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UN-Mission: 60 Jahre Zypern-Konflikt: Im Niemandsland

Unbewaffnet und vorsichtig: ein slowakischer Blauhelmsoldat während einer Patrouille in der Pufferzone auf Zypern.
Foto: Unficyp
UN-Mission

60 Jahre Zypern-Konflikt: Im Niemandsland

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    An einer Schranke im Niemandsland hält der Geländewagen mit den beiden slowakischen Blauhelm-Soldaten. Einer springt hinaus und zieht die Schranke hoch. Dann holt er eine Flagge und befestigt sie am Auto. Es ist die Flagge der Vereinten Nationen. Dienstvorschrift sei das, sagt er: "Wir demonstrieren damit die Hoheit der Vereinten Nationen in der Pufferzone." Seit einem halben Jahrhundert wird Zypern von dieser Zone in zwei Teile geschnitten: in die von Zyperngriechen bevölkerte Republik Zypern im Süden und in den türkischen Teil im Norden. Weiter geht es ins Sperrgebiet – bei dieser Patrouille mit den UN-Friedenstruppen.

    Eine Schotterpiste schlängelt sich zwischen niedrigem Gestrüpp und Olivenbäumen über Anhöhen und durch Senken. "Wir fahren jetzt mitten durch die Pufferzone", erklärt einer der beiden Blauhelm-Soldaten. Sie tragen Tarnuniformen, Sonnenbrillen und die blauen Käppis der UN-Friedenstruppen. Der eine sitzt am Steuer, der andere bedient das Funkgerät. Aufmerksam betrachten sie die Militärposten, die links und rechts des Weges auftauchen – auf der linken Seite sind es griechische, auf der rechten türkische. Doch hier stehen sich nicht nur Rekruten gegenüber, sondern auch zwei Nato-Armeen.

    Die Insel gilt als einer der "militarisiertesten" Flecken der Welt

    Die griechisch-zyprische Nationalgarde wird von einem General aus Griechenland kommandiert, die zyperntürkische Armee von einem Offizier aus der Türkei. 27.000 türkische Soldaten sind im Norden der Insel stationiert, 13.000 griechische und zyperngriechische im Süden, dazu 3500 britische Soldaten in eigenen Stützpunkten. Mit kaum mehr als einer Million Einwohnerinnen und Einwohnern ist Zypern nach UN-Angaben pro Kopf gerechnet einer der "militarisiertesten" Flecken der Welt. Unbewaffnet sind bloß die UN-Soldaten, die in der Pufferzone zwischen den Fronten patrouillieren.

    "Ohne die UN-Friedenstruppen würde das Risiko von Missverständnissen zwischen den gegnerischen Streitkräften drastisch steigen", sagt ein Unficyp-Sprecher.
    "Ohne die UN-Friedenstruppen würde das Risiko von Missverständnissen zwischen den gegnerischen Streitkräften drastisch steigen", sagt ein Unficyp-Sprecher. Foto: Unficyp

    Entsprechend vorsichtig verhalten sich die beiden Blauhelme, als sie auf einer Anhöhe anhalten und aussteigen. Durch ihre Ferngläser blicken sie auf zwei Panzer in Nordzypern. Es sind griechische, im August 1974 zurückgelassen, als ein Waffenstillstand den zyprischen Bürgerkrieg und das Vorrücken der türkischen Armee beendete. Seit damals darf nichts mehr an der Front verändert werden – die UN-Soldaten haben das zu überwachen.

    Seit 1960 ist Zypern unabhängig, seit 1964 sind UN-Truppen auf der Insel

    Die Blauhelme sind schon länger auf der Insel. "Einstimmig verabschiedet", verkündete am 4. März 1964 der damalige UN-Generalsekretär U Thant das Abstimmungsergebnis im Sicherheitsrat zur Resolution 186, mit der die Friedenstruppen nach Zypern entsandt wurden. Vorangegangen waren blutige Unruhen zwischen griechischen und türkischen Zyprern, die kurz nach Unabhängigkeit der Insel von der britischen Kolonialmacht im Jahr 1960 ausbrachen. Heute stellen die UN-Truppen auf Zypern, kurz Unficyp genannt, eine der ältesten UN-Friedensmissionen der Welt dar.

