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Ukraine: Drei Szenarien für das zweite Kriegsjahr in der Ukraine

Ukraine

Drei Szenarien für das zweite Kriegsjahr in der Ukraine

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    Ein ukrainischer Soldat steht in seiner Stellung an der Frontlinie in der Nähe von Bachmut in der Region Donezk.
    Ein ukrainischer Soldat steht in seiner Stellung an der Frontlinie in der Nähe von Bachmut in der Region Donezk. Foto: Libkos, dpa

    Das Töten wird so bald nicht enden. Da gibt sich Wolfgang Richter keinen Illusionen hin. "Moskau und Kiew haben den festen Willen, den Krieg fortzusetzen", erklärt der Oberst a.D., der nach seiner Zeit in der Bundeswehr bei der OSZE mit Fragen der Rüstungskontrolle befasst war. Richter kann also die militärischen wie die politischen Perspektiven beurteilen. Kurz vor Beginn des zweiten Kriegsjahrs in der Ukraine hält er einen Waffenstillstand oder sogar eine Friedenslösung für wenig wahrscheinlich. Im Gegenteil: "Beide Seiten bereiten sich auf Offensiven vor." Jede internationale diplomatische Initiative, wie sie zuletzt der brasilianische Präsident Lula da Silva angeregt hat, wäre demnach in der aktuellen Lage chancenlos. Aber wie wahrscheinlich ist eine Entscheidung auf dem Schlachtfeld? Konkret sind vor allem drei Szenarien denkbar:

    1) Ein russischer Durchbruch in der Ostukraine, gefolgt von einer erneuten Offensive gegen Kiew. Dafür spricht vor allem der Vorteil auf der Zeitachse, den die Invasionsarmee hat. In Russland "sehen wir gegenwärtig lange Züge, die mit hunderten Waffensystemen Richtung Front rollen", erklärt Richter. Hinzu kämen Zehntausende frische Soldaten. Die Teilmobilmachung und die Umstellung der Rüstungsindustrie auf Kriegswirtschaft seit dem Spätsommer zeigen also Wirkung. Die verstärkte russische Armee dürfte ihre volle Einsatzbereitschaft Anfang März erreichen. Die westliche Unterstützung für die Ukraine mit modernen Kampfpanzern läuft dagegen erst an. Im heftig umkämpften Donbass werden diese nicht vor Ende März eintreffen.

    Ein weiterer Faktor ist die Masse an Material und – so unschön es klingt – an Menschen. Fachleute gehen davon aus, dass die russische Armee die Zahl ihrer Panzer derzeit auf rund 4000 verdoppelt und die Truppenstärke auf etwa eine halbe Million Soldaten mehr als verdreifacht. Die Ukraine kann nach aktuellem Stand mit einigen Hundert zusätzlichen Kampf- und Schützenpanzern rechnen, die jedoch technisch überlegen sind. Trifft die Verstärkung rechtzeitig ein, dürfte ein russischer Durchbruch kaum möglich sein, geschweige denn ein Vorstoß auf Kiew. "Ich erwarte nicht, dass es an der Front so bald eine entscheidende Wende geben wird", resümiert Richter.

    Der Westen muss die Lasten des Krieges stärker schultern

    2) Das gilt dann allerdings auch für das Szenario einer ukrainischen Gegenoffensive. Die Befreiung weiterer besetzter Gebiete ist das erklärte Ziel in Kiew. Vor allem deshalb drängt Präsident Wolodymyr Selenskyj so vehement auf die Lieferung moderner westlicher Waffensysteme. Fachleute halten zwei Stoßrichtungen für erfolgversprechend. Im Norden, wo sich russische Truppen im Sommer panikartig aus dem Gebiet Charkiw zurückziehen mussten, könnte die ukrainische Armee in das Gebiet Luhansk vordringen. Die Region gilt seit der verdeckten russischen Donbass-Invasion 2014 als wichtigste Basis des Kremls in der Ostukraine. Eine Rückeroberung wäre ein schwerer Schlag für Präsident Wladimir Putin.

    Das gilt auch für die zweite Variante: einen ukrainischen Vorstoß im Gebiet Saporischschja. Putin hat die Region im September ebenso illegal annektiert wie das benachbarte Cherson und die Regionen Luhansk und Donezk. Gelingt der ukrainischen Armee in Saporischschja ein Durchbruch über Melitopol bis zur Küste des Asowschen Meeres, würde Russland die Landverbindung aus dem Donbass zur Krim verlieren. Für den Kreml wäre das eine Katastrophe. Deshalb hat die russische Armee sich in der Region mittlerweile „eingegraben“, sprich: ihre Verteidigungslinien stark ausgebaut. Fachleute haben Zweifel, dass dort eine Offensive erfolgreich sein kann. "Die größere Kampfmoral auf ukrainischer Seite allein wird den Krieg sicher nicht entscheiden", sagt Richter.

    Ukraine und Russland verharren in einem militärischen Patt

    3) Im Ergebnis könnte sich wieder ein militärisches Patt einstellen, wie es seit dem Herbst bereits herrscht. "Viel spricht für einen langen Abnutzungskrieg mit hohen Verlusten", prophezeit Richter. In einem solchen Szenario würden die bevorstehenden Offensiven höchstens mit unbedeutenden Geländegewinnen enden. Beide Seiten würden in der Folge erneut versuchen, ihre Truppen mit Menschen und Material „aufzufüllen“. Das wäre aus Richters Sicht vor allem für die Ukraine ein Problem, die wesentlich weniger Reserven hat als Russland. "Die Last, Verluste auszugleichen, liegt dann immer stärker beim Westen."

    Der weitere Kriegsverlauf hinge in diesem Szenario "vom politischen Willen in den USA, der EU und den Nato-Staaten ab, die Unterstützung der Ukraine dauerhaft zu sichern". Sollte dieser Wille vorhanden sein, könne man nur "hoffen, dass Putin irgendwann die Bereitschaft zu Verhandlungen unter Wahrung der ukrainischen Souveränität erkennen lässt", resümiert Richter. Eine alternative Perspektive wären ein drittes und womöglich weitere Kriegsjahre. Denn klar sei auch: "Eine Nuklearmacht wie Russland wird nicht kapitulieren. Sie wird sich im besten Fall zurückziehen."

    Putin setzt für das zweite Kriegsjahr alles auf Sieg

    Wäre es angesichts dieser Perspektiven nicht klüger, wenn der Westen die Ukraine zu Verhandlungen unter der Überschrift „Frieden gegen (möglichst wenig) Land“ drängen würde? Die Krim und Teile des Donbass stünden dann als Erstes zur Disposition. Nach einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung soll der Chef des US-Geheimdienstes CIA, William Burns, kürzlich mit einem solchen Vorschlag in Kiew und Moskau vorstellig geworden sein – und sich eine doppelte Abfuhr geholt haben. Am lautesten wies der Kreml den Bericht zurück. Wladimir Putin, daran haben westliche Fachleute keine Zweifel, setzt für das zweite Kriegsjahr alles auf Sieg.

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