Nach den schrecklichen Vorkommnissen in Butscha (Ukraine) ist die Empörung bei Öffentlichkeit und Politik riesig. Doch auch wenn der Impuls angesichts des tragischen Ausmaßes zu drastischen Reaktionen verleitet: Jegliche Informationen erfordern Vorsicht und Zurückhaltung. Denn besonders bei kriegerischen Auseinandersetzungen können die Konsequenzen derart groß sein, dass sie das Vorstellungsvermögen vieler Menschen übersteigen.
Eine derartige These äußerte auch Karl Lauterbach, als dieser am Dienstagabend bei Markus Lanz zu Gast war. Der Bundesgesundheitsminister nahm in dem ZDF-Talk nicht nur zum Rückzieher in Sachen Corona-Isolation Stellung: Es ging selbstverständlich auch um den Ukraine-Konflikt.
Ukraine: Butscha und die Gefahr eines Weltkrieges
Der SPD-Politiker spricht über die Befürchtung, dass die Ereignisse in der Ukraine schlimmstenfalls in einem Weltkrieg enden. Dieses Szenario gilt spätestens dann als unausweichlich, wenn sich die Nato in den Krieg zwischen Russland und der Ukraine direkt einschaltet. Dabei ist das Verteidigungsbündnis schon jetzt massiv involviert und beliefert das Pufferland zwischen dem Westen und Russland mit Waffen.
Lauterbach erklärt: Wenn bei den toten Zivilisten von Butscha von einem "Genozid" gesprochen werde, stehe ja die Frage im Raum, ob die Nato dann eingreifen müsste. "Da wäre ich sehr vorsichtig", erklärte der 59-Jährige. Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte diese Bezeichnung verwendet, während Russland die Verantwortung von sich weist und ukrainische Nationalisten in der Täterrolle sieht.
Wie Regierungspolitiker Lauterbach ausführt, stehe nicht außer Frage, dass auf Verbrechen reagiert werden müsse. Jedoch warnt der Sozialdemokrat vor leichtfertigen Diskussionen, die auf Wahrscheinlichkeiten beruhen und außer Acht lassen, dass Russland das Massaker noch nicht nachgewiesen wurde. Sollte die Nato eingreifen, "dann muss man wissen: das könnte der Dritte Weltkrieg sein. Damit darf man nicht spielen". Jedoch plädiert Lauterbach für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine.
Vorwürfe, die Bundesregierung hätte wochenlang keine Waffen in die Ukraine geschickt hat, weist Lauterbach zurück: "Das grenzt an Ehrabschneidung." Nicht alle derartige Informationen wären der Öffentlichkeit zugänglich, lässt der Mann wissen: "Wir liefern mehr als öffentlich bekannt ist und zum Teil anders, als öffentlich bekannt ist." Wichtig sei demnach, Russlands Machthaber Wladimir Putin nicht alle Infos "auf dem Silbertablett" zu servieren.
Butscha: Lanz spricht von "ukrainischer Propaganda" - Reporterin nimmt Stellung
Zudem ging es bei "Markus Lanz" um eine vom ukrainischen Innenministerium organisierte Journalisten-Reise nach Butscha: An dieser hätten laut Angaben einer zugeschalteten ZDF-Reporterin rund 50 Personen teilgenommen. Der Moderator stellte die Frage in den Raum, "wann man noch neutraler Reporter sei und wann Teil der ukrainischen Propaganda"? Seine Kollegin Katrin Eigendorf erklärte jedoch, es gebe einen deutlichen Unterschied zwischen den Lügen der russischen Staatsführung und dem Verhalten der Ukraine. Ihr zufolge hätten sich ausländische Reporter frei bewegen können und mit jedem sprechen.
Anwohner hätten ihr gegenüber geschildert, dass Frauen vor den Augen ihrer Kinder vergewaltigt wurden und Nachbarn auf offener Straße erschossen. Viele Aufnahmen könne man gar nicht im Fernsehen zeigen. Sie habe eine derartige Eskalation der Gewalt nicht erwartet. "Es ist ja ein regelrechtes Massaker", ließ die langjährige Moskau-Korrespondentin wissen.
So richtig wollte Lanz den aufgekommenen Vorwurf angesichts seiner Wortwahl ("Propaganda") nicht auf sich sitzen lassen. Über die unklare Lage führte der ZDF-Moderator aus: Die Ukraine hätte doch zwei, drei "neutrale" Journalisten einer Nachrichtenagentur einladen können, die dann "nicht so explizite" Bilder veröffentlicht hätten. "Ab welchem Punkt zeigen Bilder wirklich die Wahrheit?", lautete seine Frage. Es sei zweifellos, dass die Verbrechen geschehen sind, jedoch fehle möglicherweise der "Kontext drumherum".