Selbstbewusst und entschlossen – so sollte der jüngste Auftritt der Nato-Verbündeten wirken. Schon bevor die Verteidigungsminister der 30 Mitglieder am Mittwoch in Brüssel zusammenkamen, war damit die Botschaft klar, die man in die Welt, aber vor allem nach Moskau aussenden wollte: Man werde sich nicht einschüchtern lassen von den Drohungen aus dem Kreml, Atomwaffen einzusetzen – und die Ukraine weiter militärisch unterstützen. Trotzdem, der Ton vieler Diplomaten klingt dieser Tage besorgter als vor einigen Monaten.
Generalsekretär Jens Stoltenberg meinte, man müsse die nukleare Bedrohung ernst nehmen. Gleichwohl würde ein solcher Schritt Konsequenzen nach sich ziehen. Wie diese konkret aussehen könnten, darüber wurde im Hauptquartier des Verteidigungsbündnisses weiter geschwiegen. Diplomaten betonten jedoch, dass im Kreis der Nato niemand die Möglichkeit einer atomaren Antwort vonseiten der Allianz nur in den Mund nehme, sollte Russland wirklich so weit gehen. Die Experten versicherten zudem, dass man keine Veränderungen im russischen Lager der Nuklearstreitkräfte beobachte, die auf eine solche Eskalation hinweisen würden. Vorbereitungen trifft man dennoch.
Die Nato übt die Abwehr von Atomangriffen
So hält die Allianz nächste Woche ihr jährliches Manöver mit dem Namen „Steadfast Noon“ zur nuklearen Abschreckung ab. Ist der Zeitpunkt Zufall – oder eine Reaktion auf Moskaus Drohgebärde? Es sei „Routine und schon lange geplant“, beschwichtigte Stoltenberg. An der Übung nehmen 14 Mitglieder der Allianz teil, um sicherzustellen, dass das Personal und das Equipment des Bündnisses für den schlimmsten Fall gerüstet sind.
Pünktlich zum Treffen hatte Deutschland zudem gute Nachrichten zu verkünden. Nahe der polnisch-ukrainischen Grenze wurde das erste von vier zugesagten Luftverteidigungssystemen vom Typ Iris-T SLM übergeben, laut Berlin das modernste Flugabwehrsystem der Bundesrepublik. Es handele sich um „eine ganz wichtige Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen Raketenbeschuss, gegen diesen Terror, der gegenüber der Bevölkerung ausgeübt wird“, sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD). Monatelang war das Versprechen, das Kanzler Olaf Scholz (SPD) schon Anfang Juni gegeben hatte, in der Luft gehangen.
Deutschland will der Ukraine vier Iris-Systeme liefern
Typisch deutsch, hieß es von Diplomaten in Brüssel hinter vorgehaltener Hand. Man schicke Waffen und auch die richtigen, aber stets dauere es zu lange und käme nur durch Druck von außen zustande. Am Montag und Dienstag bombardierte Russland Wohnhäuser, Straßenkreuzungen, Energieanlagen in der ganzen Ukraine. Hätte das 140 Millionen Euro teure Flugabwehrsystem Iris-T Tod und Zerstörung verhindern oder das Ausmaß zumindest verringern können? Experten sagen Ja.
Trotzdem, der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow lobte, dass mit dem Luftabwehrsystem „eine neue Ära der Luftverteidigung“ der Ukraine begonnen habe. Große Worte, große Dankbarkeit – sogar versehen mit einer persönlichen Nachricht an Lambrecht. Deutschland hat der Ukraine insgesamt vier der Flugabwehrsysteme zugesagt. Die restlichen drei sollen aber erst im kommenden Jahr übergeben werden.
Die Industrie soll schneller Waffen liefern
In den Gesprächen der Verteidigungsminister um Waffenlieferungen lag der Fokus unübersehbar auf der Luftabwehr. Neben Kanada, das ein Paket im Wert von umgerechnet mehr als 51 Millionen Euro ankündigte, versprachen die Niederlande die Lieferung weiterer Luftabwehrraketen an die Ukraine. Großbritannien wollte am Abend ebenfalls bekannt geben, Luftabwehrsysteme zur Verfügung zu stellen. Gleichwohl forderte Stoltenberg, die Rüstungsindustrie müsse mehr und schneller produzieren, damit die Bündnispartner ihre Vorräte wieder auffüllen können. Die gehen schlichtweg langsam aus. Deutschland sorgte darüber hinaus wegen eines anderen Vorschlags für Aufmerksamkeit.
Gemeinsames europäisches Luftverteidigungssystem in Planung
So fanden sich bis Mittwochabend 13 Anhänger der Idee eines gemeinsamen europäischen Luftverteidigungssystems gegen ballistische Raketen. Berlin wolle hierbei eine koordinierende Rolle einnehmen, bestätigte ein Nato-Diplomat. Neben Deutschland planen derzeit auch Belgien, Bulgarien, Estland, Finnland, Litauen, Lettland, die Niederlande, Norwegen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien sowie Tschechien am Donnerstag eine Absichtserklärung zu unterschreiben, damit die ersten Planungen für das Milliardenprojekt starten können.
Dem Diplomaten zufolge stellt sich die große Frage: Wer bezahlt das? Definitiv nicht Polen oder Frankreich, deren Signaturen auf dem Brief fehlen. Während Warschau ein eigenes Luftverteidigungssystem aufbauen will, setzt Paris traditionell auf die Abschreckungswirkung des eigenen nuklearen Arsenals als auf konventionelle Verteidigungssysteme.