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Ukraine-Krieg: Ein bisschen Freunde? Selenskyjs Versöhnungsbesuch in Deutschland

Ukraine-Krieg

Ein bisschen Freunde? Selenskyjs Versöhnungsbesuch in Deutschland

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    Ein gemeinsames Gespräch an der Kaffeetafel: Kanzler Olaf Scholz empfängt den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
    Ein gemeinsames Gespräch an der Kaffeetafel: Kanzler Olaf Scholz empfängt den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Foto: Presidential Office Of Ukraine, dpa

    Kommt er? Oder kommt er nicht? Wochenlang wurde gerätselt, ob Wolodymyr Selenskyj den Internationalen Karlspreis in Aachen persönlich entgegennimmt. Die letzten Zweifel sind erst ausgeräumt, als der ukrainische Präsident am Samstag gegen 22.45 Uhr in Rom einen Airbus 319 der Luftwaffe besteigt. "Bundesrepublik Deutschland" steht darauf. Normalerweise fliegt die Bundeswehr damit den Kanzler, den Bundespräsidenten oder Minister durch die Weltgeschichte. Für Selenskyj macht sie eine seltene Ausnahme. Zwei auf dem Lechfeld stationierte Eurofighter eskortieren den ukrainischen Präsidenten auf seinem Flug nach Berlin.

    In Rom hat der ukrainische Präsident zuvor die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni getroffen. Sie nennt ihn "meinen Freund" und sichert ihm Hilfe zu, "so lange es nötig ist und darüber hinaus". Danach trifft Selenskyj zu einer Audienz im Vatikan ein. Er trägt zur olivfarbenen Militärhose einen schwarzen Pullover mit dem „United24“, hinter dem sich Selenskyjs Spendenkampagne für sein Land verbirgt. Der Präsident reicht dem Papst die Hand, spricht von einer "großen Ehre". Der Pontifex soll im Gespräch "die dringende Notwendigkeit menschlicher Gesten gegenüber den unschuldigen Opfern des Konflikts" sowie seine "ständige Bitte an den Herrn um Frieden" betont haben.

    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist am Samstag im Vatikan mit Papst Franziskus zusammengekommen.
    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist am Samstag im Vatikan mit Papst Franziskus zusammengekommen. Foto: Vatican Media, dpa

    Nun also Deutschland. Selenskyj landet um 0.24 Uhr auf dem militärischen Teil des Flughafens BER. Zur selben Zeit überzieht Putins Armee sein Land mit Drohnen- und Raketenangriffen, landesweit wird Luftalarm ausgelöst. Der Präsident twittert: "Schon in Berlin. Waffen. Starkes Paket. Flugabwehr. Wiederaufbau. EU. Nato. Sicherheit." 

    Viele Berlinerinnen und Berliner haben schon längst mitbekommen, dass der ukrainische Präsident da ist. Nach Mitternacht ist in der Hauptstadt Hubschrauberlärm zu hören, die von viel Polizei begleitete Wagenkolonne wird auch aus der Luft abgesichert. Schon am Freitag hatte der schwarze Polizeihubschrauber seine Runden über der Stadt gedreht, ausgestattet mit Wärmebildkameras und anderer sensibler Technik. Das Regierungsviertel ist weitgehend abgesperrt: Die Polizei hat eine Allgemeinverfügung erlassen, die sie zu spontanen Sperrungen und Taschenkontrollen berechtigt. Auf den Dächern sind Scharfschützen postiert. Gullydeckel sind versiegelt.

    Selenskyj in Berlin: Die Polizei hat sich Tage zuvor verplappert

    Für den Gast aus der Ukraine gilt die höchste Sicherheitsstufe, wie sie auch für den Besuch eines US-Präsidenten angewendet werden würde. Nichts soll diesen Termin trüben, der so wichtig ist in diesen Zeiten, in denen der russische Einmarsch in die Ukraine Europa und die Welt in Atem hält. Details sind bis zur letzten Minute geheim gehalten worden. Dass die Berliner Polizei bereits Tage vorher versehentlich von einem möglichen Staatsbesuch berichtet hat, ist Kiew und der deutschen Regierung sauer aufgestoßen. Zu viele Unwägbarkeiten und Unsicherheiten sind mit dem Empfang eines Staatsgastes aus einem Kriegsgebiet verbunden, als dass er schon vorher in den Zeitungen stehen sollte.

