Russlands Angriff auf die Ukraine ist nicht nur ein verbrecherischer Krieg, er beendet auch eine historisch lang andauernde Friedensphase in Europa. Jetzt rollen die Panzer, Raketen schlagen ein, Menschen sterben.
Präsident Wladimir Putin hat sich zunutze gemacht, dass dem Westen in den letzten Jahrzehnten die pure Vorstellungskraft abhandengekommen ist, dass eine bis an die Zähne bewaffnete militärische Weltmacht ein souveränes Nachbarland mit Krieg überzieht, um schnöde strategische Ziele zu erreichen. Der Überfall wurde seit Monaten oder gar Jahren minutiös vorbereitet. Militärisch und propagandistisch. Man müsse die eigenen Verbündeten schließlich vor einem Völkermord durch das Nazi-Regime in Kiew schützen – so die perverse Begründung aus Moskau.
Eine Szenerie wie in dem Drama „Biedermann und die Brandstifter“ des Schweizer Schriftstellers Max Frisch. Bösewichte nisten sich mit Benzinkanistern und Streichhölzern auf dem Dachboden ein, während der Biedermann in der Wohnung darunter sich noch immer sagt, es wird schon nichts passieren. Schließlich lodern die Flammen.
Der Autokrat Putin hat einen langfristigen Plan
Die Biedermänner sind wir. In Europa und gerade in Deutschland wollten viele nicht sehen, wie Putins Politik immer aggressiver wurde. Der Autokrat handelt nicht im Affekt, sondern nach einem langfristigen Plan, alte Machtpositionen zurückzuerlangen.
Jetzt brennt die Ukraine. In Flammen steht auch die europäische Friedensordnung, die – mit wenigen Ausnahmen – über Jahrzehnte Bestand hatte. Die Antwort an Putin muss auf allen Ebenen erfolgen. Es wird Sanktionen in einer Härte geben müssen, die Moskau nicht schon vorher eingerechnet hat. Andersherum gesagt: Der Westen muss Putin negativ überraschen.
Sanktionen alleine reichen allerdings nicht. Mit aller Kraft muss begonnen werden, von russischen Bodenschätzen unabhängiger zu werden. Sportliche Wettkämpfe mit russischen Teams sind obszön, solange in der Ukraine die Menschen sterben. Denn auch den Sport nutzt das System Russland virtuos zu Propagandazwecken.
Niemand weiß, wie viel Sowjetunion Putin wieder aufleben lassen will
Am wichtigsten aber: Die Nato muss an ihren Grenzen weit mehr militärische Präsenz zeigen. Denn wer weiß schon, wann Putins Gier gestillt ist. Wer kann schon prophezeien, wie weit er die Zeit zurückdrehen will. Wie viel Sowjetunion er wieder aufleben lassen will.
Die EU-Mitglieder – nicht zuletzt Deutschland – müssen ihre Streitkräfte wieder auf einen Stand bringen, der abschreckt. Mit Säbelrasseln hat das nichts zu tun, es geht um die Stärkung der defensiven Fähigkeiten der Nato.
Der Kriegsverbrecher Putin muss gestoppt werden, aber niemand sollte die russische Bevölkerung anfeinden
Spätestens jetzt sollte jeder erkennen, dass Beschwichtigungspolitik gegenüber Moskau in die Sackgasse führt. Wer glaubt, man könne Russland mit Zugeständnissen zähmen, lag und liegt falsch. Es ist richtig, dass westliche Politiker, Moskau – mündlich, nicht schriftlich wohlgemerkt – versprochen haben, die Nato nicht weiter nach Osten auszudehnen. Und zwar über die betroffenen Staaten hinweg. Abgesehen davon, dass Putin in Serie Versprechen bricht und schamlos lügt: Es war richtig, dass die Nato die baltischen Staaten, aber auch Polen, Bulgarien oder Rumänien aufgenommen hat. Ohne diese Absicherung hätten die Balten kaum ein demokratisches System aufbauen können, wenn sie denn überhaupt die staatliche Eigenständigkeit hätten retten können.
In dieser traurigen und aufwühlenden Situation sollte keiner die russische Bevölkerung anfeinden. In den nächsten Monaten und Jahren wird es vielmehr darum gehen, den Kriegsverbrecher Putin zu stoppen, der aus Russland einen Schurkenstaat gemacht hat.
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