Albtraum oder Segen, regulierbar oder unkontrollierbar? Darüber, wie Künstliche Intelligenz (KI) in Zukunft unser Leben verändert, welche Arbeit die Technik uns abnehmen kann, wird heftig debattiert. Aber es geht auch um die Gefahren, die durch die unüberschaubaren Möglichkeiten für Verfälschungen und Manipulation drohen. Weniger im Blick ist erstaunlicherweise die Frage, welche Auswirkungen KI auf bewaffnete Konflikte haben wird. Dabei gibt der Ukraine-Krieg, der seit Februar 2022 in Europa tobt, einen Vorgeschmack auf die bereits angelaufene Revolution der Kriegsführung.
Anselm Küsters und Jörg Köpke vom Centrum für Europäische Politik (cep) in Berlin haben eine Analyse zu diesem Thema vorgelegt. Die Autoren der europapolitischen Denkfabrik sind sich einig, dass die Forderung, KI für das Militär aus ethischen Gründen zu verbieten, unrealistisch ist – ein einseitiger Vorstoß des Westens in diese Richtung sei "sogar naiv“.
KI im Ukraine-Krieg: Es geht um Feindaufklärung und die Erkennung von lohnenden Zielen
Wie wird KI im Ukraine-Krieg eingesetzt? Ein wichtiges Feld ist die Feindaufklärung sowie die Erkennung von lohnenden Zielen mithilfe von Schwärmen kleiner Drohnen oder über Satelliten. "Kleine Drohnen sind leise, billig, leicht rekonfigurierbar und können der Artillerie Live-Videos von gegnerischen Stellungen liefern – wie bei einem Kartenspiel, bei dem man sehen kann, welche Karte die andere Seite auf der Hand hat“, so erklärte der Militärexperte Sean Bell den Vorteil der kleinen Flugobjekte im britischen Sender Sky News anschaulich. Aber es geht auch um die Auswertung von privat oder durch Unternehmen erstellte Fotos, Videos oder Texten in sozialen Medien in einem Umfang, der nur von KI geleistet werden kann.
Mit exakten Daten versorgt wäre der Soldat am Boden in der Lage, das Schlachtfeld auf seinem Laptop wie in einem animierten Kriegsspiel detailliert vor sich zu sehen. Die cep-Analysten kommen zu dem Schluss, dass die ukrainischen Streitkräfte weit versierter darin sind, KI für ihre Kriegsführung zu nutzen als ihre russischen Kontrahenten. Als Beispiele genannt werden mutmaßliche ukrainische Drohnenangriffe auf russische Treibstofflager und Militärstützpunkte oder die Attacke auf die Brücke von Kertsch, die die Krim mit Russland verbindet.
Russland nutzt digitale Technik für Cyberangriffe und Desinformation
Moskau nutzt digitale Techniken in erster Linie für Cyberangriffe gegen die Infrastruktur der Ukraine oder zur Verbreitung von Desinformation – mit überschaubarem Erfolg, wie Küsters und Köpke schreiben. Russlands Militärs setzen nach wie vor auf Feuerkraft und einen schier unerschöpflichen Nachschub an Kämpfern. Zum Einsatz kommen hauptsächlich iranische Kamikaze-Drohnen, die mit Sprengstoff beladen in ihr Ziel gesteuert werden sollen – was jedoch nicht selten fehlschlägt, oft mit fatalen Folgen für die Zivilbevölkerung.
Die These, dass die digitale Revolution die Grausamkeit von Kriegen vermindern kann, weil fatale Treffer von Marktplätzen oder Schulen verhindert werden, ist äußerst umstritten. Es fehlt zudem an globalen Übereinkünften zur Regulierung von KI im Militärbereich; die laufenden UN-Verhandlungen sind wenig erfolgversprechend. Die EU hat die militärische Nutzung aus ihren Vorgesprächen für ein Gesetz zum Umgang mit KI ausdrücklich herausgenommen. Es könnte – so hoffen die cep-Analysten – dennoch Grundlage sein, um Verbote für "tödliche autonome Waffen“ zu erreichen.
Heikel ist die immer prekärer werdende Balance zwischen automatisierten Abläufen und den menschlichen Eingriffsmöglichkeiten. Wenn Kontrahenten aufeinandertreffen, die beide über KI-Aufklärungs- oder Waffensysteme verfügen, können Bruchteile einer Sekunde darüber entscheiden, wer in einer Schlacht die Oberhand behält. Eine Konstellation, die Vorfälle wahrscheinlicher macht, bei denen zivile Opfer zu beklagen sind.