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Ukraine-Krise: Im Ukraine-Konflikt stehen die Tage der Entscheidung an

Ukraine-Krise

Im Ukraine-Konflikt stehen die Tage der Entscheidung an

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    Ein vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums veröffentlichtes Foto zeigt Panzer, die an einem Bahnsteig verladen werden.
    Ein vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums veröffentlichtes Foto zeigt Panzer, die an einem Bahnsteig verladen werden. Foto: Russian Defense Ministry Press, dpa

    Drei Tage, vielleicht fünf. Das ist der Zeitraum, in dem in der Ukraine noch alles passieren kann. Auch ein großer Krieg. So beurteilen Militärfachleute die Lage in der Krisenregion. „Die Situation ist weiterhin extrem ernst und wird sich noch verschärfen“, warnt etwa der Danziger Sicherheitsexperte Konrad Muzyka, der als einer der besten unabhängigen Militäranalysten in Europa gilt. An seiner Einschätzung hat auch die russische Ankündigung nichts geändert, Truppen aus dem Grenzgebiet zur

    Ukrainerinnen und Ukrainer tragen am "Tag der Einheit" eine 200 Meter lange ukrainische Fahne durch das Olympiastadion.
    Ukrainerinnen und Ukrainer tragen am "Tag der Einheit" eine 200 Meter lange ukrainische Fahne durch das Olympiastadion. Foto: Vadim Ghirda, AP/dpa

    Besonders zugespitzt ist die Lage, weil sich zwei russische Großmanöver dem Ende nähern. Die Übung „Vereinte Entschlossenheit“ in Belarus mit mehreren zehntausend Soldaten soll bis Sonntag dauern. Ein Seemanöver vor der Halbinsel Krim wird nach Angaben aus Moskau spätestens am Freitag beendet. Erste Kriegsschiffe seien in die Häfen zurückgekehrt. Fachleute halten gerade diese Phase für gefährlich. Am Ende von Manövern sei die Lage oft so unübersichtlich, dass sie den getarnten Übergang in eine Offensive ermögliche. Hinzu kommt, dass am Sonntag die Olympischen Spiele in Peking enden. Beobachter gehen davon aus, dass der russische Präsident Wladimir Putin seinem chinesischen Kollegen Xi Jinping das Großereignis nicht durch einen Krieg „verderben“ will.

    In der Ukraine feiern und singen sie am Mittwoch trotzdem. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den 16. Februar kurzerhand zum „Tag der Einheit“ erklärt. Vor Schulen, Behörden oder auf dem Kiewer Maidan wehen blau-gelbe Flaggen. Um Punkt 10 Uhr stimmen Menschen überall im Land die Hymne an. Anlass für die Aktion ist eine Warnung der US-Geheimdienste, die das Datum als „D-Day“ genannt hatten. Als den wahrscheinlichsten Tag für einen russischen Generalangriff auf das Nachbarland. Doch am Mittwoch verstreicht Stunde um Stunde ohne Invasion. „Es ist uns und unseren Partnern gelungen, Russland von einer Eskalation abzubringen“, jubelt Außenminister Dmytro Kuleba. Das klingt nach endgültiger Entwarnung, ist aber nicht so gemeint: „Wir glauben es erst, wenn wir es sehen.“

    Zu sehen ist von einem russischen Rückzug noch nicht viel

    Und zu sehen ist eben noch nicht viel von einem russischen Rückzug. Für die Menschen in der Ukraine ist all das verwirrend und beängstigend. Umso stärker setzt die Regierung in Kiew auf Beruhigung. Denn das Schlimmste, was aus ihrer Sicht passieren könnte, wäre eine Panik im Land. Seit Tagen appelliert Präsident Selenskyj an den Zusammenhalt in der Gesellschaft. „Nur gemeinsam können wir unsere Heimat schützen“, sagt er am Mittwoch und eröffnet einen Fernsehmarathon unter dem Motto „#UAvereint“, der auf allen Kanälen übertragen wird. „Uns eint der Wunsch, in Frieden und Glück zu leben, mit unseren Kindern und Eltern.“

    Viel spricht allerdings nicht dafür, dass die ukrainischen Wünsche allzu bald in Erfüllung gehen. Nach Einschätzung des Moskauer Sicherheitsexperten Dmitri Trenin, der über beste Kontakte in den Kreml verfügt, ist Russland derzeit dabei, ein „Spannungsplateau“ zu errichten. Demnach wird sich an der grundsätzlichen militärischen Lage rund um die Ukraine auf absehbare Zeit nicht viel ändern: kein schneller Angriff, aber dauerhafte Invasionsdrohung. Darauf deutet auch die politische Entwicklung in Moskau hin. Denn noch am Dienstag, als die Regierung den Truppenabzug erstmals ankündigt, fordert die Staatsduma per Resolution vom Präsidenten die Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im ostukrainischen Donbass.

    Putin selbst sagt bei der Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz, in der Region drohe ein „Genozid“, verübt von ukrainischen Soldaten an der einheimischen Bevölkerung. es Belege dafür gibt es nicht. Hinter der Aussage verbirgt sich aber eine erneute Kriegsdrohung. Denn Russland hat inzwischen mehrere hunderttausend Pässe im Donbass ausgegeben und dadurch ebenso viele Menschen zu eigenen Staatsbürgern gemacht. Das wiederum könnte der Kreml jederzeit zum Anlass nehmen, „Schutztruppen“ in die Gebiete Donezk und Luhansk zu schicken. Zumal Putin im Beisein von Scholz Parallelen zum Kosovo-Krieg 1999 zieht, als die Nato mit Verweis auf einen drohenden Völkermord Ziele in Serbien bombardierte.

    Der Donbass könnte Ziel einer russischen Militäraktion sein

    Auch der frühere ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin ist überzeugt, dass der Donbass das wahrscheinlichste Ziel einer russischen Militäraktion bleibt. Es gehe Putin aber nicht zwingend um eine Annexion, sondern um eine „dauerhafte Destabilisierung“ der Ukraine. Dafür sprechen auch die wiederholten Cyberattacken. Jüngste Opfer sind am Dienstag das Verteidigungsministerium in Kiew und zwei staatliche Banken.

    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beschwört seit Wochen den Zusammenhalt der Gesellschaft.
    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beschwört seit Wochen den Zusammenhalt der Gesellschaft. Foto: Ukrainian Presidential Press Off, dpa

    Gibt es angesichts dieser Lage für die ukrainische Regierung und ihre Partner im Westen überhaupt eine realistische Chance, aus der Eskalationsspirale herauszukommen. Scholz hofft auf eine Wiederbelebung des Minsker Friedensprozesses für die Ostukraine. Dafür hat der Kanzler neue Kiewer Vorschläge an Putin übermittelt. Militärexperte Muzyka dagegen erinnert daran, dass Russland für den Jahresbeginn auch eine Übung der Nuklearstreitkräfte angekündigt hat, Codename „Grom“ (Donner). Der genaue Termin ist nicht bekannt.

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