Sonntag, 21.46 Uhr, mehr als eineinhalb Stunden arbeitet sich Armin Laschet schon an Olaf Scholz ab. Jetzt hat er noch genau eine Minute Zeit, die vor dem Fernseher versammelte Nation zu überzeugen. Warum die Menschen in zwei Wochen ihn und nicht den SPD-Konkurrenten oder Annalena Baerbock von den Grünen an die Spitze der nächsten Regierung wählen sollen. Der Kanzlerkandidat der Union möchte nach 16 Jahren seine CDU-Parteifreundin Angela Merkel beerben, eine sichere Sache, so schien es noch vor Wochen.
„Ich will ein Bundeskanzler des Vertrauens werden“, verspricht er in seinem Schlusswort. Bürokratie werde er abschaffen, statt neue Verbote einzuführen – ein letzter Hieb auf die Konkurrenz, auf SPD und Grüne, denen die Union vorwirft, ein wirtschafts- und unternehmerfeindliches Bündnis mit der Linkspartei anzustreben, das Deutschlands Wohlstand ruinieren werde. Laschet will punkten, dringend, steht er doch im Wahlkampf-Endspurt mit dem Rücken zur Wand. Nach verbummeltem Kampagnen-Auftakt ist er in den Umfragen deutlich hinter seinen SPD-Konkurrenten Olaf Scholz zurückgefallen.
Umfragen zur Bundestagswahl: SPD-Kanzlerkandidat Scholz hängt Armin Laschet ab
Im Insa-Sonntagstrend für Bild am Sonntaggewann die SPD im Vergleich zur Vorwoche sogar noch einen Prozentpunkt hinzu, während die Union unverändert bei 20 Prozent feststeckt. Einen Zähler verloren haben die Grünen um ihre Spitzenkandidatin Annalena Baerbock, die nun bei 15 Prozent liegen.
Das sind die Voraussetzungen zu Beginn des zweiten Fernsehdreikampfs bei ARD und ZDF. Der Kanzler-Bewerber der Union muss in den Angriffsmodus finden, so wie tags zuvor bei seiner kämpferischen Rede auf dem CSU-Parteitag. Doch der Polit-Krimi am üblichen Tatort-Sendeplatz hat gerade erst begonnen, da bringt schon die erste Frage von Oliver Köhr Laschet ins Straucheln. Ob denn die Union als Juniorpartner ein Bündnis mit der SPD eingehen würde, will der ARD-Chefredakteur wissen. Laschet betont, er werde für ein möglichst starkes Ergebnis von CDU und CSU kämpfen, die Frage beantwortet er nicht. Nach mehrmaligem Nachhaken von Köhr sagt er nur, dass die Union auf gar keinen Fall mit der Linken oder der AfD zusammenarbeiten würde. Die übrigen Demokraten müssten miteinander reden.
Baerbock zur Bündnisfrage: "Die Linke ist eine demokratische Partei"
Auch Annalena Baerbock versucht sich zunächst um eine Antwort zu drücken – ihr stellt Maybrit Illner die Frage nach einem möglichen Bündnis mit der Linkspartei. „Wir brauchen Veränderung“, sagt die Grünen-Spitzenkandidatin, dafür rede ihre Partei mit allen demokratischen Parteien. Die Linke, sagt sie auf Nachfrage, „ist selbstverständlich eine demokratische Partei“. Eine Gleichsetzung mit der AfD verbiete sich.
Olaf Scholz ist natürlich auf die Frage nach dem möglichen Bündnis mit Grünen und Linkspartei bestens vorbereitet. Süffisant lächelnd sagt er: „Wer in Deutschland regieren will, muss sich klar zur Nato bekennen“. Zudem müsse eine Regierungspartei auch in der Lage sein, mitzutragen dass deutsche Soldaten bei Einsätzen im Ausland tätig werden. Wie schon in den Wochen zuvor schließt er ein solches Bündnis also nicht generell aus, lässt aber auch wenig Sympathien dafür erkennen. Zunächst solle der Wähler sprechen, sagt Scholz.
Wahlkampf im Fernsehen: Hintergründe zu TV-Debatten
Seit 2002 hat es bisher fünf TV-Debatten zwischen den Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten gegeben, den Anfang machte der Zweikampf zwischen Gerhard Schröder (SPD) und Edmund Stoiber (CSU). 2005 trat Schröder gegen Angela Merkel (CDU) an.
Merkel wurde dann nacheinander von den SPD-Männern Frank-Walter Steinmeier (2009), Peer Steinbrück (2013) und Martin Schulz (2017) herausgefordert.
Erstmals nimmt in diesem Jahr der amtierende Kanzler oder die Kanzlerin nicht am Rennen teil – Angela Merkel tritt nach 16 Jahren nicht mehr an. Um ihre Nachfolge bewerben sich gleich drei Personen: Annalena Baerbock (Grüne), Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (Union).
Zwei Wochen nach der ersten Fernsehdebatte von Baerbock, Laschet und Scholz bei den Sendern RTL und ntv fand am Sonntag Triell Nummer Zwei bei ARD und ZDF statt.
Am 19. September, eine Woche vor der Wahl, kommt es zum dritten und letzten Dreikampf – dann bei ProSieben, Sat.1 und Kabeleins.
