Eigentlich erlauben die strengen deutschen Richtlinien keinen Export von Waffen in Kriegs- und Krisengebiete. Um die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Invasion zu stärken, verabschiedet sich die Bundesregierung jetzt allerdings doch von ihrem rigiden Nein. So schnell wie möglich will sie 1000 Panzerabwehrwaffen sowie 500 Boden-Luft-Raketen aus Bundeswehrbeständen an die ukrainische Armee liefern. Außerdem hat sie den Niederlanden und Estland die Lieferung von Waffen an die Ukraine genehmigt, die aus deutscher Produktion oder noch aus DDR-Beständen stammen. Weitere Lieferungen könnten folgen: Die Koalition prüft bereits, ob Deutschland der Ukraine noch mehr Waffen, Munition und militärische Ausrüstung zur Verfügung stellen kann.
Mit einem beispiellosen finanziellen Kraftakt will die Bundesregierung gleichzeitig die Bundeswehr aufrüsten. Noch in diesem Jahr soll Finanzminister Christian Lindner (FDP) 100 Milliarden Euro für eine ganze Reihe von Rüstungsvorhaben zur Verfügung stellen. „Wir werden deutlich mehr investieren müssen in die Sicherheit unseres Landes, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen“, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einer Sondersitzung des Bundestages. Oberste Priorität habe dabei der Bau einer neuen Generation von Kampfflugzeugen und Panzern gemeinsam mit Frankreich. Auch die Anschaffung von bewaffneten Drohnen aus Israel, in der Koalition bislang ein umstrittenes Thema, soll nach den Worten von Scholz nun vorangetrieben werden. Wörtlich sagt er: „Was für die Sicherung des Friedens in Europa gebraucht wird, das wird getan.“
Scholz: Putin will die Uhren ins 19. Jahrhundert zurück drehen
Außerdem hat sich die Bundesregierung am Wochenende mit den westlichen Verbündeten darauf geeinigt, Russland zumindest teilweise vom internationalen Zahlungsverkehr auszuschließen – die bislang schärfste Sanktion, die den Handel zwischen Russland und dem Westen stark einschränkt. Davon betroffen sind alle russischen Banken, die bereits jetzt von der internationalen Gemeinschaft sanktioniert sind.
Wie beim Thema Waffenexporte hatte Scholz auch diesen Schritt bis zum Samstag für Deutschland noch ausgeschlossen. Nun betont er: „Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende. Er bedroht unsere gesamte Nachkriegsordnung.“ Im Kern gehe es jetzt um die Frage, ob Macht das Recht brechen dürfe und ob es Putin gestattet werden könne, die Uhren in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts zurückzudrehen.
„Wir werden Russland isolieren, wirtschaftlich, finanziell und politisch“, kündigt Lindner an, der nun in großem Stil neue Kredite aufnehmen, aber auch an anderer Stelle sparen muss. Um Deutschlands Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu reduzieren, sollen in Brunsbüttel bei Hamburg und in Wilhelmshaven zwei Flüssiggas-Terminals gebaut werden, an denen verflüssigtes Erdgas von großen Tankschiffen abgepumpt und für den heimischen Verbrauch verfügbar gemacht wird. Über das gut 400 Millionen Euro teure Vorhaben wird seit Jahren diskutiert, wegen der hohen Kosten und der Absage eines holländischen Investors allerdings liegt es gegenwärtig auf Eis.
Merz signalisiert Unterstützung der Union
Der Auftritt von Scholz im Bundestag ist auch für die deutsche Politik eine Zäsur. Weite Teile der Sozialdemokratie und die Grünen sehen nicht nur die Auslandseinsätze der Bundeswehr, sondern auch die deutschen Rüstungsexporte traditionell kritisch. Auch gegen das Ziel, jedes Jahr zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung in den Verteidigungshaushalt zu stecken, haben sie sich lange gesperrt – nun wird es durch Lindners 100-Milliarden-Programm erreicht.
Putins Einmarsch aber hat alles verändert. SPD-Chefin Saskia Esken nennt die Waffenlieferungen eine tragische Notwendigkeit. „Wir dürfen die Ukraine nicht wehrlos dem Aggressor überlassen, der Tod und Verwüstung über dieses Land bringt“, sekundiert Außenministerin Annalena Baerbock. Und wie fast immer in außenpolitischen Krisen steht auch die größte Oppositionsfraktion an der Seite der Regierungsparteien. Die Union werde die geplanten Maßnahmen unterstützen „und nicht im Kleinen herummäkeln“, verspricht der neue CDU-Chef Friedrich Merz. Wenn Scholz eine umfassende Ertüchtigung der Bundeswehr wolle, werde die Union auch gegen Widerstände den Weg mit dem Kanzler gehen.
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