votum bekommen hatte, hält sich selbst bei dem Thema bedeckt. Der Sauerländer will auf dem digitalen Parteitag am 22. Januar zuerst offiziell zum Vorsitzenden gewählt werden. Dann wird er seine Angelegenheiten sortieren – und sich irgendwann zum Fraktionsvorsitz äußern. Bange Wochen stehen den Christdemokraten da ins Haus. Denn Amtsinhaber Ralph Brinkhaus ist bis zum 30. April gewählt – und hat bereits erklärt, dass er weitermachen möchte.
Viele bei CDU und CSU erwarten, dass Merz Partei- und Fraktionsvorsitz auf sich vereint
Der Zeitpunkt für die Neuwahl des Fraktionsvorsitzenden kommt der CDU denkbar ungelegen. Im Mai finden in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen statt – und „was wir keinesfalls gebrauchen können, ist ein offener Streit in der Fraktion wenige Tage vorher“, stöhnt ein Christdemokrat aus der Fraktionsspitze.
Die Sorge ist berechtigt. Viele bei CDU und CSU erwarten, dass Merz Partei- und Fraktionsvorsitz auf sich vereint. Nur im Bundestag kann er die Ampel-Regierung wirksam angehen und als Politiker weiteres Profil gewinnen. Falls sich Merz für eine Kanzlerkandidatur im Jahr 2025 in Stellung bringen will, braucht er den Job als Oppositionsführer. Schon jetzt merken sie in der Union außerdem, dass die mediale Aufmerksamkeit nachlässt: Die CDU ist eben in der Opposition. Olaf Scholz, Robert Habeck oder Christian Lindner sind im Fernsehen, nicht die Spitzen der Union. Mit einem Doppel-Chef Merz, so die Hoffnung, könnte sich das ändern. Viele trauen dem ehemaligen Blackrock-Aufsichtsrat und Unternehmensberater zudem das notwendige Verständnis für einen Umbau der Fraktion zu. „Der Friedrich könnte den neuen Schwung aus der Partei in die Fraktion hineintragen“, sagt ein Mitglied des Fraktionsvorstandes.
In der Unionsfraktion wird genau registriert, dass Merz nicht nur im Mitgliederentscheid ein eindeutiges Ergebnis erzielte. Auch das Personaltableau des 66-Jährigen findet Anklang. Von Mario Czaja, der neuer CDU-Generalsekretär werden soll, wird bereits in respektvollem Ton gesprochen. Die vorgesehene Berufung des angesehenen CDU-Abgeordneten Carsten Linnemann – ehemals MIT-Vorsitzender und bald mit großer Sicherheit neuer CDU-Vize – zum Chef der Programmkommission gilt ebenfalls als gelungener Coup.
Nicht wenige werfen Brinkhaus einen autoritären Führungsstil vor
In der Bundestagsfraktion von CDU und CSU sehnen sich viele nach solch geordneten Zuständen und einer starken Hand. Brinkhaus könnte es zum Verhängnis werden, dass ihm derartige Führungsqualitäten vielfach abgesprochen werden. Der 53-Jährige sei mit der Ansage angetreten, er wolle der Regierung von Angela Merkel Paroli bieten und dem Parlament wieder mehr Geltung verschaffen, erinnert ein Fraktionsmitglied. „Passiert ist da aber nichts. Im Gegenteil.“ Die Wahlniederlage wird in Teilen auch Brinkhaus angelastet. Ihm sei es nicht gelungen, die Reihen zu schließen, heißt es. Bei der vorletzten Bundestagswahl verlor die Union bereits 50 Sitze, bei der letzten unter ihm weitere 50.
Nicht wenige werfen Brinkhaus einen autoritären Führungsstil in Fraktion und Geschäftsstelle vor. Ähnliche Vorhaltungen kosteten seinen Vorgänger Volker Kauder Stimmen, als Brinkhaus im September 2018 überraschend gegen ihn antrat und gewann. Der Nordrhein-Westfale wurde bei seiner Wiederwahl im September deshalb nur für sieben Monate bestätigt und nicht wie üblich für ein Jahr – für viele ein Indiz, dass der Weg für Merz offengehalten werden sollte.
Geeint ist die Union indes in der Auffassung, dass eine Kampfabstimmung und damit ein Spaltpilz in der Fraktion unbedingt vermieden werden sollte. Gelingen könnte das, wenn Brinkhaus freiwillig zurückzieht, gleichzeitig aber sein Gesicht wahren kann. Und so läuft sie gerade, die Suche nach einer für alle Seiten befriedigenden Lösung. Wie die aussehen könnte, weiß derzeit allerdings niemand.