Gemessen an den von ihm selbst aufgestellten neuen Maßstäben für Berliner Diplomaten, ist es in den vergangenen Wochen seltsam still geworden um Andrij Melnyk. Noch führt der 47-Jährige geschäftsführend seine Botschafterfunktion, nachdem er im Juli offiziell von Präsident Wolodymyr Selenskyj höchstpersönlich aus Berlin abberufen wurde.
Bis heute ist unklar, ob Melnyks bereits überlange Amtszeit, sein gelinde gesagt schwieriges Verhältnis zur deutschen Bundesregierung der Auslöser war oder sein eisernes Verteidigen des antisemitischen Nationalisten Stepan Bandera, der allerdings in der ukrainischen Politik parteiübergreifend als Freiheitskämpfer verehrt wird.
Andrij Melnyk will weiter nicht leise und höflich sein
Nun gibt es Neues von Melnyk: Der Nochbotschafter verriet nicht nur etwas über seinen neuen Job, sondern, dass er derzeit auch unter einer Art sich selbst auferlegtem Maulkorb leidet, was Kritik an der Bundesregierung angeht: „Wenn ich die letzten sehr dramatischen Monate leise und höflich in Berlin geblieben wäre, hätte es diese gewaltige Diskussion über – erst fehlende, dann unzureichende – deutsche Waffenlieferungen für die Ukraine vielleicht gar nicht so gegeben, wie das in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn der Fall war“, sagte der (Un-)Diplomat der Deutschen Presse Agentur. „Jetzt schweige ich bewusst seit eineinhalb Monaten dazu und man kann schon erkennen, wie sich meine ausbleibende Kritik auswirkt. Es gibt immer weniger medialen Druck auf die Ampel.“
Andrij Melnyk soll ukrainischer Vizeaußenminister werden
Doch mit der Zurückhaltung könnte bald wieder Schluss sein. Melnyk bestätigte, dass er einen neuen Job für die Kiewer Regierung annimmt: „Am 15. Oktober muss ich bereits in Kiew sein, um – wie es aussieht – einen neuen Posten im Außenministerium einzunehmen“, sagte Melnyk. Außenminister Dmytro Kuleba schlug ihn bereits als einen seiner Vizeaußenminister vor.
Manche in Berlin werden als Drohung auffassen, dass Melnyk Deutschland weiter verbunden belieben wolle: „Natürlich wäre ich froh, wenn ich weiter um Rat gefragt würde, auch wenn ich im Tagesgeschäft nicht unbedingt für die Beziehungen zur Bundesrepublik zuständig sein kann“, sagte er. „Egal welche Position in der Hauptstadt ich einnehmen darf, würde ich gerne in der Lage sein, meine persönliche Sichtweise zur ukrainischen Deutschland-Politik auch in Zukunft zu äußern – und hoffe, dass meine Meinung Gehör finden wird.“
Andrij Melnyk gibt seinem Nachfolger Olexij Makejew Tipps
Und auch für seinen designierten Nachfolger Olexij Makejew hat Melnyk einen Tipp parat: „Er müsste schnellstmöglich als Diplomat akzeptiert werden, also nett und freundlich sein, um neue Sympathien für die Ukraine zu gewinnen, gerade angesichts der Kriegsmüdigkeit und dieser überzogenen Debatte über einen kalten Winter“, sagte Melnyk. „Auf der anderen Seite glaube ich, dass er nicht umhinkann, auch unbequem und kantig zu sein und die träge deutsche Politelite immer wieder herauszufordern.“