Der Übergang war so nahtlos wie beängstigend: Kaum galt die Corona-Pandemie als einigermaßen bewältigbar, zog mit Beginn des Krieges im vergangenen Jahr schon die nächste Krise auf. Die Politik befindet sich damit in einem Dauer-Ausnahmezustand, in dem weitreichende Entscheidungen in kurzen Abständen gefordert sind. Normalerweise sind Krisenzeiten dennoch Hoch-Zeiten der Exekutive: Eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland vertraut der Regierung und ihrem Handeln. Doch das scheint sich abzunutzen: Das Vertrauen in die politischen Institutionen hat im vergangenen Jahr stark gelitten. Das zeigt eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa.
Nur noch jeder dritte Bundesbürger vertraut demnach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stark – 24 Prozent weniger als noch vor rund einem Jahr. Auch alle neun weiteren abgefragten politischen Institutionen bis zur Gemeindevertretung büßten in der Umfrage im Vergleich zum Vorjahr an Vertrauen ein. Das Vertrauen in die Bundesregierung ging um 22 Prozent auf 34 Prozent zurück.
Grund für geringes Politik-Vertrauen: „Performance“ von Friedrich Merz überzeugt nicht alle
„Verantwortlich für das gegenwärtige Vertrauenstief der politischen Institutionen scheinen gleichermaßen die von der Mehrheit als nicht zureichend empfundene ‚Performance‘ der Ampel-Regierung wie die zu konfrontative und zu wenig den Konsens-Erwartungen der meisten Bundesbürger entsprechende Oppositionsstrategie von Friedrich Merz zu sein“, analysiert Forsa-Chef Manfred Güllner die Lage.
Das immer noch höchste Vertrauen genießt dem Umfrageinstitut zufolge der Bundespräsident (63 Prozent), er verlor dabei 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Am wenigsten vertrauen die Menschen den politischen Parteien (17 Prozent, minus sieben Prozent). Das zeigt sich auch bei den Regierungsparteien – wirklich profitieren konnte kaum eine von ihnen. „So steht die SPD in der Wählergunst mit 19 Prozent zum Ende des Jahres 2022 zwar etwas besser da als nach einem Jahr der nach der Wahl 2017 gebildeten Großen Koalition“, schreibt Forsa. Doch der aktuelle Präferenzwert der Partei liege deutlich unter den Werten zum Ende der Jahre 1999, 2003, 2006, 2010 und 2014. „Der große Vertrauensverlust der SPD in der Nach-Schröder-Ära ist somit auch ein Jahr nach Übernahme des Kanzleramts noch nicht wettgemacht“, schlussfolgert Güllner.
Forsa-Chef Güllner: Unter Angela Merkel hatte die Union bessere Zustimmungswerte
Für die Grünen und die FDP sieht es kaum besser aus – sie bewegen sich auf einem stabilen Niveau, allerdings ohne Ausschläge nach oben. Profitieren von ihrer neuen Macht können sie also kaum.
Grund, über diesen Befund in Schadenfreude zu verfallen, gibt es für die Union nicht. Denn obwohl die Ampel mit der Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler kämpft, haben CDU und CSU davon nicht profitiert. Daran kann auch der Vorsitzende Friedrich Merz nichts ändern. Was ihn besonders ärgern dürfte: Die Union erhält „weiterhin geringere Zustimmungswerte als zu Zeiten von Helmut Kohl oder der von Merz stets heftig kritisierten Angela Merkel.“
Der Vertrauensverlust ist zumindest ungewöhnlich. „In der Vergangenheit stieg das Vertrauen in die Spitzen des Staates in Krisenzeiten immer“, sagt Manfred Güllner. Das sei zuletzt auch in der Corona-Krise zu beobachten gewesen. „Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger honorierte in der Corona-Krise, dass die politischen Akteure bei der Bekämpfung der Krise zwar in Nuancen unterschiedliche Meinungen hatten, letztlich aber doch Lösungen im Konsens suchten.“
Umfrage zeigt Unterschied beim Politikvertrauen zwischen Ost- und Westdeutschland
Auffällig ist auch bei dieser Umfrage, dass es noch immer einen Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland gibt. Menschen in den neuen Bundesländern vertrauen, mit Ausnahme der Gemeindevertretung, den politischen Institutionen insgesamt weniger als Menschen aus den alten Bundesländern. Am größten ist der Unterschied beim Vertrauen in den Bundespräsidenten (Osten: 53 Prozent, Westen: 65 Prozent) und zur Europäischen Union (Osten: 20 Prozent, Westen: 33 Prozent). „Der Unterschied im Grad des Vertrauens zu den einzelnen politischen Institutionen könnte darauf zurückzuführen sein, dass der Anteil der AfD-Anhänger im Osten des Landes deutlich größer ist als im Westen und die AfD-Anhänger fast alle Institutionen des demokratischen politischen Systems der Bundesrepublik nicht achten, sondern geradezu verachten“, analysiert Güllner. Doch selbst wenn man die Vertrauenswerte der Ost- und Westdeutschen unter Ausschluss der AfD-Anhänger vergleiche, gebe es immer noch deutliche Unterschiede zwischen Ost und West. „Es scheint also eine Art von der Affinität zur AfD unabhängiges, bisher aber immer noch nicht entdecktes ‚Ost-Gen‘ zu geben“, so Güllner.