    Wahren Frieden könnten allerdings einzig die Politikerinnen und Politiker auf der Insel schließen, sagt Unficyp-Sprecher Aleem Siddique im UN-Hauptquartier in Nikosia. "Unsere Aufgabe ist es bis dahin, Konflikte und Kämpfe zwischen den beiden Seiten zu verhindern." Seit Jahrzehnten ist Unficyp damit beschäftigt; mehr als 150.000 Soldaten aus 43 Ländern haben auf Zypern bereits gedient. Derzeit sind es 800 UN-Soldaten, vorwiegend Argentinier, Briten und Slowaken.

    180 Kilometer Niemandsland zwischen den Fronten auf Zypern

    Auf seinem Weg durch die Pufferzone hält der Geländewagen an Kontrollpunkten, die von weißen Tonnen mit den schwarzen Buchstaben "UN" markiert sind. Die Soldaten schlagen zwei Kladden auf, eine blaue für die griechische, eine rote für die türkische Seite. Abgeheftet sind in ihnen Illustrationen und Informationen über jeden einzelnen Militärposten, bis hin zur Zahl der verbauten Sandsäcke und Ziegelsteine. Jede kleinste Veränderung müssen die patrouillierenden Soldaten ihren Vorgesetzen melden.

    Das Niemandsland zwischen den Fronten ist 180 Kilometer lang. An der engsten Stelle ist es drei Meter breit; die breiteste Stelle misst sieben Kilometer. Ein Soldat zeigt auf eine Konstruktion auf der türkischen Seite. "Da, das ist eine Verletzung des Status quo", sagt er. Und dass das Alltag sei. "Wenn die Türken etwas tun, dann machen die Griechen auch etwas, und umgekehrt. Die ganze Zeit geht das so, beide Seiten verstoßen ständig gegen die Regeln."

    Blauhelm-Mission deeskaliert bis heute regelmäßig

    Unficyp-Sprecher Aleem Siddique kann das bestätigen. Er spricht vom unbefugten Überschreiten der Waffenstillstandslinie und vom Bau ungenehmigter Schießstände. Manchmal, sagt er, gebe es auch Streit zwischen Bauern, deren Felder an die Waffenstillstandslinie heranreichen. "Dann dringen Truppen beider Seiten in die Pufferzone ein, um ihre Bauern zu verteidigen. Wenn wir nicht dazwischengingen, dann könnte das sehr schnell und bedrohlich eskalieren."

    Diese Eskalation zu verhindern, ist Aufgabe der UN-Verbindungsoffiziere auf Zypern. Werden ihnen von den Patrouillen Verstöße gemeldet, nehmen sie Kontakt zu den Befehlshabern der gegnerischen Truppen auf, um eine Lösung auszuhandeln. "Das ist harte Arbeit, die von unseren Patrouillen und Offizieren hinter den Kulissen geleistet wird", sagt Siddique. Er ergänzt: "Unsere Aufgabe ist es nicht, in die Nachrichten zu kommen, sondern Nachrichten zu verhindern. Wenn man außerhalb von Zypern nichts von uns hört, dann heißt das, dass wir unseren Job machen und den Deckel auf diesem Konflikt halten."

    "Wir verzeichnen derzeit vermehrte Verstöße in der Pufferzone", sagt der Chef der UN-Friedensmission

    Das gelingt nicht immer. Wie im vergangenen Sommer, als die zyperntürkische Seite eine Straße bauen wollte, die teilweise durch die Pufferzone führen sollte. Die Friedenstruppen intervenierten, die Lage eskalierte. Zyperntürkische Einsatzkräfte schoben die UN-Geländewagen mit Baumaschinen weg, Blauhelm-Soldaten wurden geschlagen und getreten. Die Türkei, die EU und UN-Generalsekretär António Guterres schalteten sich ein. Die Schlägerei im Niemandsland und weitere Zwischenfälle beschäftigten den UN-Sicherheitsrat. "Wir verzeichnen derzeit mehr Spannungen und vermehrte Verstöße in der Pufferzone von beiden Seiten", sagte der Chef der UN-Friedensmission auf Zypern, Colin Stewart, nach einem Treffen mit dem Sicherheitsrat im Januar in New York. "Die Lage eskaliert seit Monaten, das schafft mehr Spannung und Probleme für alle."

    Damit ist gemeint, dass Spannungen und Probleme nicht auf die Insel begrenzt bleiben. Das beginne schon bei Griechenland und der Türkei, die zusammen mit Großbritannien völkerrechtlich als Garantie-Mächte für Zypern firmieren, warnt die Expertin Alexandra Novosseloff vom Centre Thucydide in Paris. "Kein Konflikt bleibt ewig eingefroren. Palästina wurde lange als eingefrorener Konflikt betrachtet, die Ukraine auch – das kann auch auf Zypern passieren", sagt die Politologin. "Und was auf Zypern geschieht, das wird Folgen für die Region und die Welt haben."

