Ungewohnt emotional gab sich der damalige konservative Premier David Cameron in seiner Rede am 15. September 2014 - also nur drei Tage vor dem Referendum zur Unabhängigkeit Schottlands. Großbritannien sei eine „Familie von Nationen“, sagte er. Und: Es würde ihm das Herz brechen, wenn diese Familie zerrissen würde. Dazu kam es nicht. Bei der Volksabstimmung am 18. September stimmte eine knappe Mehrheit der Schotten gegen eine Abspaltung. Genau zehn Jahre später scheint ein erneutes Referendum unwahrscheinlich, doch in vielen Köpfen ist der Wunsch nach Unabhängigkeit nach wie vor lebendig.
Die Debatte um die Unabhängigkeit Schottlands ist alt, sehr alt sogar. Die „Declaration of Arbroath“, die erste schottische Erklärung zu dieser Frage vor mehr als 700 Jahren in der gleichnamigen Stadt an der Ostküste des britischen Landesteils unterzeichnet. Nach jahrzehntelangen Unabhängigkeitskriegen schloss sich Schottland 1707 dann mit dem Königreich England zusammen, unter anderem, um den drohenden Staatsbankrott abzuwehren. Doch so richtig warm wurden die Nationen jedoch nie miteinander.
Bei den Regionalwahlen 2011 triumphierte in Schottland die SNP, die Partei der Abspaltung
Der Wunsch nach einer Abspaltung keimte wieder auf, nachdem die Scottish National Party (SNP), die sich für die Unabhängigkeit des Landesteils einsetzt, bei den Regionalwahlen 2011 die absolute Mehrheit errungen hatte. In Verhandlungen zwischen der britischen und der schottischen Regierung wurde vereinbart, dass bis Ende 2014 ein Referendum abgehalten werden kann. Es herrschte Aufbruchstimmung, viele Schotten wählten damals zum ersten Mal.
Doch schließlich stimmten rund 55 Prozent für den Verbleib im Königreich. Camerons Kalkül, mit dem Referendum die Frage der Unabhängigkeit endgültig „vom Tisch zu fegen“, ging jedoch nicht auf, denn das Ergebnis war am Ende deutlich knapper ausgefallen als erwartet und die SNP wurde in der Folge enorm gestärkt. Erneut befeuert wurde die Debatte durch das Brexit-Votum im Jahr 2016. Dass Schottland zusammen mit dem Rest des Vereinigten Königreichs die EU verlassen musste, obwohl rund 60 Prozent in dem Landesteil für einen Verbleib in dem Bündnis gestimmt hatten, sorgte bei Brexit-Gegnern in der Bevölkerung für Frust.
Londoner Gerichte verhinderten ein neues Referendum für schottische Unabhängigkeit
Nach dem Austritt des Königreichs aus der EU verschoben sich die Argumente. John Curtice, Politikwissenschaftler an der University of Strathclyde in Glasgow, sagte dieser Redaktion, dass viele Schotten lieber Teil der Europäischen Union als des kleineren britischen Binnenmarktes sein wollten. Doch die Versuche der SNP, ein erneutes Referendum anzuschieben, scheiterten unter anderem an den Gerichten in London. In den vergangenen Jahren wurde die Partei außerdem von Skandalen erschüttert: Spendengelder wurden veruntreut, Nicola Sturgeon trat im Frühjahr vergangenen Jahres zurück.
Hinzu kommt, dass es nach wie vor gute Argumente gegen die Unabhängigkeit gibt. So ist Großbritannien nach wie vor der wichtigste Handelspartner für Schottland. Vor die Wahl gestellt, entschieden sich die Schotten bei den Parlamentswahlen im Juli dann eher für Labour. Die SNP verfügt nur noch über neun Sitze in London, zuvor waren es 57. Der Traum von der Unabhängigkeit scheint für die Nationalisten vorerst ausgeträumt. Curtice betont jedoch: Das Vorhaben sei „ins Stocken geraten, aber noch nicht vom Tisch”. Die Unterstützung für eine Loslösung von Großbritannien sei nach wie vor hoch und liege zwischen 48 und 49 Prozent, die Bevölkerung sei in dieser Frage also weiterhin gespalten. Grund genug für die SNP, auf ihre Wiederbelebung und ein neues Referendum zu hoffen.
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