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Krieg in der Ukraine: Habeck: Deutschland braucht noch zwei Jahre, um Putins Gas zu ersetzen

Krieg in der Ukraine

Habeck: Deutschland braucht noch zwei Jahre, um Putins Gas zu ersetzen

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    "Es droht ein katastrophaler Zusammenbruch unserer Produktionsnetzwerke", warnt der Chef des Verbands der Chemischen Industrie, Wolfgang Große Entrup.
    "Es droht ein katastrophaler Zusammenbruch unserer Produktionsnetzwerke", warnt der Chef des Verbands der Chemischen Industrie, Wolfgang Große Entrup. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Moral oder Markt? Diese Frage stellt sich in den Zeiten des Krieges mit einer neuen Unbedingtheit. Die Bundesregierung antwortet dem flehenden ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: Markt. Jedes russische Bombardement einer ukrainischen Stadt wird diese Position aber als fragwürdiger erscheinen lassen.

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) arbeitet deshalb Tag und Nacht daran, die Importe von Gas, Öl und Kohle aus Russland zu senken. Zum einen, um dem russischen Staat die Einnahmen aus dem Rohstoffhandel zu nehmen. Zum anderen, um der Welt zu zeigen, dass Deutschland etwas tut. Denn Selenskyj hatte bei seiner Rede im Bundestag die Deutschen angeklagt, dass es ihnen immer nur um "Wirtschaft,

    Nur noch halb so viel Öl soll künftig aus Russland kommen

    Habeck kann den Ukrainern vier Wochen nach dem Überfall zumindest zeigen, dass sich Deutschland bewegt. Bis zum Sommer sollen die russischen Öleinfuhren halbiert werden. Vor dem Einmarsch deckten die Lieferungen ein Drittel des Verbrauchs. Bis zum Herbst will Deutschland unabhängig von russischer Steinkohle werden. Einspringen soll unter anderem Venezuela, was eine ironische Seite hat. Denn die sozialistische Diktatur steht trotz des Krieges fest an der Seite Russlands.

    Schwieriger ist der Abschied von russischem Gas. Zwei Jahre noch, so Habecks Schätzung, wird es dauern, bis die Importe vollständig ersetzt werden können. "Auch wenn wir unabhängiger von russischen Importen werden, ist es für ein Energieembargo zum jetzigen Zeitpunkt zu früh", sagte Habeck am Freitag. Er hat sich in den vergangenen Wochen intensiv darum gekümmert, andere Lieferanten zu finden. Norwegen wird mehr bereitstellen, die Amerikaner werden mehr Flüssiggas mit Tankern nach Europa bringen.

    Politisch sind beide Länder unproblematisch, aber was Venezuela bei der Kohle, ist Katar beim Gas. Mit gebeugtem Rücken besiegelte der grüne Wirtschaftsminister mit Emir Tamim bin Hamad Al Thani neue Verträge. Der Staat am Golf ist eine absolute Monarchie, in der Frauen unterdrückt und ausländische Arbeiter ausgebeutet werden. Habeck und die gesamte EU nehmen auch in Kauf, dass das Gas aus den USA im schmutzigen Fracking-Verfahren gewonnen wird.

    Deutschlands Emanzipation von Russland schafft neue ungute Abhängigkeiten

    Der Grünen-Politiker spricht das Dilemma offen an, in dem er steckt. Will er die Wirtschaft am Laufen halten und russische Brennstoffe schrittweise substituieren, ist er auch auf Lieferanten angewiesen, die alles andere als demokratisch sind. Auf die bedrohliche Abhängigkeit vom Kreml folgt die ungute Abhängigkeit von Autokraten.

    Dass Habeck diese anrüchigen Geschäfte macht, liegt an zwei Faktoren. Erstens wird jede zweite Wohnung hierzulande mit Gas geheizt. Zweitens droht der deutschen Industrie ohne Gas der Kollaps. Vor allem die chemische Industrie verbraucht enorme Mengen. Als Grundstoffindustrie steht sie am Anfang der Wertschöpfungskette und beliefert zum Beispiel die Autoindustrie mit Lack und Kunststoff. Kommt es in den Chemiewerken zu einem Produktionsstopp, stehen wahrscheinlich bald die Bänder in anderen Branchen still.

    "Es droht ein katastrophaler Zusammenbruch unserer Produktionsnetzwerke", warnt der Chef des Verbands der Chemischen Industrie, Wolfgang Große Entrup. Die wirtschaftliche Stärke werde bei einem Gasembargo dauerhaft Schaden nehmen. Denn selbst für den Fall, dass Brennstoff aus anderen Quellen beschafft werden kann, ginge dann der Preis dafür noch weiter steil nach oben. Die deutschen Unternehmen wären nicht mehr wettbewerbsfähig.

    Es gibt trotz dieses Szenarios Wirtschaftsprofessoren, die ein Abschneiden der Energieimporte aus Russland für geboten halten. Lauteste Stimme ist Rüdiger Bachmann, der in den USA an der renommierten University of Notre Dame lehrt. Bachmann hat mit Kollegen in einem Papier ausgerechnet, dass die deutsche Wirtschaft im schlechtesten Fall um drei Prozent schrumpfen würde.

    Professoren sprechen sich für den Importstopp aus

    Sein Hauptargument geht so: Selbst wenn die Chemiewerke wegen Gasmangels schließen müssten, könnten deren Vorprodukte für andere Wirtschaftszweige aus anderen Erdteilen beschafft werden. Die Wertschöpfungskette würde nur um ein Glied kürzer. Als Ökonom sei er der Überzeugung, dass ein sofortiger Importstopp verkraftbar sei, meint Bachmann. "Als Staats- und Erdenbürger finde ich, wir sollten es tun", betont er.

    Die Studie gelesen hat auch Robert Habeck. Die Ergebnisse überzeugen ihn nicht, weil er davon ausgeht, dass sich der Extremfall nicht berechnen lässt. Habeck fürchtet hunderttausende Arbeitslose und eine De-Industrialisierung Deutschlands. Diesen Preis will er nicht zahlen, auch wenn er sich bewusst ist, dass Putin dadurch hohe Einnahmen zufließen.

    Jeden Tag sind es mehrere hundert Millionen US-Dollar, die den russischen Staatshaushalt ganz wesentlich finanzieren. Versiegte dieser Geldstrom, wäre Russland schwer getroffen. Dass dadurch das Morden in der Ukraine aufhört, ist dennoch fraglich. Denn Putins Soldaten werden in Rubel bezahlt, Russland kann Panzer und Kanonen ganz wesentlich selbst herstellen.

    Deutschland plant die Loslösung von russischer Energielieferung. Zu welchem Preis?

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