Die Kontrahenten pumpten sich schon auf, da hatte das TV-Duell noch gar nicht begonnen. Er werde für die Werte der Demokratie eintreten und allen zeigen, welches Risiko sein Herausforderer „für unser Land und den Wohlstand ist“, erklärte der thüringische CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt.
Sein Gegenüber Björn Höcke, Rechtsextremist und Spitzenkandidat der AfD in Thüringen, ließ sich mit dem Slogan „Für die Heimat“ bei der Abfahrt zum „heiß erwarteten TV-Duell“ beim Sender Welt im Auto ablichten und baute mutmaßlicher Kritik der verhassten „Regierungsmedien“ schon mal vor: Eigene Experten standen bereit, um das Geschehen auf dem Bildschirm zu kommentieren. Am Ende blieb von dem laut Sender-Eigenwerbung „umstrittensten Schlagabtausch Deutschlands“ kein wirklich bleibender Eindruck zurück.
Voigts Ansinnen, die Unterschiede zwischen CDU und AfD deutlich zu machen, ging zwar auf, brachte den Zuschauerinnen und Zuschauern aber keinen Erkenntnisgewinn. Sowohl Anhänger der Christdemokraten als auch der Alternative für Deutschland durften sich in ihren Haltungen jeweils bestätigt fühlen. Dass auch nur einer oder eine ins andere Lager wechselt, darf nach diesem Auftritt hingegen bezweifelt werden.
Beispiel Europa. „Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann.“ Dieser Höcke-Satz und Voigts Reaktion darauf sollen der Anlass für das Doppel-Interview gewesen sein. Der AfD-Mann durfte ihn unbehelligt wiederholen, die EU als „Globalisierungsagentur“ und Sammelbecken von Lobbyisten beschimpfen. „Ich will, dass Europa und die EU leben, weil das gut ist für Deutschland“, entgegnete Voigt und verwies auf mehr als 70 Jahre Stabilität und Frieden in Europa.
Alles richtig, aber wohl kaum ein schlagkräftiges Argument, um EU-Gegner vom Gegenteil zu überzeugen. Ja, ließ sich CDU-Landesvorsitzende dann noch teilweise auf Höckes verächtliche Bemerkungen ein, auch die EU habe Macken. „Aber nur weil eine Lampe kaputt ist oder die Tür quietscht, reißt man doch nicht das ganze Haus ab.“
Höcke und Voigt im TV: Was ist mit der "Remigration"?
Beispiel „Remigration? Das Wort stammt aus Höckes Wortschatz. Es wird von Rechtsradikalen als Kampfformel benutzt und soll den Umbau des Staatsbürgerrechts benennen. Voigts Antwort auf die Frage, was er davon halte? „Also, ich kann mit dem Begriff nicht viel anfangen.“ Höcke durfte hingegen behaupten, es handele sich bei „Remigration“ um einen Alltagsbefund, der Begriff stamme aus dem Lateinischen und bedeute „Zurückwandern“.
Beispiel „Erinnerungskultur“, das dritte große Thema des Abends. Das phasenweise hilflos und überfordert wirkende Moderatorenteam aus Chefmoderatorin Tatjana Ohm und Chefredakteur Jan Philipp Burgard lenkte den Blick auf das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald, das heute eine Gedenkstätte ist – zu der Höcke keinen Zutritt hat, weil ihm Hausverbot erteilt wurde, nachdem er unter anderem das Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnet hatte. Wer in Buchenwald Hausverbot habe, dürfe nicht Ministerpräsident werden, sagte Voigt. Höcke gerierte sich als Opfer. Er würde den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus gerne in Buchenwald begehen, erklärte er. Seine Partei werde durch das Hausverbot jedoch seit Jahren „systematisch ausgeschlossen“.
Welt TV schielte mit dem "TV-Duell" wohl auch auf die Quote
Wer dem zuhörte, wurde an das Buch von Maximilian Steinbeis, Per Leo, Daniel-Pascal Zorn „Mit Rechten reden. Ein Leitfaden“ (Klett-Cotta) erinnert. „Sie spucken und fauchen von ihrem selbstgewählten Kreuz auf uns hinab – und hoffen, dass wir zurückfauchen. Und wenn wir es tun, dann klagen und jammern und schimpfen sie so lange über diese entsetzliche Schandtat gegen ein wehrloses Opfer, bis einige Zuschauer tatsächlich Mitleid mit ihnen kriegen. So mobilisieren sie ihren Anhang. Nicht durch Programme, sondern durch Provokationen. Und Gejammer“, heißt es darin.
Organisiert wurde das Aufeinandertreffen von Welt TV. Der Fernsehsender mit Sitz in Berlin gehört zum Axel-Springer-Konzern und bewarb die Sendung im Vorfeld wie ein Fußball-Spitzenspiel in der Champions League. Als Hauptgrund für die Notwendigkeit dieser Sendung wurde die am 1. September stattfindende Landtagswahl in Thüringen genannt. Allerdings finden im September auch noch Landtagswahlen in Sachsen sowie in Brandenburg statt – es hätten also auch Spitzenkandidaten dieser beiden Bundesländer im Studio sitzen können. Dass „Welt TV“ mit der Einladung an den Rechtsextremisten Höcke auch auf die Einschaltquote schielte, ist deshalb wohl nicht ganz von der Hand zu weisen.
"Herr Höcke, Sie sind völkisch"
Derzeit regiert in Erfurt ein Bündnis aus Linken – die mit Bodo Ramelow auch den Ministerpräsidenten stellen –, Grünen und SPD. Die AfD war im Erfurter Landtag zunächst zweitstärkste Fraktion nach den Linken. Sie verlor dann zwei Abgeordnete und rutschte auf den dritten Platz hinter die CDU. Bei den Landtagswahlen im September allerdings könnten Höcke und die Alternative für Deutschland es auf Platz eins schaffen. Den Umfragen zufolge führt die AfD deutlich mit etwa 30 Prozent. Die CDU liegt zehn Punkte schlechter. Die Linke kommt auf etwa 16 Prozent, das wäre ungefähr die Hälfte ihres letzten Wahlergebnisses. Eine Regierung mit der AfD an der Spitze scheint ausgeschlossen, da keine der anderen Parteien mit den Rechten paktieren will. Es wird allerdings auch schwierig, gegen die AfD eine Regierung zu bilden. Je stärker Höcke und seine Leute werden, desto größer wird der außerdem Imagegewinn für die rechte Partei ausfallen. Derzeit führt sie auch die Umfragen in Brandenburg und Sachsen an.
Zum Ende des rund 70-minütigen Interviews ging es dann tatsächlich auch noch um Thüringen. Voigt erklärte, er wolle „Ministerpräsident aller Thüringer sein“. Er wisse nicht, wer bei der Wahl am 1. September gewinne, sei sich aber sicher: „Wir ändern heute Abend das Bild der Wählerinnen und Wähler“. Höckes Erwiderung, seine Hand für eine gemeinsame Regierung mit der CDU sei "weiterhin ausgestreckt", wies der CDU-Politiker zurück, denn: „Herr Höcke, Sie sind nicht bürgerlich, Sie sind völkisch“.