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Ukraine - In Moskau bröckelt Mär von der "Spezialoperation"

Krieg in der Ukraine

In Moskau bröckelt die Mär von der "Spezialoperation"

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    Ein ukrainischer Soldat betrachtet einen russischen Panzer.
    Ein ukrainischer Soldat betrachtet einen russischen Panzer. Foto: Uncredited, AP/dpa

    Und plötzlich ist „Krieg“ im russischen Staatsfernsehen. Die „militärische Spezialoperation“, wie Russland seinen Überfall auf die Ukraine seit Februar euphemistisch bezeichnet, hat sich fast unmerklich aus dem Wortgebrauch der Propagandisten zurückgezogen. „Wojna“, sagt ein Soldat von der Front im Donbass, den ein Reporter des Staatssenders Rossija 1 in seinem Beitrag zeigt. „Wojna“, sagt ein Fraktionsvorsitzender der Duma in einer Talkshow des staatsnahen Senders NTW. Wojna heißt Krieg.

    Ein Wort, das zu gebrauchen im Russland auch dieser Tage noch Strafermittlungen nach sich ziehen könnte. Doch seit die russischen Misserfolge in der Ukraine am vergangenen Wochenende publik geworden sind, ringt das Land samt seinen ultrapatriotischen Politikern, nationalistischen Militärexperten und Fernsehmoderatoren um Erklärungen. „Lebensbedrohlich“, „extrem gefährlich“, „Krieg ist eben Krieg“, heißt es.

    Russland spricht von einer "Umverteilung der Truppen"

    Am Wochenende aber hatte Russlands Armee eine ihrer schwersten Niederlagen seit dem Einmarsch ins Nachbarland vor mehr als einem halben Jahr einstecken müssen: Unter dem Druck ukrainischer Gegenoffensiven wurden Truppen weitgehend aus dem Gebiet Charkiw im Osten abgezogen.

    Von Niederlage und Rückzug sprechen sie freilich nicht in Moskau. Dafür hat das russische Verteidigungsministerium andere Euphemismen in die Welt gesetzt. Im Gebiet Charkiw finde eine „Operation zur Verringerung und organisierten Verlegung der Truppen“ statt, sagt der Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow. „Umgruppierung“ ist das neue Schlagwort, wenn es um die russische Strategie an der Front geht, die natürlich nicht „Front“ heißt. Diese sei nötig, um den Donbass „zu befreien“. Von einem Rückzug aufgrund der ukrainischen Übermacht ist keine Rede. Der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte am Montag, die „Spezialoperation“ werde solange fortgesetzt, bis die „erklärten Ziele“ erreicht seien. Das Verteidigungsministerium redet von „schweren Verlusten“ der Ukrainer, nennt Zahlen gefallener Soldaten und verlorener Technik des „Feindes“. Was der offenbar hastige Rückzug der russischen Armee aus dem Gebiet Charkiw für Russland bedeutet, sagt offiziell indessen niemand.

    Ton in den russischen TV-Sendungen ändert sich

    Seit Beginn seiner „Spezialoperation“ hat Russlands Präsident Wladimir Putin eine Art Trennung gemacht: hier der gewohnte, ruhige Alltag der Menschen in Russland, dort die „Aufopferung“ russischer „Jungs“, um „die Sicherheit des Vaterlandes zu schützen“.

    Dafür reden andere. Und das in drastischen Worten. Das Image des großen, mächtigen Russland sei in Stücke gerissen, schreibt etwa der nationalistische Journalist Jegor Cholmogorow in seinem Telegram-Kanal. Die ruhmreiche russische Armee sei gedemütigt, die Menschen im Donbass seien verraten worden. Ein Telegram-Nutzer namens „Spion, dem niemand schreibt“ nennt die „Ereignisse in Charkiw“ eine „Katastrophe“. Es sei eine „verbrecherische Verantwortungslosigkeit“ derer, die das befohlen hätten. Manche fordern die Verhaftung von Generälen wegen Hochverrats, andere schreiben von „taktischen Nuklearschlägen auf westliche Gebiete der Ukraine“.

    Der Ton in den russischen TV-Sendungen hat sich geändert. Plötzlich sind längst vergessene liberal eingestellte Politologen zu Gast in den Talkshows, die den Zuschauern erklären, dass Russland einen „Kolonialkrieg“ führe und damit sich selbst kaputtmache. Selbst der Chefpropagandist Dmitri Kisseljow, der Leiter der staatsnahen Medienholding Rossija Segodnja, klingt fast schon erschöpft. „Eine unfassbar harte Woche war das“, sagt er in seinem sonntäglichen Wochenrückblick „Westi Nedeli“.

    Der frühere russische Präsident Medwedew droht der Ukraine

    Nur an der russischen Spitze bleibt das Narrativ das gleiche. Der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew droht der Ukraine damit, dass Russland eine bedingungslose Kapitulation verlangen wird, falls die Führung in Kiew die derzeitigen Bedingungen für Verhandlungen nicht annimmt. „Die jetzigen ,Ultimaten’ sind ein Kinderspiel im Vergleich zu den Forderungen in der Zukunft (...): der totalen Kapitulation des

    Die Drohung des 56-Jährigen ist wohl eine Reaktion auf die Aussagen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in einem am Sonntag ausgestrahlten CNN-Interview. Selenskyj sagte dort über Russland: „Ich sehe auf ihrer Seite keine Bereitschaft, konstruktiv zu sein.“

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