    Eine Diplomatin soll sondieren, ob es eine Chance auf eine Einigung gibt

    Der Grund dafür ist Zyperns Lage. An klaren Tagen sieht man die Küsten von Syrien und Libanon, Israel und Gaza sind nicht weit entfernt. Von Stützpunkten auf Zypern aus bombardiert die britische Luftwaffe die Huthis im Jemen. Die Türkei unterhält einen Drohnen-Stützpunkt. Auch Russland verfolgt auf der Insel seine Interessen. "Ohne die UN-Friedenstruppen würde das Risiko von Missverständnissen zwischen den gegnerischen Streitkräften drastisch steigen, mit schweren Folgen für die Sicherheitslage, daran gibt es keinen Zweifel", meint auch Unficyp-Sprecher Siddique. Der UN-Sicherheitsrat sieht das genauso. Einstimmig verlängerten seine 15 Mitglieder im Januar das Mandat der Friedensmission auf Zypern um ein Jahr. Ewig könne das nicht so weitergehen, räumte jedoch Unficyp-Chef Stewart ein. "Wir sind nun 60 Jahre in Zypern. Das ist ein trauriger Jahrestag und sollte uns als Erinnerung dienen, dass dieses Problem schon viel zu lange andauert."

    Es sind die Vereinten Nationen, die dagegen etwas unternehmen wollen. Sieben Jahre nach dem Scheitern der letzten Verhandlungen in der Schweiz ernannte UN-Sekretär Guterres zu Jahresbeginn eine Persönliche Gesandte für Zypern, die die Aussichten für eine Einigung sondieren soll. Die kolumbianische Diplomatin Maria Angela Holguin Cuellar hat dafür sechs Monate Zeit. Die slowakischen Blauhelm-Soldaten auf Patrouille zucken mit den Schultern, spricht man mit ihnen darüber. "Wer auf Zypern gedient hat, der weiß, dass jedes Problem auf der Welt gelöst werden kann", sagt einer der beiden, "nur nicht das Zypern-Problem."

    Eine Geschichte voller Spannungen:

    Mit seiner Entscheidung vom 4. März 1964, Friedenstruppen nach Zypern zu entsenden, wollte der UN-Sicherheitsrat den Konflikt zwischen griechischen und türkischen Zyprern schlichten. 60 Jahre später ist die UN-Truppe immer noch auf der Insel. Denn bisher sind alle Versuche gescheitert, den Dauerstreit zwischen den Volksgruppen beizulegen.

    Dieser hat eine lange Geschichte. So sicherte sich Großbritannien im 19. Jahrhundert die Kontrolle über das damals osmanische Zypern, um seine Verbindungswege nach Indien zu schützen. 1914 wurde Zypern als Kolonie ins britische Weltreich aufgenommen. Zu jenen Zeiten verschärften sich die Spannungen zwischen der griechischen Bevölkerungsmehrheit, die eine Vereinigung mit Griechenland anstrebte, und der türkischen Minderheit, die in diesem Fall eine Unterdrückung fürchtete.

    1960 wurde Zypern in die Unabhängigkeit entlassen, doch der gemeinsame Staat von Griechen und Türken brachte der Insel keinen Frieden. Der endgültige Bruch kam im Sommer 1974, als griechische Nationalisten gegen die Regierung in Nikosia putschten, um den Anschluss Zyperns an Griechenland durchzusetzen. Der Putsch scheiterte, die Türkei aber schickte ihre Armee auf die Insel, um eine Übernahme durch die Griechen zu verhindern – Zypern wurde geteilt.

    Die von der Uno bewachte Grenze verläuft mitten über die Insel, Nikosia ist die letzte geteilte Hauptstadt Europas. Die griechische Inselrepublik im Süden wird als internationale Vertreterin Zyperns anerkannt. 1983 rief der damalige türkisch-zyprische Volksgruppenführer Rauf Denktasch einseitig die "Türkische Republik Nordzypern" aus, die nur von der Türkei anerkannt wird. Seit 2004 ist die ganze Insel Mitglied der Europäischen Union. Allerdings ist, wie es das Auswärtige Amt erklärt, "im besetzten Norden Zyperns die Anwendung des geltenden EU-Rechts ausgesetzt".

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