Es hat nur ein paar Minuten gedauert, bis Wladimir Putin der Lüge überführt wurde. Noch während seiner verstörenden Rede an die Nation am Montagabend war klar, dass der russische Präsident in vielen Punkten nicht die Wahrheit sagte. Weder wird die Ukraine von der Nato gesteuert, noch bastelt sie an einer Atombombe, und erst recht plant sie keinen Angriff auf Russland. Auch seine Behauptung, im Donbass finde ein Völkermord an Russen statt, hat nichts mit der Realität zu tun.
Doch je offensichtlicher Putin die Tatsachen verdreht, desto stärker scheinen seine Landsleute sich hinter ihm zu versammeln. Warum kommt er mit solchen Verschwörungstheorien durch? Die Antwort liegt vor allem in einer seit vielen Jahren systematisch aufgebauten Strategie.
Putins Propaganda ist eine Mischung aus wenigen Fakten, vielen Lügen und angestachelten Emotionen. Dass die Erzählung, Moskau werde vom Westen bedroht und von der Nato geradezu eingekreist, verfängt, hängt damit zusammen, dass die Menschen in Russland sie schon so lange zu hören bekommen.
Russland ist eben nicht von der Nato umzingelt, wie Wladimir Putin unterstellt
Fakt ist: Russlands Landesgrenze erstreckt sich auf mehr als 20.000 Kilometer und nur ein minimaler Bruchteil davon grenzt tatsächlich Nato-Staaten – an Norwegen, Estland, Lettland. Doch unabhängige Medien oder eine Opposition, die darauf hinweisen könnten, gibt es in dem Riesenland quasi nicht mehr.
Die meisten kritischen Journalisten und politische Rivalen wurden zum Schweigen gebracht. Manche landeten im Gefängnis. Manche bezahlten sogar mit ihrem Leben. In den auf Linie gebrachten staatlichen Zeitungen und Sendern wird immer das gleiche Bild gezeichnet: Der Westen, die Amerikaner, die Europäer und Verräter im eigenen Land wollen verhindern, dass Russland zu alter Stärke zurückfindet.
Der Kreml-Chef weckt eine Sehnsucht nach Zeiten der Sowjetunion
Damit weckt Putin nicht nur den Trotz seines Volkes, sondern auch eine latente Sehnsucht nach einer Zeit, in der sich niemand ohne Not mit der Weltmacht Sowjetunion anlegen wollte. Wenn dieser „Westen“ ihn dann der Lüge und Provokation bezichtigt, wenn er mit Sanktionen droht und sich an die Seite der Ukraine stellt, dann ist das für viele Russinnen und Russen weniger ein Grund, den eigenen Präsidenten infrage zu stellen, sondern im Gegenteil eher ein Beweis dafür, dass Putin recht hat und sich tatsächlich alle gegen ihr Land verschworen haben. Und dass der Westen gezielt ehemalige Sowjetrepubliken wie die Ukraine zu Verbündeten gegen Moskau machen will.
Auch im Ausland versucht Putins Regime seit vielen Jahren, die Stimmung zu vergiften. Soziale Netzwerke sind ein idealer Nährboden dafür. Ganz gezielt und mit großem Aufwand werden auf Twitter oder Facebook und über Messengerdienste wie Telegram manipulative Inhalte und Falschinformationen verbreitet. Diese sickern dann langsam in die Gesellschaft – auch in Deutschland.
Der Propaganda-Sender RT oder Nachrichtenplattformen wie Sputnik erreichen hunderte Millionen Menschen in aller Welt. Sie zitieren sich gegenseitig als Quellen für vermeintliche Recherchen und simulieren damit nachprüfbaren Journalismus. Bisweilen werden Geschichten aber nicht nur verzerrt, sondern frei erfunden, um Stimmungen anzuschüren.
Putins Propaganda löste sogar schon Demos in Deutschland aus
Ein Beispiel: Während der Flüchtlingskrise verschwand in Berlin ein deutsch-russisches Mädchen namens Lisa. Schon bald verbreitete die russische Propaganda, die 13-Jährige sei von Flüchtlingen verschleppt und vergewaltigt worden. Es kam zu Protesten von Russlanddeutschen in mehreren deutschen Städten. Sogar Außenminister Sergej Lawrow schaltete sich ein und warf der deutschen Justiz Vertuschung vor. Dass sich die Geschichte als falsch erwies, spielte am Ende keine Rolle mehr. Der Spaltpilz hatte sich längst verbreitet und ein bisschen was bleibt immer hängen.
Putin, der als Agent gelernt hat, wie man Menschen manipuliert, ist es im Zweifel ohnehin egal, ob ihm außerhalb seines Landes jemand glaubt. Auf die Wirkung nach innen kommt es ihm an. Wenn sein wahnhafter Auftritt am Montag an die kühlsten Zeiten des Kalten Krieges erinnert hat, war das kein Zufall, sondern Teil einer großen Inszenierung mit einer klaren Botschaft: Es kümmert Putin nicht, ob ihn andere einen Lügner nennen, solange die Welt nur den Atem anhält, wenn er spricht.
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