Während die westliche Welt vom Krieg in der Ukraine in dieser Woche völlig überrascht wurde, waren die Menschen vor Ort schon längst mit der bitteren Realität konfrontiert. Kurz nach dem Jahreswechsel berichtete Brigitta Triebel im Gespräch mit Blick auf den Konflikt im Donbass über die Verlegung von schwerem Kriegsgerät und tausenden von Binnenflüchtlingen.
Triebel leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in der Ukraine. Bis vor kurzem hielt sie sich mit ihrer Familie in Charkiw auf, der nach Kiew mit 1,5 Millionen Menschen zweitgrößten Stadt der Ukraine im Nordosten des Landes, 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Die KAS hat dort eine Niederlassung, eine weitere in
Auch wenn die Menschen in der Ukraine die Zeichen deutlich vor Augen hatten, mit einem Krieg hatte kaum jemand gerechnet. „Eine umfassende Invasion, wie wir sie jetzt erleben, galt ja immer als das unwahrscheinlichste Szenario. Mich hat das Geschehen schockiert und auch viele Ukrainerinnen und Ukrainer haben nicht damit gerechnet“, erzählt Triebel, Jahrgang 1984, die an der Uni Leipzig zur Geschichte des Kalten Krieges promoviert hat.
Als Bundeskanzler Olaf Scholz in Moskau den russischen Präsidenten Wladimir Putin besuchte und die Nachricht vom Teilabzug an der ukrainischen Grenze die Runde machte, habe es noch ein wenig Hoffnung gegeben. „Viele Menschen dachten: Okay, es gibt jetzt vielleicht doch eine Deeskalation. Es wird vielleicht schwierige Verhandlungen geben, aber am Ende dann eine diplomatische Lösung“, sagt Triebel. Diese Hoffnung habe sich aber relativ schnell wieder eingetrübt.
Putin suchte einen Vorwand für den Einmarsch in die Ukraine
Die Politik in Deutschland war noch immer im Putin-Kuschel-Modus, da ahnten die Menschen vor Ort bereits das Schlimmste. „Die Desinformationskampagnen der russischen Seite steigerten sich – und das war das Signal, vor dem die Experten vorher gewarnt hatten: Wenn Putin versucht, einen Vorwand für einen Einmarsch zu finden, dann muss man mit mehr rechnen“, sagt Triebel. Als dann in der Nacht vom Mittwoch zu Donnerstag die ersten Bomben explodierten, versuchten viele Menschen noch, die Städte zu verlassen.
„Aber dadurch, dass es sehr viele auf einmal probiert haben, waren die Straßen voll und es war dann sehr, sehr schwer, überhaupt aus den Städten herauszukommen“, berichtet Triebel. Viele hätten sich entschieden, in ihren Wohnungen zu bleiben oder sich gegebenenfalls auf eine Datscha zurückzuziehen.
Wie es in der Ukraine weitergeht? Triebel weiß es natürlich auch nicht, der russische Präsident ist für niemanden ausrechenbar. Eine Ahnung hat die Leiterin des KAS-Büros trotzdem. „Putin hat die Hauptstadt Kiew in den Blick genommen. Das scheint jetzt das Hauptziel zu sein. Offenbar will er die Hauptstadt gewinnen und auf einen Schlag die politische Führung austauschen. Das ist eigentlich unvorstellbar, scheint aber wahr zu werden“, sagt sie und sieht nicht wirklich einen Hoffnungsstreifen am Horizont. „Man sieht, dass die Ukraine mit ihren begrenzten militärischen Ressourcen wirklich alles versucht, Land und Bevölkerung zu verteidigen. Das wird auch so weitergehen. Die Ukrainer werden nicht aufgeben“ sagt sie.
Leiterin des KAS-Büros in Charkiw hat Angst vor einem Guerillakrieg in der Ukraine
Triebel vermutet, dass die russische Führung es darauf anlegen könnte, ein prorussisches Regime oder eine Besatzungsherrschaft aufzubauen. Das aber werde nur gegen den massiven ukrainischen Widerstand möglich sein. „Russland wird diesen Konflikt womöglich militärisch gewinnen. Aber
Die russische Seite werde wiederum versuchen, das zu unterdrücken und man müsse deshalb „mit dem Schlimmsten“ rechnen. Einen diplomatischen Ausweg, sagt die Ukraine-Expertin, könne sie sich jedenfalls „im Moment nicht vorstellen“. Zumal sie das Gefühl habe, „dass auch der russischen Seite nicht ganz klar ist, was sie in der Ukraine erwartet. Dass sie nicht mit diesem Widerstand gerechnet hat. Ich denke, Putin unterlag da einigen Fehleinschätzungen.“
„Aber egal ob im Osten oder im Westen, die Mehrheit der Bevölkerung wird eine russisch geführte Ukraine nicht akzeptieren“, bekräftigt Triebel, und am anderen Ende der Leitung hört sich das so an, als ob da auch etwas Stolz auf die ukrainische Bevölkerung mitschwingt.