Wenn die Einschätzungen von US-Geheimdienstkreisen stimmen, wird die Ukraine das Hauptziel ihrer aktuellen Gegenoffensive wohl nicht erreichen. Nicht erreichen ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen: Die ukrainischen Truppen versuchen seit Anfang Juni in die strategisch wichtige Stadt Melitopol im Südosten der Ukraine vorzudringen, um die Landverbindung Russlands zur Halbinsel Krim zu unterbrechen. Doch sie werden wohl mehrere Kilometer außerhalb der Stadt bleiben müssen. Darüber berichtete die Washington Post am Donnerstagabend (Ortszeit) und berief sich auf die Aussagen von Menschen, die Einblick in die Prognose der Geheimdienste haben.
Melitopol ist deshalb von so entscheidender Bedeutung, da die Stadt laut der Washington Post als das Einfallstor zur Halbinsel Krim gelte. Die Krim wurde 2014 völkerrechtswidrig von Russland annektiert. Über Melitopol könne Russland Militär und Ausrüstung von der Halbinsel in andere russisch besetzte Gebiete im südlichen Teil der Ukraine transportieren, da die Stadt an zwei wichtigen Autobahnen und einer Bahnlinie liege.
Melitopol: Russland verteidigt sich erfolgreich – vor allem mit Minen
Grund für die Einschätzung der US-Geheimdienste sei Russlands Fähigkeit, sich sehr effizient mithilfe von Minenfeldern und Schützengräben zu verteidigen. In dem Bericht der Washington Post heißt es weiter, dass beinahe alle Analystinnen und Analysten sich darüber einig sind, dass Russland sich beim Verteidigen der Gebiete als fähiger erwiesen hat als erwartet. Das mache es der Ukraine so schwer, voranzukommen.
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Die ukrainischen Truppen kämpfen sich seit mehr als zwei Monaten von der Stadt Robotyne aus zum 75 Kilometer entfernten Melitopol vor. Man erhoffte sich, an den Erfolg der Gegenoffensive im vergangenen Herbst in der Ostukraine anzuknüpfen – bisher war das allerdings nicht der Fall. Bereits in den ersten Wochen verzeichnete die Ukraine schwerwiegende Verluste trotz neuer westlicher Ausrüstung, darunter die deutschen Leopard 2 Panzer und Fahrzeuge, die auf das Entschärfen von Minen spezialisiert sind.
Die Ukraine konnte Russlands Hauptverteidigungslinie bei Melitopol bisher nicht durchbrechen
Regierungsvertreter aus den USA und anderen westlichen Staaten sagten der Washington Post, dass man mit so hohen Verlusten bei der Gegenoffensive um Melitopol im Vorfeld gerechnet habe. Man sei aber davon ausgegangen, dass Kiew dies hinnehmen würde, um Russlands Hauptverteidigungslinie zu durchbrechen. Die Ukraine habe jedoch die Taktik geändert und nur noch kleinere Einheiten losgeschickt, um an mehreren Stellen an der Front anzugreifen. Das Ergebnis: Die ukrainischen Einheiten konnte nur schrittweise Erfolge in verschiedenen Gebieten vermelden. Kürzlich habe die Ukraine mehr Einheiten an die Front geschickt, Russlands Hauptverteidigungslinie bleibt aber nach wie vor intakt.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba räumte am Donnerstag gegenüber der Nachrichtenagentur Agence France-Presseein, dass die Gegenoffensive nur langsam vorankomme. Kiew würde aber nicht aufgeben, bis die das ganze Land zurückerobert hätten: "Uns ist egal, wie lange es dauert." Mark Milley, Vorsitzender des US-Generalstabschefs, sagte der Washington Post, dass die USA gewusst habe, was für ein schwieriger Kampf auf die Ukraine zukomme: "Ich hatte schon vor ein paar Monaten gesagt, dass diese Offensive langwierig und blutig sein und dass sie langsam vonstattengehen wird." Gleichzeitig habe es aber auch auf russischer Seite viele Verluste gegeben, so Miller weiter: "Die Russen sind in ziemlich schlechter Verfassung." Ihre Moral sei nicht besonders gut.
(mit dpa)