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Umweltschutz: EU-Staaten beschließen umstrittenes Naturschutzgesetz

Umweltschutz

EU-Staaten beschließen umstrittenes Naturschutzgesetz

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    Wie lange geht das noch gut? Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (links) mit Bundeskanzler Karl Nehammer (Mitte) und Vizekanzler Werner Kogler.
    Wie lange geht das noch gut? Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (links) mit Bundeskanzler Karl Nehammer (Mitte) und Vizekanzler Werner Kogler. Foto: Georg Hochmuth, dpa

    Nervös wirkte Leonore Gewessler nicht, als sie am Montagmorgen im Sitzungssaal auf dem Luxemburger Kirchberg aufgerufen wurde. Im Gegenteil. „Eine gesunde Umwelt und resiliente Ökosysteme sind und bleiben die Grundlage unseres wirtschaftlichen Erfolgs und unseres Fortbestehens als Gesellschaft auf diesem Planeten“, las die österreichische Klimaschutz- und Umweltministerin im Ministerrat ihre Rede souverän vor, und das klang erst einmal nicht nach Rebellion. Ein entscheidender Satz aber sollte für einen Paukenschlag in der Heimat sorgen. 

    „Von daher stimme ich heute für die Annahme des Vorschlags.“ Die Grünen-Politikerin Gewessler betonte das „für“ ausdrücklich. Mit ihrem Ja sorgte sie für die notwendige qualifizierte Mehrheit im Kreis der 27 Mitgliedstaaten und damit den Durchbruch: Das umstrittene Gesetz zur Wiederherstellung der Natur ist final beschlossen.

    Sprach Österreichs Umweltministerin Gewessler für die Regierung in Wien?

    Vor Gewessler auf dem Tisch stand ein Schild, auf dem in Großbuchstaben Österreich geschrieben war. Sprach sie hier im Namen des Alpenlands? Wenn es nach ihrem konservativen Koalitionspartner, der ÖVP, geht, dann fiel die Antwort deutlich aus: Nein. Österreichs Kanzler Karl Nehammer hatte am Sonntagabend gar vorab einen Brief an den Premierminister Belgiens geschrieben, das aktuell den Ratsvorsitz innehat. Darin erklärte er Gewessler in dieser Sache für nicht bevollmächtigt, sie dürfe nicht zustimmen. Doch die Belgier zeigten sich unbeeindruckt. Es zähle lediglich die Wahl, hieß es, ganz nach dem Motto: Liebe Österreicher, das ist euer innenpolitischer Zirkus. Für uns zählt, was am EU-Tisch entschieden wird. 

    Und während die ÖVP in Österreich nun „wegen Amtsmissbrauchs“ strafrechtlich gegen Gewessler vorgeht, haben die Umweltminister mit dem Votum eine monatelange Blockade auf EU-Ebene gelöst. Damit kann das umstrittene Renaturierungsgesetz in Kraft treten, das nichts weniger als die Natur retten soll. 

    Europa sei „endlich besser gewappnet im Kampf gegen Artensterben und die Folgen der Klimakrise“, lobte die Grünen-Europaabgeordnete Jutta Paulus. Ohne Artenvielfalt gebe es „weder fruchtbare Böden noch saubere Luft oder trinkbares Wasser“. Nach Jubelstürmen klang das trotzdem nicht. Vielmehr war in Brüssel ein erleichtertes Aufatmen zu vernehmen, dass die Verordnung nach zwei Jahren mühsamer Verhandlungen doch nicht komplett gekippt wurde. 

    Eigentlich hatten sich die EU-Länder und das Europaparlament bereits im November auf einen Kompromiss verständigt, der bereits den lautstarken Protest der Bauern berücksichtigt hatte. So wimmelt es in dem Text nun von flexiblen Formulierungen, Ausnahmen und Notbremsen, auch wenn die Zielmarke des Gesetzes weiter besteht: Die EU-Länder sind angehalten, bis 2030 auf mindestens 20 Prozent der Landflächen und 20 Prozent der Meeresgebiete Wiederherstellungsmaßnahmen durchzuführen. Es geht etwa darum, trockengelegte Moore wieder zu vernässen, Seegras auf dem Meeresboden anzupflanzen, mehr Grün in Städte zu bringen und Wälder aufzuforsten.

    Bauern fürchten Überlastung durch Umweltschutzmaßnahmen

    Trotz der abgeschwächten Verordnung, mit der Bauern künftig – anders als ursprünglich geplant – nicht verpflichtet werden sollen, einen bestimmten Prozentsatz ihres Landes für umweltfreundliche Maßnahmen zur Verfügung zu stellen, rebellierten Landwirte und Konservative weiter. Manfred Weber, Partei- und Fraktionschef der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP), scheiterte jedoch zwei Mal im Straßburger Parlament mit seinem Plan, das Naturschutzvorhaben zu versenken. Länder wie Italien oder Polen beharrten auf ihrem Widerstand, sodass es das Gesetz nicht über die Ziellinie schaffte. Bis jetzt. 

    Im Europawahlkampf warnten vorneweg die Konservativen vor einer angeblichen Überbelastung der Bauern. „Mit dieser Entscheidung ist die faktenfreie Angstkampagne der Konservativen gegen das Naturwiederherstellungsgesetz endgültig gescheitert“, sagte die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt am Montag. 

    Das Gesetz steht in Brüssel mittlerweile wie als Symbol für die Polarisierung zwischen rechts und links in Sachen Klimaschutz – und bleibt auch nach dem Durchbruch dementsprechend umstritten. „Ich finde es schon bemerkenswert, dass die Mitgliedstaaten direkt nach der Europawahl dieses Gesetz beschlossen und alle berechtigten Proteste unserer Landwirte ignoriert haben“, sagte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Das Naturwiederherstellungsgesetz schaffe im Wesentlichen bürokratische Auflagen, werde der Natur aber nur wenig nutzen. 

    Platzt nun die Regierung in Österreich?

    In Österreich droht nun sogar der Koalitionsbruch zwischen konservativer ÖVP und den Grünen. Offenbar hat Nehammer noch die Hoffnung, die Abstimmung per Nichtigkeitsklage für ungültig erklären zu lassen. Doch in einem weiteren Brief, den Gewessler und der grüne Vizekanzler Werner Kogler am Montagmittag an die belgische Ratspräsidentschaft schickten, erklärte das Duo, der Bundeskanzler habe keine Richtlinienkompetenz. Zudem entschuldigte sich Gewessler, dass Belgien durch Nehammers Brief in die „innenpolitischen Auseinandersetzungen Österreichs“ hineingezogen wurde. 

    Die Alpenrepublik befindet sich mitten im Nationalrats-Wahlkampf, wochenlang hatten die Kanzler-Partei ÖVP und die Grünen darüber gestritten, ob Umweltministerin Gewessler überhaupt befugt sei, dem Gesetz zuzustimmen. Grund dafür sind nicht nur unterschiedliche Rechtsauffassungen, sondern auch die Frage, wer sich mit Blick auf die Wahlen wie positioniert. 

    Der Kanzler scheint sich das Verhalten seiner Ministerin nicht gefallen lassen zu wollen. Am Nachmittag legte er nach und richtete ein Schreiben an den Europäischen Rat: Er protestiere „formal“ gegen den Vorfall bei der Abstimmung am Montagvormittag, dieser „untergrabe den demokratischen Prozess“. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. 

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