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Ukraine: Eine Niederlage für die Ukraine, doch der Krieg ist längst nicht verloren

Ukraine

Eine Niederlage für die Ukraine, doch der Krieg ist längst nicht verloren

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    Ein ukrainischer Soldat trägt Vorräte in einem Graben an der Frontlinie bei Bachmut. Diese Schlacht ist für die Ukraine verloren.
    Ein ukrainischer Soldat trägt Vorräte in einem Graben an der Frontlinie bei Bachmut. Diese Schlacht ist für die Ukraine verloren. Foto: Libkos, dpa

    Es ist nicht viel mehr als ein Trümmerhaufen, der zurückgeblieben ist. Kaputte Häuser, kaputte Straßen, kaputte Schulen, kaputte Krankenhäuser. Die Luftaufnahmen lassen keinen Zweifel daran, dass die ostukrainische Stadt Bachmut nur noch als zerschossenes Symbol existiert: als Symbol für den erbitterten Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt.

    Die Truppen des Söldner-Chefs Jewgeni Prigoschin haben ihre Gefechtsstände verlassen: Mission erfüllt, heißt das. Bis zum 1. Juni wird die Stadt den russischen Streitkräften übergeben. Und auch, wenn Kiew und Präsident Wolodymyr Selenskyj die Niederlage in der einst 70.000 Einwohner zählenden Stadt noch nicht offiziell anerkennen wollen, gehen die Kämpfe nun wohl in eine neue Phase. Monatelang hatten sich Selenskyjs Truppen und die Wagner-Milizien ineinander verkeilt. Die Schlacht um Bachmut erhielt den Beinamen "Fleischwolf", weil die Zahl der Gefallenen in gewaltige Höhen gestiegen ist. Zehntausende haben ihr Leben verloren.

    Hat die Ukraine zu viel militärische Kraft im Kampf um die Stadt investiert? "Das wird man erst nach Ende des Krieges wissen", sagt Joachim Krause, Chef des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. "Die Ukrainer haben über ein halbes Jahr hinhaltende Rückzugsgefechte in Bachmut mit der Absicht geführt, die russischen Kräfte nachhaltig abzunützen." Wenn es stimme, dass mehr als 30.000 russische Soldaten in diesem Jahr in Bachmut gefallen oder schwer verwundet worden seien, dann sei diese Rechnung durchaus aufgegangen. Denn dann wäre der russische Sieg teuer erkauft. "Aber wir wissen nicht, wie viele Tote und Verwundete die ukrainische Seite zu beklagen hatte und ob der Kampf um Bachmut nicht doch zu viele Lücken bei der Bewaffnung und vor allem bei den Munitionsvorräten gerissen hat", mahnt Krause zur Vorsicht bei der Bewertung. 

    Frühjahrsoffensive der Ukraine kommt spät in Gang

    Denn gerade das Thema Munition bleibt für die Ukraine ein schwieriges. Zwar ist die Liste der Zusagen lang, doch die Liste der Lieferungen deutlich kürzer. Derzeit stellen nach EU-Angaben 15 Unternehmen in elf EU-Ländern schwere Artilleriemunition her. Wie viel genau wo produziert wird, darüber halten sich die Verantwortlichen mit dem Verweis auf Vertraulichkeit bedeckt. Oder käme die Bekanntgabe einem Offenbarungseid gleich? Die Produktionslinien seien nicht wie "eine schlafende Schönheit, die man nur wachküssen muss", so der Diplomat. "Sie waren schlichtweg nicht mehr vorhanden."

    Das lange Warten auf die Munition könnte auch ein Grund sein, weshalb die ukrainische Frühjahrsoffensive so spät in Gang kommt. Seit Wochen spekulieren Experten, warum Selenskyj zögert. Nun gab Präsidentenberater Mychajlo Podoljak bekannt: "Die Gegenoffensive läuft schon seit Tagen. Dies ist ein intensiver Krieg entlang einer Grenze von 1500 Kilometern. Unsere Aktionen haben bereits begonnen." Tatsächlich hatten sich zuletzt etwa Anschläge auf russisch besetztes Hinterland gehäuft –, was Experten auch als Indiz für eine bevorstehende Gegenoffensive gedeutet hatten. Doch volle Fahrt aufgenommen hat die Aktion wohl noch nicht.