    Am Sonntagmorgen ist das Schloss Bellevue erste Besuchsstation. Selenskyj wird von Frank-Walter Steinmeier empfangen. Die Atmosphäre ist nicht frostig, aber unterkühlt. „Gemeinsam werden wir gewinnen und den Frieden nach Europa zurückbringen“, schreibt Selenskyj ins Gästebuch. Das Wort „gemeinsam“ hat für ihn einige Bedeutungen, denn nach Kriegsausbruch im Februar 2022 fühlten sich die Ukrainer von Deutschland im Stich gelassen. Erst im dritten Anlauf wurde Steinmeier Ende Oktober in Kiew empfangen. Zuvor war ihm signalisiert worden, dass er nicht willkommen sei. Der Grund: Die aus ukrainischer Sicht russlandfreundliche Politik des ehemaligen Außenministers von der SPD.

    Es sind nur ein paar hundert Meter vom Schloss Bellevue zum Hof des Kanzleramtes, wo Kanzler Olaf Scholz den Gast aus Kiew mit militärischen Ehren empfängt. Selenskyj trägt Sweatshirt und Militärhose, Scholz Anzug und Krawatte. Das Kanzleramt ist zu dieser Zeit einer der sichersten Orte der Welt. Es geht bei dem mehrstündigen Treffen gar nicht so sehr um weitere Waffenlieferungen oder andere strategische Überlegungen. Nachdem Deutschland bei der Unterstützung der Ukraine zunächst zögerlich agiert hatte, soll und muss Vertrauen aufgebaut werden.

    In der anschließenden Pressekonferenz lesen beide zunächst vorbereitete Erklärungen ab. „Seit 444 Tagen stellen sich die Ukrainer diesem Krieg entgegen“, sagt der Kanzler und verspricht dem gebeutelten Land weitere Unterstützung. „Diese Solidarität, sie ist anhaltend und sie ist stark“, sagt der SPD-Politiker. 

    Das neue Waffenpaket für die Ukraine ist 2,7 Milliarden Euro wert

    Im ersten Kriegsjahr lief Deutschland der Entwicklung hinterher. Scholz verkündet zwar eine „Zeitenwende“, die Ukrainerinnen und Ukrainer bekamen davon indes zunächst nichts mit. Spät erst lieferte Deutschland Militärgüter, noch später erst schwere Waffen. Inzwischen gehört Berlin zu den wichtigsten Unterstützern. Dutzende ukrainische Soldaten wurden hierzulande ausgebildet. Bis zum 24. April erteilte die Regierung Genehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von rund 2,75 Milliarden Euro, darunter Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 A6. 

    An diesem Sonntag sagt Scholz dem "lieben Wolodymyr" weitere Unterstützung für den Abwehrkampf gegen die russischen Angreifer zu – ein Waffenpaket im Wert von 2,7 Milliarden Euro mit weiteren Panzern, Aufklärungsdrohnen und Flugabwehrsystemen. Die Liste hat Symbolkraft, viele der Waffen müssen erst noch produziert werden. Wann sie in der Ukraine eintreffen, ist offen.

    Selenskyj lobt, Deutschland sei jetzt nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant. Wenn das stimmt, hat Berlin London den Rang abgelaufen. Doch der Ukrainer will mehr. „Wir arbeiten jetzt daran, eine Kampfjet-Koalition zu schaffen“, sagt er. „Ich denke, ich werde mich auch da an die deutsche Seite wenden, uns hier zu unterstützen.“ Selenskyj will das Thema bei einer Sitzung mit dem Sicherheitskabinett ansprechen – ein informeller Kreis der Regierung, dem neben Scholz ausgewählte Kabinettsmitglieder wie Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsminister Boris Pistorius angehören. Doch vorerst wird Kiew wohl nicht mit deutschen Kampfjets rechnen können, wie Scholz andeutet. Einer direkten Antwort weicht der Kanzler aus, er verweist auf die gelieferten Luftabwehrwaffen und betont: „Das ist das, worauf wir uns als Deutsche jetzt konzentrieren.“ So ganz auf einer Wellenlänge sind die beiden also doch noch nicht.

    Selenskyj erklärt auf Nachfrage, dass er russisches Territorium nicht angreifen will und äußert die Hoffnung, dass der Krieg in diesem Jahr beendet werden kann. Offizielle Friedensverhandlungen gibt es nicht, hier diktiert Kiew die Bedingungen, was die Vermittlung für andere Länder erschwert. Beim G20-Gipfel in Indonesien hatte Selenskyj im November einen Zehn-Punkte-Plan mit Bedingungen vorgelegt, an dem er weiter festhält, wie er in Berlin betont. Scholz bekräftigt, dass es keinen Diktatfrieden geben könne mit Bedingungen, die Russland formuliere. „Russland muss seine Truppen zurückziehen. Ohne das wird es nicht gehen“, sagt der Kanzler.

    "Wir unterstützen Euch so lange, wie es nötig sein wird", sagt Scholz

    Bis dahin gilt das deutsche Versprechen: „Wir unterstützen Euch so lange, wie es nötig sein wird“, sagt Scholz. Der neben ihm stehende Selenskyj weiß das zu schätzen. Er bedankt sich mehrfach bei der Politik, richtet diesen Dank auch an alle deutschen Familien, die Kommunen und die Bundesländer. „Danke für jede Mutter, für jedes Kind, die Sie gerettet haben. Ruhm der Ukraine.“ 

    Gemeinsam fliegen Scholz und Selenskyj am frühen Nachmittag nach Aachen – Beobachter nennen das ein starkes Symbol. Selenskyj mag bei seinen Reisen durch Europa Beifall gewohnt sein. Dennoch wirkt er gerührt, fast etwas überwältigt, als im ehrwürdigen Krönungssaal des Rathauses fast zwei Minuten Applaus auf ihn einprasseln. Unter dem Kreuzrippengewölbe erhält er, gemeinsam mit dem ukrainischen Volk, den Internationalen Karlspreis für die Verdienste um die Einheit Europas. Der Preis bedeute „die tiefe Verneigung unserer freiheitlichen Gesellschaften vor der Tapferkeit und Entschlossenheit des ukrainischen Volkes und seines Präsidenten", sagt Scholz. Er erinnert daran, wie Selenskyj am Morgen des russischen Angriffs mit mächtigen Worten den Widerstand bekräftigt habe. „Der Präsident ist hier. Wir alle sind hier“, zitierte Scholz auf Ukrainisch aus der ersten Videobotschaft Selenskyjs. 

    Es war schon vorher klar, dass es dieses Mal anders zugehen würde in Aachen und das lag nicht nur an den Scharfschützen auf den Dächern rund um das Rathaus, an den versiegelten Gullydeckeln und dem abgesperrten Luftraum über der Stadt. Mit der Verleihung des Preises wollte das Komitee ein starkes Signal der Solidarität an die Welt senden. Das ukrainische Volk und Selenskyj würden in diesem Krieg nicht nur die Souveränität der Ukraine verteidigen, „sondern auch Europa und die europäischen Werte“, begründete das Direktorium. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen würdigt Selenskyj: "Sie kämpfen buchstäblich für Freiheit, Menschlichkeit und Frieden."

    „Ihr Freiheitswille und Ihre Widerstandskraft in dunkler Zeit spenden Hoffnung und Inspiration weit über die Ukraine hinaus“, sagt dann auch Scholz und es klingt ungewohnt emotional. Der Krieg zeige für die Ukraine und für die EU auf: „Wir stehen zusammen! Wir gehören zusammen! Und: Unsere Geschichte wird gemeinsam weitergehen."

    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird mit Applaus zur Preisverleihung in Aachen empfangen.
    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird mit Applaus zur Preisverleihung in Aachen empfangen. Foto: Federico Gambarini, dpa

    Selenskyj wiederum nennt die Auszeichnung eine "große Ehre". Er stehe hier für die Ukrainerinnen und Ukrainer, die jeden Tag für ihre Freiheit und für die Werte Europas kämpfen. "Jeder von ihnen würde es verdienen, hier zu stehen." 

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