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UN-Gericht: Israels Siedlungspolitik im Westjordanlang verstößt gegen Recht

Krieg im Nahen Osten

Im Schatten des Krieges geht es um die Zukunft des Westjordanlandes

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    Ein israelischer Soldat betet im Außenposten Eviatar im israelisch besetzten Westjordanland während des Morgengebets.
    Ein israelischer Soldat betet im Außenposten Eviatar im israelisch besetzten Westjordanland während des Morgengebets. Foto: Ohad Zwigenberg, dpa

    Für die meisten Israelis ist die Zeit seit dem 7. Oktober eine der dunkelsten in der Geschichte des Landes: Rund 1200 Menschen wurden bei dem Terrorangriff der Hamas massakriert, 250 in den Gazastreifen verschleppt, und in dem Krieg, der dort seitdem herrscht, fallen fast täglich junge Soldaten. Doch es gibt auch jene, die in der Ausnahmesituation eine Gelegenheit sehen, ihre radikalen Träume zu verwirklichen. Die letzten Monate seien eine „Ära der Wunder“ gewesen, schwärmte jüngst die Ministerin für Siedlungen und nationale Missionen, Orit Strock, bei einem Besuch in einer israelischen Siedlung im Westjordanland. Ihre Begeisterung bezog sich auf die Entscheidung der zuständigen Behörde, 107 neue Wohneinheiten in der Siedlung zu genehmigen.

    Mehr als 500.000 israelische Staatsbürger leben verstreut über das Westjordanland, in jenem Gebiet, das die Palästinenser als Teil ihres zukünftigen Staates betrachten. Die meisten Länder, auch Deutschland, halten die israelischen Siedlungen seit Langem für völkerrechtswidrig. Und wurden nun durch ein aufsehenerregendes Gutachten in ihrer Haltung bestätigt: Die israelische Siedlungspolitik verstößt nach Auffassung des höchsten UN-Gerichts gegen internationales Recht. Israel mache sich faktisch der Annektierung schuldig, stellte der Internationale Gerichtshof in Den Haag am Freitag in einem Rechtsgutachten fest.

    Gutachten ist rechtlich nicht bindend

    Die Siedlungspolitik sei darauf ausgerichtet, dass Israel auf unbestimmte Zeit in den Gebieten bleibe und unumkehrbare Fakten schaffe, begründete der Vorsitzende Richter Nawaf Salam seine Einschätzung. Das Gutachten ist rechtlich zwar nicht bindend. Doch aufgrund des hohen Ansehens des Internationalen Gerichtshofes wird erwartet, dass es den internationalen politischen Druck auf Israel weiter erhöhen wird. Vor 20 Jahren, im Juli 2004, hatten die Richter bereits erklärt, dass die von Israel im Westjordanland errichtete Mauer gegen internationales Recht verstoße und daher abgerissen werden müsse. Israel hielt sich aber nicht daran.

    Wechselnde israelische Regierungen haben den Siedlungsbau im Westjordanland zumindest toleriert, teils sogar gefördert. Doch keine hat das Projekt mit so großem Eifer vorangetrieben wie die rechts-religiöse Koalition unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Menschenrechtsorganisationen werfen ihr eine regelrechte Landnahme im Westjordanland vor. Es sind vor allem die beiden Parteien am rechten Rand, die sich dem Projekt verschrieben haben: der „Religiöse Zionismus“, dessen Parteichef Bezalel Smotrich als Finanzminister erheblichen Einfluss hat, und die „Jüdische Stärke“ mit dem mehrfach vorbestraften Itamar Ben-Gvir an der Spitze, der das Ministerium für nationale Sicherheit führt.

    Immer mehr neue Siedlungen werden genehmigt

    Anfang letzten Jahres übertrug Netanjahus Regierung Smotrich die Hoheit über zivile Angelegenheiten im Westjordanland, wozu auch die Genehmigung neuer Siedlungsbauten gehört. Zudem vereinfachte sie den Prozess zum Ausbau bestehender Siedlungen – mit sichtbaren Folgen: Der israelischen Nichtregierungsorganisation Peace Now zufolge, die für eine Zwei-Staaten-Lösung eintritt, genehmigte die Regierung im Jahr 2023 gut 12.300 neue Wohneinheiten in den Siedlungen, mehr als in jedem anderen Jahr seit Beginn der Statistik der Organisation 2012. Anfang Juli erklärte Israels Zivilverwaltung zudem 1.270 Hektar palästinensischen Lands zu israelischem Staatsgebiet.

    Smotrich und seine Mistreiter machen keinen Hehl aus ihrer Vision: Sie wollen das Westjordanland annektieren und damit die Idee einer Zwei-Staaten-Lösung endgültig begraben. „Es ist die Mission meines Lebens, die Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern“, sagte Smotrich schon im Juni auf einer Parteiversammlung. Die Zwei-Staaten-Lösung hat inzwischen ohnehin einen schweren Stand in Israel. Die Mehrheit der Knesset-Abgeordneten hat am Donnerstag für einen Beschluss gestimmt, der eine palästinensische Staatsgründung ablehnt. Darunter waren sowohl die Parteien der rechtsreligiösen Koalition als auch die Oppositionspartei von Benny Gantz, die laut Umfragen bei Neuwahlen stärkste Partei werden und die meisten Sitze im Parlament bekommen dürfte.

    Immer wieder Gewalt im Westjordanland

    „Die israelische Regierung ordnet Israels Sicherheitsinteressen messianischen Interessen unter“, warnen hingegen die Aktivisten von Peace Now. Inmitten eines „erschöpfenden und zerstörerischen Krieges“ versuche die Regierung, mit Gewalt eine weitere Front im Westjordanland zu entfachen. Tatsächlich kommt es im Westjordanland seit dem Terrorangriff der Hamas vermehrt zu Gewalt: Militante Palästinenser schießen auf israelische Siedler und Soldaten, die Israels Armee geht gewaltsam gegen Terrorzellen vor, und radikale Siedler schikanieren und attackieren systematisch palästinensische Zivilisten.

    Das Chaos, glauben manche israelische Analysten, spiele den Verfechtern eines „Groß-Israels“ in die Hände: Es könnte als Vorwand dienen, das gesamte Gebiet unter Israels Kontrolle zu bringen. Derzeit ist die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) in einem Teil des Gebiets für zivile Belange zuständig. Genau diese versuchen Smotrich und Ben-Gvir systematisch zu schwächen. Ende April drohte Smotrich, sollte die PA sich weiter um internationale Anerkennung eines palästinensischen Staates bemühen, werde er die palästinensischen Zollgelder einfrieren, die Israel für die PA kassiert. Dazu forderte er, dass Israel in einem solchen Fall „alle Verbindungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde kappt und für deren unmittelbaren Fall sorgt und sofort und unilateral seine Souveränität“ über das gesamte Westjordanland erklärt. (mit dpa)

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