    Über die Gründe für das Abwarten der Ukrainer kann man nur spekulieren. "Das kann am Wetter liegen", sagt Krause. "Soweit ich weiß, sind die Bodenbedingungen noch nicht so weit gediehen, dass die Ukrainer mit ihrer durch gepanzerte Fahrzeuge unterstützten Offensive beginnen können." Angesichts der vielen russischen Verteidigungsanlagen sei es aber essenziell, dass die ukrainischen Verbände auch außerhalb von Straßen und Wegen operieren würden. "Erkennbar sind schon bewaffnete Aufklärungsoperationen der Ukrainer, die zum einen erkunden sollen, wo Angriffsoperationen möglich wären, die zum anderen aber auch die Russen verunsichern", sagt Krause. Dazu gehöre wohl auch die Operation bewaffneter russischer Oppositionstruppen im Raum Belgorod. Das Ziel scheint klar: "Dadurch sollen die russischen Verbände gezwungen werden, eine noch längere Frontlinie zu sichern, was wiederum dazu führen wird, dass an anderen Stellen der Front die Verteidigungskräfte ausdünnen."

    Ukraine versucht, russische Kräfte zu binden

    Es ist eine beliebte ukrainische Taktik, russische Kräfte zu binden – und sie geht immer wieder auf. Erst in dieser Woche warnte der Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, den Kreml vor einer Niederlage. "Wir müssen uns auf einen sehr schweren Krieg vorbereiten", sagte er. Er fordert eine neue Mobilmachung, vorher hatte er sogar von einem Waffenstillstand gesprochen. Das ließ aufhorchen. "Russland hat die durch die Einberufung von 300.000 Reservisten und die Umstellung seiner Industrieproduktion auf Kriegswirtschaft bewirkte Stärkung nicht in eine erfolgreiche Offensive umsetzen können", sagt auch Sicherheitsexperte Joachim Krause. "Im Gegenteil, die Angriffsoperationen im Donbass-Bereich haben enorme Schwächen und Fehler aufgezeigt."

    Die Geländegewinne seien bescheiden, die Verluste an Personal und Waffen beträchtlich. „"Man merkt auch die große Nervosität auf russischer Seite, die martialische Rhetorik von Dmitri Medwedew ist ein guter Indikator dafür", sagt er. Zudem würden die Ausgaben für den Krieg stark ansteigen – bei gleichzeitig abnehmenden Einnahmen des Staates. 

    Auf diesem vom Prigozhin-Pressedienst veröffentlichten Foto, spricht Jewgeni Prigoschin (Mitte), der Chef des Militärunternehmens Wagner Group, mit einer russischen Nationalfahne in der Hand vor seinen Soldaten. Prigozhin sagt, seine Truppen hätten die Stadt nach der längsten und schwersten Schlacht des russisch-ukrainischen Krieges unter ihre Kontrolle gebracht.
    Auf diesem vom Prigozhin-Pressedienst veröffentlichten Foto, spricht Jewgeni Prigoschin (Mitte), der Chef des Militärunternehmens Wagner Group, mit einer russischen Nationalfahne in der Hand vor seinen Soldaten. Prigozhin sagt, seine Truppen hätten die Stadt nach der längsten und schwersten Schlacht des russisch-ukrainischen Krieges unter ihre Kontrolle gebracht. Foto: Prigozhin, dpa

    Besonders ein symbolträchtiges Gebiet könnte eine entscheidende Rolle spielen: "Die Furcht vor einer ukrainischen Offensive, die die Krim von Russland abschneidet und die dazu führen könnte, dass die Ukraine diese zurückerobert, ist enorm", glaubt Krause. "Sollte der Ukraine ein solcher Durchstoß gelingen, dann ist der Krieg für Russland verloren." Russland hatte die Krim bereits 2014 erobert und völkerrechtswidrig annektiert. Sie ist das Symbol für die Schlagkraft des Kremls. Geht sie verloren, hätte das auch erhebliche politische Konsequenzen in Moskau. Wenn schon jemand wie Prigoschin einen Waffenstillstand verlange, so Krause, dann habe das etwas zu bedeuten: Möglicherweise wolle der Wagner-Chef damit ausdrücken, dass Russland die Gelegenheit verpasst habe, einen Waffenstillstand zu einem Zeitpunkt zu erreichen, zu dem es daraus Vorteile hätten ziehen können. "Verantwortlich für die kompromisslose Haltung und den unbedingten Siegeswillen war und ist Putin", sagt der Militärexperte. "Vielleicht helfen ihm die Chinesen oder Inder in letzter Minute aus dieser Malaise – vielleicht aber auch nicht und vielleicht will er sich gar nicht retten lassen. Aber hier begeben wir uns in das Gebiet der Spekulationen. Nur eines ist sicher: Wenn dieser Krieg für Russland verloren geht, dann war es Putins Krieg."

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