Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Ukraine-Krise: Die deutsche Außenpolitik steckt in der Russland-Falle

Ukraine-Krise

Die deutsche Außenpolitik steckt in der Russland-Falle

    • |
    Am 18. Januar war Außenministerin Baerbock zum Antrittsbesuch beim Amtskollegen Lawrow in Russland. Kann ihr eine neue Außenpolitik gegenüber Russland gelingen? (Archivbild)
    Am 18. Januar war Außenministerin Baerbock zum Antrittsbesuch beim Amtskollegen Lawrow in Russland. Kann ihr eine neue Außenpolitik gegenüber Russland gelingen? (Archivbild) Foto: Maxim Shemetov, Reuters/AP/dpa

    Der außenpolitische Sonderweg Deutschlands im Verhältnis zu Russland ist spätestens mit der jüngsten Eskalation im Ukraine-Konflikt gescheitert. Es besteht akute Kriegsgefahr und für Berlin kommt es zum Schwur: Wo steht Deutschland?

    Bei den wichtigsten Verbündeten in Europa und Nordamerika sind nicht erst in den vergangenen Wochen Zweifel daran aufgekommen, ob auf Deutschland wirklich Verlass ist. Jetzt muss die neue Bundesregierung unmissverständlich klar machen, dass sie eine entschlossene Reaktion der westlichen Werte- und Verteidigungsgemeinschaft ohne Wenn und Aber mitträgt.

    Der deutsche Sonderkurs untergräbt die Geschlossenheit des Westens

    Die Hoffnung, die Bundesrepublik könne im Konflikt eine wichtige Vermittlerrolle einnehmen, muss zumindest für den Moment begraben werden. Ohnehin stöhnen Nato-Partner regelmäßig verzweifelt auf, wenn deutsche Politiker auf dem internationalen Parkett als Russlandversteher unterwegs sind. Für sie gefährdet der deutsche Sonderkurs vor allem den Eindruck der Geschlossenheit des Westens.

    Auf deutscher Seite wird auf derlei Bedenken gebetsmühlenhaft mit dem Verweis auf die Geschichte reagiert. Der ist durchaus berechtigt. Es ist undenkbar, die deutsch-russischen Beziehungen ohne die Katastrophe des Überfalls Hitlers auf Stalins Sowjetunion zu betrachten. Aus der deutschen Verantwortung für das unsägliche Leid im Osten Europas erwächst eine besondere Verpflichtung für gute Beziehungen zu den Staaten der Region – und zwar allen.

    Deutschland ist zu guten Beziehungen in der Region historisch verpflichtet

    Gelitten unter dem deutschen Angriffskrieg hat nämlich nicht nur das heutige Russland. In der Ukraine, damals Teil der Sowjetunion, haben die Wehrmacht und die Schergen der SS besonders brutal gewütet. Deutschland sollte also stets auch an die Menschen dort, in den baltischen Staaten und Polen denken, die ebenfalls Opfer des brutalen Nazi-Krieges waren.

    In der angespannten Weltordnung der Nachkriegszeit drehte sich deutsche Außenpolitik anders als heute vorrangig um Sicherheit. Die Bonner Republik fand sie im Rahmen von Westbindung und Nordatlantikpakt. Auch bei der "Ostpolitik" von SPD-Kanzler Willy Brandt war die Dialogbereitschaft gegenüber Moskau nur die eine Seite der Medaille. Brandt wusste genau, wo Deutschland stand: Mitten im westlichen Werte- und Verteidigungsbündnis. In der Nato, die auch mit Atomraketen Zähne zeigte gegenüber dem von Moskau angeführten Warschauer Pakt, zu dem das andere Deutschland, die DDR, gehörte.

    Deutsch-russische Beziehungen zwischen Männerfreundschaft und Skepsis

    Als der Ostblock schließlich bröckelte und Deutschland die historische Chance der Wiedervereinigung ergriff, schienen auch die deutsch-russischen Beziehungen vor einer sonnigen Zukunft zu stehen. Hoffnungen, die im Persönlichen durch das besondere Verhältnis von Kanzler Helmut Kohl zu Michail Gorbatschow und Boris Jelzin, später die dicke Männerfreundschaft zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin, verkörpert wurden. Die Wirtschaft freute sich auf gute Geschäfte, die Gesellschaft auf regen Austausch. Nichts schien ferner zu liegen als eine militärische Auseinandersetzung in Europa. Zumal die einstige Sowjetarmee zerrüttet schien.

    Kanzlerin Angela Merkel, aufgewachsen in der DDR, blickte deutlich illusionsloser nach Russland, wo Präsident Wladimir Putin die Armee wieder hochpäppelte, während die Wirtschaft von Rohstoffen abhängig blieb. Merkel war es, die 2014 für eine geschlossene Antwort Europas auf die Annexion der Krim und die russische Zündelei in der Ostukraine sorgte. Gleichzeitig ließ sie aber die Forderungen aus Washington nach einem Deutschlands Wirtschaftsleistung angemessenen Beitrag zur Nato abperlen.

    Bei Nord Stream 2 ignorierte Deutschland die Kritik westlicher Partner

    Das Gas-Pipeline-Projekt Nord Stream 2 wurde unbeirrt von den Irritationen der westlichen Partner weiterbetrieben. Mit Olaf Scholz hat jetzt ein Kanzler übernommen, der einer Partei angehört, in der die kritiklose Russland-Verklärung noch immer weit verbreitet ist. Das hat mit Resten von Sozialismus-Nostalgie in der SPD zu tun und auch mit dem noch immer starken Einfluss Schröders, heute Putins Chef-Lobbyist im Westen. Die sozialdemokratischen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel fanden selten deutliche Worte gegenüber Moskau, ausgerechnet dem ansonsten blassen Heiko Maas gelang das zumindest stellenweise.

    Die neue grüne Außenministerin Annalena Baerbock hat nun einen deutlichen Kurswechsel angekündigt. Wertegeleitet, am Klimaschutz ausgerichtet und feministisch soll die deutsche Außenpolitik sein. Das hört sich für die einen großartig an, für andere einfach nur naiv. Doch Häme ist fehl am Platz. Baerbock hat gezeigt, dass sie durchaus richtige Punkte anspricht: Soll die Unterdrückung der Zivilgesellschaft und die brutale Verfolgung der demokratischen Opposition in Russland wirklich ohne Echo bleiben? Ist ausgerechnet russisches Gas, ein fossiler Brennstoff, die richtige Krücke, die nach Atom- und Kohleausstieg die deutschen Energieprobleme löst? Und wären nicht Mädchen und Frauen wie in jedem Krieg besonders von einem russischen Einmarsch in der Ukraine betroffen?

    Es ist gut möglich, dass Baerbock mit ihren neuen Fragen bei Antworten aus dem klassischen Kanon der Außenpolitik landet. Die hat neben Gesprächsbereitschaft mit Bündnistreue, Verteidigungsbereitschaft und ja, auch mit Abschreckung zu tun. Viel deutlicher als bisher muss in der deutschen Außenpolitik gelten: Russland ist ein willkommener Partner – wenn es aber die Waffen sprechen lässt, europäische Grenzen und das Völkerrecht bricht, schert Deutschland aus einer konsequenten internationalen Reaktion nicht aus.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden