Der Westen schaut besorgt zur ukrainischen Halbinsel Krim. Dort droht sich die politische Krise zu einem militärischen Konflikt auszuweiten. Ungeachtet scharfer Warnungen des Westens an Russland beantragte der russische Präsident Wladimir Putin am Samstag im Parlament die Entsendung von Truppen in das Nachbarland.
Wenig später stimmte das Oberhaus des russischen Parlaments der Entsendung von Truppen in die Ukraine zu.
Zuvor hatte der neugewählte Regierungschef der Krim Moskau um "Hilfe bei der Sicherung von Frieden und Ruhe" gebeten. Prorussische Milizen kontrollieren weiterhin Teile der Halbinsel.
Putin wolle die russische Armee in der Ukraine einsetzen, bis sich die olitische Lage wieder normalisiert habe, wurde Russlands Präsident in einer Erklärung des Kremls zitiert. Zur Begründung für seinen Antrag an den Föderationsrat, das Oberhaus des Parlaments, nannte der Staatschef die "außergewöhnliche Lage" in der Ukraine und eine "Bedrohung" für die dort lebenden russischen Staatsbürger.
Putin ignoriert Aufforderung des Westens, sich nicht in Ukraine-Konflikt einzumischen
Hintergrund: Machtkampf in der Ukraine
In der Ukraine stehen sich im Grunde zwei Lager gegenüber. Das Land ist gespalten in einen Teil, der sich eine stärkere Annäherung an die Europäische Union wünscht und einen Teil, der sich eher an Russland orientieren möchte.
Ein EU-Beitritt würde sehr wahrscheinlich eine Demokratisierung der Ukraine bedeuten. Die EU würde gerne eine Freihandelszone zwischen ihr und der Ukraine errichten. Gleichzeitig arbeitet die Ukraine eng mit Russland und anderen östlichen Staaten zusammen - sie ist wirtschaftlich von Russland abhängig. Ein Abkommen mit der EU hätte negative Folgen für diese Zusammenarbeit.
Die russland-treue Gruppe wird angeführt von der Regierung um Viktor Janukowitsch. Janukowitsch ist seit 2010 Präsident der Ukraine. Er war bereits von 2002 bis 2005 und 2006 bis 2007 ukrainischer Ministerpräsident. 2004 entzündete sich an seiner Person und seiner autokratischen Amtsführung bereits die Orangene Revolution. In deren Folge kam Janukowitsch zu Fall, bis ihm 2010 die Rückkehr an die Macht gelang.
Gegen Präsident Janukowitsch und seine Regierung kämpfen vor allem drei Oppositionsparteien. Nicht alle Demonstranten fühlen sich allerdings von der Opposition vertreten. Ihre Führer ständen dem Etablishment schon zu nahe, so die Kritik. Gleichzeitig sind die Oppositionsgruppen untereinander uneinig und die Demonstranten zunehmend radikalisiert. Zu den Kernforderungen der Opposition gehören eine Beschneidung der Macht des Präsidenten sowie Neuwahlen.
Zum einen ist da die pro-europäische Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen (Udar). Sie wird von Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko angeführt. "Udar" bedeutet auch "Faustschlag". Klitschko hat angekündigt, Präsident werden zu wollen. Auf dem Maidan ist er jedoch nur eine von vielen Führungsfiguren.
Eine weitere Oppositionspartei ist die Vaterlandspartei. Zur ihr gehört unter anderem die inhaftierte Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Angeführt wird die Partei vom ehemaligen Wirtschafts- und Außenminister Arseni Jazenjuk.
Zur Opposition zählt weiter die rechtsnationale Swoboda-Partei von Oleg Tiagnibok. Der Chirurg bezeichnet seine Anhänger und sich oft als "Sondereinheit fürs Grobe". Er ist auch schon durch antisemitische Äußerungen aufgefallen.
Zentraler Protestpalast der ukrainischen Demonstranten ist der Maidan. Auf dem Unabhängigkeitsplatz in der Hauptstadt Kiew campieren seit Monaten Regierungsgegner. Hier kam es zuletzt zu schweren Ausschreitungen zwischen Regierung und Opposition mit zahlreichen Toten und Verletzten. Der Maidan gibt den Protesten auch ihren Namen: Euromaidan.
Die Proteste entzündeten sich, als Präsident Janukowitsch am 21. November 2013 ein Assoziierungsabkommen mit der EU überraschend auf Eis legte. Pro-westlich gestimmte Ukrainer sahen darin eine Abkehr von der EU und eine neue Hinwendung hin zu Russland. In der Folge sicherte Russlands Präsident Putin Janukowitsch einen Milliarden-Kredit zu.
Anfang Dezember 2013 forderten Hunderttausende erstmals den Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch sowie Neuwahlen.
Am 19. Januar 2014 versuchten Hunderte Demonstranten, das Parlamentsgebäude zu stürmen. 200 Menschen wurden verletzt. Klitschko warnte vor einem Bürgerkrieg. Drei Tage später starben bei Zusammenstößen mindestens drei Demonstranten. Die Proteste weiteten sich auf die Regionen aus.
Ende Januar 2014 einigten sich Opposition und Regierung auf die Abschaffung umstrittener Gesetze und eine Amnestie für Demonstranten. Regierungschef Asarow trat zurück. Putin legte den zugesagten Kredit auf Eis.
Am 18. Februar 2014 und in den Tagen danach eskalierte die Lage auf dem Maidan. Es kam zu neuen Straßenschlachten mit Toten und Verletzten. Auf den Dächern standen Scharfschützen. EU-Politiker versuchten, zu vermitteln.
Am 21. Februar 2014 verkündete Präsident Janukowitsch, die für 2015 geplanten Präsidentschaftswahlen vorziehen zu wollen. Ein Datum nannte er allerdings nicht. Außerdem wolle er eine "Regierung der nationalen Einheit" bilden.
Am 22. Februar 2014 erklärte das ukrainische Parlament Janukowitsch für abgesetzt und legte den 25. Mai als Termin für Neuwahlen fest. Zudem wurde Ex-Regierungschefin Timoschenko freigelassen. Am 23. Februar 2014 wählte das Parlament Parlamentspräsident Alexander Turtschinow zum Übergangspräsidenten. Er gilt als Vertrauter von Timoschenko.
Nach seiner Absetzung wurde am 24. Februar 2014 gegen Janukowitsch Haftbefehl wegen Massenmords erlassen. Der Ex-Präsident tauchte unter. Bürger durchstöberten derweil sein Anwesen und fanden allerhand Absonderliches, beispielsweise einen Privatzoo.
Putin ignoriert damit die Aufforderung des Westens, sich nicht in den Konflikt einzumischen. US-Präsident Barack Obama hatte Russland am Freitagabend (Ortszeit) vor einem militärischen Eingreifen gewarnt. Jede Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine werde einen "Preis" haben, erklärte er. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte am Samstag zur Bewahrung der Einheit der Ukraine. Es müsse "alles getan werden", dass Konflikte "friedlich und diplomatisch gelöst werden", sagte Merkel in Berlin.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte Russland ebenfalls auf, die "Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine" sowie die Verträge über die russische Schwarzmeerflotte zu respektieren. Merkel und Steinmeier äußerten sich, bevor Putins den Einsatz des Militärs beantragte. Der britische Außenminister William Hague kündigte an, sich am Sonntag in Kiew mit Mitgliedern der neuen ukrainischen Regierung zu treffen.
Putin wurde um Hilfe gebeten
Putins Antrag ans Parlament erfolgte wenige Stunden, nachdem der prorussische Chef der Regionalregierung auf der Krim, Sergej Axjonow, Russland zum Handeln aufgefordert hatte. "Aus Verantwortung für das Leben und die Sicherheit der Bürger bitte ich den russischen Präsidenten Wladimir Putin um Hilfe bei der Sicherung von Frieden und Ruhe auf dem Gebiet der Krim", erklärte Axjonow. Auch die Präsidenten beider Parlamentskammern in Moskau drängten Putin zum Eingreifen. Die Präsidentin des Oberhauses, Valentina Matwienko, brachte dabei auch die Entsendung eines "begrenzten Truppenkontingents" ins Spiel.
Axjonow war am Donnerstag von den Abgeordneten im besetzten Parlament der Krim zum neuen Regierungschef ernannt worden. Er wird von der neuen Führung in Kiew aber nicht anerkannt. Ungeachtet dessen verkündete eine Sprecherin von Axjonow am Samstag einen weitreichenden Beschluss: Das Referendum über den künftigen Status der Krim solle um knapp zwei Monate vorverlegt werden und nun bereits am 30. März stattfinden.
Krim für Russland wichtiger Militärstützpunkt
Moskau verfügt auf der Krim über einen wichtigen Militärstützpunkt. In Sewastopol ist die etwa 20.000 Soldaten umfassende russische Schwarzmeerflotte stationiert. Die Regierung in Kiew beschuldigte Moskau, seine militärische Präsenz auf der Halbinsel seit Beginn der Woche bereits um weitere 6000 Soldaten verstärkt zu haben, um prorussische Milizen zu unterstützen. Diese halten auf der russisch geprägten Krim seit Donnerstag wichtige Teile der Insel besetzt, darunter mehrere Flughäfen und das Parlamentsgebäude in Simferopol.
Auch in anderen Teilen der Ukraine blieb die Lage am Samstag angespannt. Bei einer Demonstration in der ostukrainischen Stadt Charkiw wurden dutzende Menschen verletzt. Die gewaltsamen Zusammenstöße ereigneten sich am Rande einer Kundgebung prorussischer Demonstranten. Einige Angreifer stürmten den Sitz der Regionalregierung und hissten die russische Flagge.
Die Krim hat schon seit 1992 den Status einer autonomen Republik innerhalb der Ukraine. Seit der Entmachtung des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch am vergangenen Wochenende geht in Kiew die Sorge um, dass sich Bestrebungen einer Abspaltung auf der Halbinsel am Schwarzen Meer verstärken könnten. Bis 1954 hatte die Krim innerhalb der Sowjetunion zu Russland gehört. afp/AZ