Jetzt packt Laschet das rot-grün-rote Schreckgespenst aus: Wer den moderat auftretenden Scholz wähle, so der Tenor, stimme in Wirklichkeit für dessen weit links stehende Genossen Saskia Esken oder Kevin Kühnert. „Das ist ein wenig unredlich, zu sagen, das entscheiden die Bürgerinnen und Bürger“, wirft er Scholz vor. Und setzt nach: „Jedem muss klar sein, wenn es eine rechnerische Mehrheit gibt, werden Sie eine Koalition mit der Linken eingehen“ – einer Partei, die den Verfassungsschutz abschaffen und raus aus der Nato wolle. Maybrit Illner will es genau wissen: „Bekommt man Saskia Esken als Ministerin, wenn man Olaf Scholz wählt?“ Scholz bleibt gelassen: „Ich werde ein Kabinett aus Frauen und Männern bestimmen, die ihre Sache gut können.“
Wirecard und Cum-Ex: Laschet sucht den wunden Punkt von Finanzminister Scholz
Dann kommt die Rede auf einen weiteren wunden Punkt für den Finanzminister. Bei Ermittlungen Osnabrücker Staatsanwälte gegen die FIU, die Geldwäsche-Spezialeinheit des Zolls war auch das Finanzministerium in Berlin durchsucht worden. Es geht um den Verdacht, die FIU habe Hinweise von Banken auf Geldwäsche nicht an Polizei und Justiz weitergeleitet. Scholz, der als Finanzminister auch die Verantwortung für die FIU trägt, hatte erklärt, die Ermittlungen richteten sich gegen unbekannte Mitarbeiter in Köln, damit verbundene Fragen hätten auch schriftlich geklärt werden können. Die Affäre bei der Finanz-Einheit habe mit deren rasantem Aufbau zu tun. Laschet wittert Morgenluft: „Dass sie abfällig über die Justiz geredet haben, ist unlauter.“
Sofort sticht er in eine weitere vermeintlich offene Flanken seines Konkurrenten: Die Wirecard-Affäre, bei der die Scholz unterstellte Finanzaufsicht versagte. „Millionen von Anlegern haben viel Geld verloren, dafür tragen Sie die Verantwortung“, klagt Laschet an. Und setzt nach: „Wenn mein Finanzminister so arbeiten würde wie Sie, hätten wir ein Problem“, sagt er. Gleich darauf nennt er auch noch die Vorgänge um die Cum-Ex-Betrügereien der feinen Hamburger Warburg-Bank während Scholz’ Amtszeit als Hamburger Bürgermeister. Die Verwaltung verzichtete dabei auf Steuereinnahmen in Millionenhöhe. Scholz wirft Laschet vor, die Dinge bewusst zu verdrehen: „Sie haben absichtlich einen falschen Eindruck erweckt.“ In keinem der Fälle gehe es um sein persönliches Fehlverhalten.
TV-Triell: Das Moderatoren-Duo muss Annalena Baerbock zum Wort verhelfen
Es ist ein harter Auftakt für Scholz – doch schon nach einer Viertelstunde hat Laschet seine Munition gegen ihn fast komplett verbraucht. Als die Rede auf die rechtslastigen Störenfriede Hans-Georg Maaßen (CDU) und Boris Palmer (Grüne) kommt, kann er sich genüsslich zurücklehnen. Laschet findet kaum noch Gelegenheit für Attacken, denn das Moderatoren-Duo fragt die Positionen der Kandidaten zu einzelnen Politikfeldern ab: von der Rente über die Steuer-, Klima- und Wohnungsbaupolitik bis zur Migration. Wo Laschet gegen Scholz austeilt, kontert dieser staatstragend und zahlenfest. Als wäre das Jacket des Hamburgers mit Teflon beschichtet, perlen die Vorwürfe scheinbar an ihm ab.
Zeitweise steht Annalena Baerbock im Studio E in Berlin-Adlershof minutenlang zwischen den beiden Streithähnen, das Moderatoren-Duo muss ihr zum Wort verhelfen. Gerade aber bei den Themen Klimaschutz und Digitalisierung macht sie deutlich, dass sie noch nicht aufgegeben hat. Baerbock hatte eine aussichtsreiche Ausgangsposition im Wahlkampf auch durch eigene Fehler eingebüßt: ihr Lebenslauf musste mehrfach korrigiert werden, Nebeneinkünfte meldete sie beim Parlament verspätet an, es gab Plagiatsvorwürfe rund um ihr Buch. In der Diskussion zeigte sich Baerbock faktensicher und angriffslustig. Ob das reicht, ob das zweite Triell die Umfragewerte insgesamt nennenswert verändern wird, ist am Ende unklar. Sicher ist: Laschet hat gekämpft, mit Zähnen und Klauen, so wie es sich viele in der Union schon längst gewünscht hätten. Doch als Olaf Scholz am Ende eine Gesellschaft ankündigt „in der mehr Respekt herrscht“, da macht er nicht den Eindruck, als hätte der Abend auch nur einen Kratzer bei ihm hinterlassen – von tiefen Wunden ganz zu schweigen.