Es gibt Politiker-Sätze, die in der späteren Betrachtung einmal als wegweisend eingeordnet werden. Meist werden sie erst im Nachhinein richtig gedeutet. Doch wenn der CSU-Vorsitzende Markus Söder sich zur Kanzlerkandidatur der Union äußert, hören inzwischen alle ganz genau hin. „Ich bin dafür, dass wir das nach den Wahlen in den neuen Ländern nächstes Jahr machen, dass wir uns dann entscheiden“, sagte er in der ARD-Online-Sendung „Frag selbst“. Mit wenigen Worten warf der bayerische Ministerpräsident damit nicht nur die Zeitplanung der Union über den Haufen. Es deutet sich nun auch an, dass CDU und CSU eine ähnlich schmerzhafte Kandidatenfindung wie bei der letzten Bundestagswahl bevorsteht.
CDU-Chef Friedrich Merz hatte den Takt eigentlich vorgegeben, das auch mehrfach wiederholt. Er sei sich mit Söder einig, dass man nicht mit einem Kanzlerkandidaten in die Europawahl im Mai nächsten Jahres ziehen werde, sondern „wir werden das im Spätsommer entscheiden“. Das sei vereinbart, „und nichts anderes“. Merz erklärte das im April als Reaktion auf Medienberichte, wonach die Union bereits im Frühjahr 2024 entscheiden werde, wer Kanzlerkandidat (eine Frau ist derzeit nicht im Gespräch) werden soll.
Markus Söder ist nicht überzeugt, dass Merz der richtige Kandidat ist
Söder begründete den späteren Termin mit den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Es mache „wenig Sinn“, einen Kanzlerkandidaten in drei Landtagswahlen zu schicken. Zudem glaube er auch, „dass wir die Ergebnisse dieser Landtagswahlen sehr, sehr sensibel und sehr genau analysieren müssen und daraus möglicherweise auch gute Argumente für die Personalfrage finden“. Übersetzt heißt das wohl so viel wie: Wenn die CDU bei den Wahlen schlecht abschneidet, ist Merz als Kanzlerkandidat untragbar. Die Europawahl findet am 9. Juni statt, die Landtagswahl in Brandenburg am 22. September, am 1. September wird in Sachsen und Thüringen gewählt. In der CDU-Spitze wurde die überraschende Wendung als Kampfansage an den Vorsitzenden der großen Schwesterpartei gewertet. „Markus Söder ist zweifelsohne nicht davon überzeugt, dass Friedrich Merz der geeignete Kandidat ist“, kommentierte ein Präsidiumsmitglied die Entwicklung.
In der CSU versucht man seit Monaten, das Bild von der politischen Freundschaft der beiden Parteichefs aufrechtzuerhalten. Zumindest nach außen. Hinter vorgehaltener Hand aber gibt man auch in München zu, dass man in der CSU alles andere als zufrieden sei mit der Leistung von Merz. Der ist Söder im nun immer massiver anlaufenden bayerischen Landtagswahlkampf keine Hilfe. Doch auch die brutale Fehde zwischen Söder und Armin Laschet vor der Bundestagswahl 2021 steckt der CSU noch in den Knochen. Auch wenn sich die Partei das Büßergewand öffentlich nicht überstreifen mag, gibt man in der Partei doch zu, dass die heftigen Angriffe auf den damaligen CDU-Spitzenkandidaten alles andere als geschickt waren.
Diese Fehler hat die Union bei der Bundestagswahl 2021 gemacht
Wird sich die Geschichte trotzdem wiederholen? Zumindest in einem Punkt steigt die Wahrscheinlichkeit. Während die SPD-Spitze bereits im August 2020 den damaligen Bundesfinanzminister Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten kürte, entschied sich die Union erst im April 2021 für Laschet. Der Wahlkampfzug wird bei der Union nun erneut spät aufs Gleis gesetzt: Nach der Brandenburg-Wahl werden mehrere Wochen für die von Söder geforderte „Analyse“ vergehen, ob die K-Frage überhaupt noch 2024 geklärt wird, scheint eher fraglich.
Dass Söder nicht doch noch einmal nach der Macht greift, dafür legt in der Union kaum jemand die Hand ins Feuer. Und der Ministerpräsident selbst? Der sagt: „Ich helfe sicherlich mit – auch aus Bayern und auch von der CSU – dass dieses Deutschland wieder in Fahrt kommt, aber nicht als Kanzler.“ Auf Umfragen – die meisten davon sehen ihn vor Merz – gebe er nicht viel. „Ich habe meinen klaren Kompass. Ich will, dass wir ein starkes Bayern haben. Aber ich will auch, dass wir ein sicheres und stabiles Deutschland haben.“ Mit dieser Formulierung lässt sich Söder alle Optionen offen.
Söder könnte aber auch auf die Rolle des Königsmachers aus sein. Das Vorschlagsrecht für den Kanzlerkandidaten hat zwar immer die CDU. Doch die weiß, dass ohne die kleine Schwester Wahlen kaum zu gewinnen sind. Sollte es auf der CDU-Bühne erneut zu einer Auseinandersetzung zwischen Merz und anderen Kandidaten kommen, könnte Söders Votum den Ausschlag geben. Potenzielle Bewerber gibt es, ganz vorn auf der Liste steht der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst.
Dürfen die Mitglieder über den Kanzlerkandidaten der Union entscheiden?
CDU-Chef Friedrich Merz hatte sich jüngst in einem Interview offen für eine Kanzlerkandidatenkür per Mitgliederentscheid gezeigt – und da den eigenen Machtanspruch recht deutlich formuliert: „Die Mitglieder haben Ende des Jahres 2021 eine klare Entscheidung getroffen. Ich bin in der CDU-Geschichte der einzige Vorsitzende, der sich auf ein so breites Mitgliedervotum stützen kann. Man muss das nicht beliebig oft wiederholen, aber es steht als Instrument in der Satzung“, sagte er.
Söder will sich da nicht festlegen. Ob die beiden Parteivorsitzenden einen direkten Vorschlag machen oder ob es ein Verfahren werde, bei dem die Basis entscheide, „muss man dann am Ende überlegen“. Dabei könnte ein Mitgliedervotum ein klarer Vorteil für Söder sein. „Welcher dieser Unions-Politiker wäre Ihrer Meinung nach am ehesten als Kanzlerkandidat geeignet?“, fragte das Meinungsforschungsinstitut Civey jüngst im Auftrag der ARD. Unter den Anhängern der Union führt Markus Söder knapp mit 30 Prozent. Hendrik Wüst nannten hier 28 Prozent. 22 Prozent entschieden sich für Friedrich Merz und 7 Prozent für Daniel Günther. 13 Prozent sagten „Weiß nicht / Keiner der Genannten“. (mit dpa)