Was die Führungsqualitäten von Regierungschef Olaf Scholz betrifft, ist Ulrich Silberbach eher skeptisch. Es gebe, sagt der Vorsitzende der Beamtengewerkschaft dbb, „im Kanzleramt jemanden“, der Führung versprochen habe, wenn man sie bei ihm bestelle. „Das scheint sich noch nicht so durchgesetzt zu haben“, konstatiert Silberbach mit Blick auf die neueste Bürgerbefragung zum Öffentlichen Dienst. Demnach gehen nur noch 27 Prozent der Deutschen davon aus, dass der Staat in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen. Das ist ein neuer Tiefststand, und der hat nach Silberbachs Einschätzung damit zu tun, dass sich die Politik nicht vor die Beschäftigten stellt. „Was wir von der Politik erwarten, ist eine klare Kante und ein klares Bekenntnis zum Öffentlichen Dienst“, fordert der Gewerkschaftsboss.
Forsa-Chef Manfred Güllner, dessen Meinungsforschungsinstitut die Zahlen erneut für den dbb erhoben hat, ordnet die Zahlen ein. Die Mehrheit der 73 Prozent in Deutschland, die den Staat für überfordert halten, beziehen das auf die Asyl- und Flüchtlingspolitik (26 Prozent). Güllner zeigt sich alarmiert, der Wert hat sich im Vorjahresvergleich um 16 Punkte erhöht. Knapp ein Fünftel verknüpft die Überforderung des Staates mit der Schul- und Bildungspolitik. Weitere 17 Prozent sehen Versäumnisse beim Klima- und Umweltschutz.
Schlechte Meinung besonders bei AfD-Anhängern
Besonders ausgeprägt ist die schlechte Meinung bei AfD-Anhängern. Auf die Frage, wie sie die Leistungsfähigkeit des Öffentlichen Dienstes im Vergleich zu den letzten Jahren einschätzen, antworteten 65 Prozent von ihnen mit „geringer“. CDU/CSU-Fans kamen auf dem zweiten Platz mit 48 Prozent zu dieser Einschätzung. Die Beamtenschaft zeigt sich vor diesem Hintergrund AfD-resilient. „Die Beamten sind die, die die niedrigste Affinität zur AfD haben“, sagt Güllner und ergänzt: „Da ist noch keine große Gefahr, dass hier eine Unterwanderung des Öffentlichen Dienstes stattfindet.“
Die Erhebung unter 2008 repräsentativ Befragten fand im Juni statt, knapp 16 Monate nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine. Seitdem ist die Einschätzung, der Staat solle das Land „durch zivile und humanitäre Hilfeleistungen unterstützen“, um fünf Punkte auf 29 Prozent gesunken. Gut jeder und jede Fünfte hält die Lieferung schwerer Waffen für notwendig. Dieser Wert rangiert in der Liste der wichtigsten Staatsaufgaben aber ganz unten. Zuvorderst werden die „Aufrechterhaltung der sozialen Gerechtigkeit“ (63 Prozent), die Verbesserung der Infrastruktur (47) sowie der Klimaschutz genannt (46).
Klare Mehrheit findet: Die Verrohung der Gesellschaft nimmt zu
Was die Zahlen auch zeigen: Im Westen werden Klimaschutz, Migrationsfragen und die Unterstützung der Ukraine als wichtigste Staatsaufgaben gesehen, im Osten eher die Inflationsentlastung, der soziale Ausgleich und die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land. Für dbb-Chef Silberbach ist „die sich immer stärker abzeichnende Spaltung der Gesellschaft“ ein weiteres Warnsignal: „Die Gräben zwischen Ost und West, Arm und Reich, je nach Bildungsabschluss, werden tiefer, und der gesellschaftliche Stresslevel steigt.“
Damit nicht genug. 80 Prozent der Befragten empfinden eine generelle Verrohung der Gesellschaft, die Zahl der Übergriffe ist weiterhin hoch. Vor allem Polizistinnen und Polizisten sind betroffen (64 Prozent), gefolgt von Rettungskräften (60), Busfahrerinnen und Busfahrern (45) sowie Feuerwehrleuten (41). „Die Verrohung und Gewaltbereitschaft ist inzwischen ein Riesenproblem für den Öffentlichen Dienst“, sagt Silberbach und ergänzt: „Aber eigentlich für unsere ganze Gesellschaft.“