Es war nicht alles schlecht bei der Ampel. Als SPD, Grüne und FDP nach der Bundestagswahl 2021 mit ihren Sondierungsgesprächen begannen, zogen sie die Lehren aus den schlechten Erfahrungen der Jahre vorher. „Vertrauensbildung statt Durchstechereien“, lautete die Vorgabe, an die sich die Verhandlungsteilnehmer damals tatsächlich hielten. Am Freitag setzten sich Union und SPD im Jakob-Kaiser-Haus zusammen, um Möglichkeiten einer Regierungsbildung auszuloten. CDU-Chef Friedrich Merz hatte bereits vorher Vertraulichkeit eingefordert – und tatsächlich wurde die zunächst eingehalten. Das lässt auf eine zügige Regierungsbildung hoffen.
Als die Parteien nach der Bundestagswahl 2017 mit den Sondierungsgesprächen begannen, war das einer Live-Sendung nicht unähnlich. Die Handys saßen locker, ständig wurden SMS und Twitter-Nachrichten mit Verhandlungsdetails getippt und durchgestochen. In den Jahren zuvor war die Teilnehmerzahl bei Sondierungen und Koalitionsverhandlungen außerdem immer weiter gestiegen, 2017 lag sie sechs Mal höher als 2008. Am Ende waren sage und schreibe 350 Menschen an den Verhandlungen beteiligt. Ihr Geltungsdrang war vielfach deutlich größer als der Wunsch, im Sinne von politischer Glaubwürdigkeit schnell zu einem Abschluss zu kommen.
Start der neuen Bundesregierung: Ziel sind die Osterferien
Merz und sein Generalsekretär Carsten Linnemann wollen diesmal nicht nur vor Ostern fertig werden. Das wäre vermutlich ein Rekord und könnte sogar die Ampel übertreffen, die 2021 bis zur Regierungsbildung 73 Tage benötigte. Die Union dringt zudem auf einen schlanken Koalitionsvertrag. Nur die wichtigsten Dinge sollen darin in den großen Linien aufgeschrieben werden. Auch das spricht für einen zügigen Abschluss. Die Ampel hielt sich damit auf, den Koalitionsvertrag auf 144 Seiten aufzublähen. Die GroKo hatte vier Jahre vorher sogar 30 Seiten mehr mit Details vollgeschrieben, auf die es am Ende überhaupt nicht mehr ankommt.
Noch vor der Wahl hatte die Union Gespräche mit der SPD geführt, um die Chancen für eine Einigung auszuloten und so ebenfalls Zeit zu sparen. Denn die Hürden sind hoch, wie sich etwa am Beispiel des Bürgergeldes zeigt. CDU und CSU haben dessen Abschaffung versprochen, für die Sozialdemokraten ist es hingegen ein Prestigeobjekt. Ein denkbarer Kompromiss wäre, das Bürgergeld in noch schärfere Sanktionen einzubetten. Möglicherweise bekommt es einen anderen Namen, aber vom Grundsatz her wird es bestehen bleiben. Beide Seiten könnten damit leben.
Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD: Jede Partei bekommt was
Dahinter steckt auch eine Strategie, die Generalsekretär Linnemann vorantreibt und die sich wohl am besten mit dem Wort „Großzügigkeit“ beschreiben lässt. Jede der drei möglichen Regierungsparteien darf wichtige Projekte durchsetzen, mit denen sie anschließend selbstbewusst vor die Mitglieder treten kann - und macht dafür an anderen Stellen Kompromisse. Das könnte sogar beim wohl wichtigsten Thema funktionieren, der Migration. Merz hat deutlich gemacht, dass er die von ihm favorisierte Zurückweisung an den deutschen Grenzen nur so lange aufrechterhalten will, bis die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) im Sommer kommenden Jahres wie vorgesehen in Kraft tritt. Die SPD hat das GEAS zusammen mit den Grünen in der Ampel-Regierung vorangetrieben, sie könnte mit solch einem Deal vermutlich umgehen.
Für Union und SPD nahmen jeweils neun Vertreter am Verhandlungstisch Platz. Unter ihnen CDU-Parteichef Merz, Unions-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU), der CSU-Vorsitzende Markus Söder und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sowie die SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken.

Kukies legt Zahlen vor
Manuela Schwesig war die einzige Verhandlungsteilnehmerin, die ein paar Worte in die zahlreichen Mikrofone sprach. „Wenn jetzt die Demokraten nicht die Probleme lösen und das besser machen als die Ampel-Regierung, dann werden die krassen AfD-Ergebnisse aus dem Osten auch im Westen ankommen“, erklärte die SPD-Politikerin. Damit das gelinge, müssten beide Seiten „aufeinander zugehen, alle müssen sich zusammenraufen und bewegen“. Es gehe nun darum, „Vertrauen und Verlässlichkeit“ aufzubauen.
Die ersten vier Stunden verliefen offenbar in diesem Geiste. Die Gespräche hätten in einer „offenen und konstruktiven Atmosphäre“ begonnen, hieß es zum Abschluss der ersten Sondierungsrunde. Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD) habe der Runde zunächst einen Überblick über die Haushaltslage gegeben. „Die Herausforderungen werden nun Gegenstand der kommenden Gespräche sein.“ Nächste Woche geht es weiter.

Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden