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Türkei: Will die Türkei im Syrien-Konflikt eingreifen? Sicherheitsrisiko Erdogan?

Türkei

Will die Türkei im Syrien-Konflikt eingreifen? Sicherheitsrisiko Erdogan?

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    Erst stimmgewaltig, dann heiser: Der türkische Ministerpräsident bei einem seiner unzähligen Wahlkampfauftritte.
    Erst stimmgewaltig, dann heiser: Der türkische Ministerpräsident bei einem seiner unzähligen Wahlkampfauftritte. Foto: Tolga Bozoglu, dpa

    Recep Tayyip Erdogan hat alle Wahlkampftermine abgesagt. Der seit Wochen andauernde Einsatz des Premiers auf den Marktplätzen im ganzen Land hat seine Stimme ruiniert, zuletzt brachte der 60-Jährige nur noch ein hohes Piepsen hervor, sodass sich Regierungsgegner wie der bekannte Pianist Fazil Say über den „Kontertenor“ lustig machten.

    Kurz vor der Kommunalwahl am Sonntag blieb es am Freitag deshalb Außenminister Ahmet Davutoglu überlassen, den jüngsten Skandal um die Regierung zu kommentieren. Unbekannte hatten ein Treffen von Davutoglu und anderen hohen Regierungsbeamten abgehört, bei dem offenbar darüber gesprochen wurde, wie die Türkei eine militärische Auseinandersetzung mit Syrien provozieren könnte. Davutoglu sprach von einem Angriff auf den Staat.

    Dabei bestreitet selbst der Minister nicht, dass bei dem Treffen am 13. März in seinem Dienstzimmer im Außenamt von Ankara über militärische Optionen in Syrien geredet wurde. Für ihn besteht der Skandal aber nicht im Inhalt des Gesprächs, sondern in dessen Veröffentlichung auf Youtube, die nach wenigen Stunden die Sperrung der Videoplattform in der Türkei zur Folge hatte. Auch Twitter ist bereits verboten. Gegner der Erdogan-Regierung orten das Ungeheuerliche an der Affäre dagegen in der Tatsache, dass beim Nato-Mitglied Türkei allen Ernstes darüber nachgedacht wird, aus wahltaktischen Überlegungen einen Nachbarstaat anzugreifen, das Leben von Soldaten aufs Spiel zu setzen und die Berechenbarkeit des Landes als Bündnispartner zu unterminieren. Der Journalist Kadri Gürsel von der Zeitung Milliyet warf der Regierung „Abenteurertum“ vor. Die größte Oppositionspartei CHP erklärte, die Regierung wolle das Land in einen Krieg stürzen. „Kriegsplan für die Wahl“, titelte auch die linke Tageszeitung Evrensel.

    In dem Gespräch redeten Davutoglu, Geheimdienstchef Hakan Fidan offenbar über eine mögliche Militäraktion zur Sicherung eines osmanischen Grabmals in Syrien, das von türkischen Soldaten bewacht wird. Fidan sagte dabei unter anderem, die Begründung für eine solche Aktion könnte konstruiert werden, indem der Geheimdienst türkisches Gebiet von Syrien aus beschießen lasse. Niemand weiß, wer das Gespräch mitgeschnitten hat. Die Regierung spricht von „Staatsfeinden“, Staatspräsident Abdullah Gül sagte, es liege ein Fall von Spionage vor. Gül betonte, er selbst habe eine Brainstorming-Runde angeordnet, dass über „alle Szenarien“ gesprochen werden solle.

    Der Westen zeigte sich zunehmend irritiert über die jüngsten Entwicklungen. „Wo soll das enden?“, fragte EU-Erweiterungskommissar Stefan Fülé mit Blick auf das Youtube-Verbot besorgt. Auch die Bundesregierung kritisierte den Schritt als überzogen. Die Linke-Abgeordnete Sevim Dagdelen warnte gar, die Türkei plane einen „Angriffskrieg gegen Syrien“.

    Der Erdogan-kritische Journalist Mustafa Baransu erklärte, wahrscheinlich sei der Mitschnitt des Syrien-Treffens von einem der Teilnehmer selbst angefertigt worden. Möglicherweise wolle die Regierung nach einer Lawine von Telefonmitschnitten in den vergangenen Wochen, bei denen es um Korruption und Druck auf die Medien ging, in der Öffentlichkeit jetzt den Eindruck verbreiten, dass die Erdogan-Gegner vor nichts zurückschrecken.

    Volksabstimmung über die Politik des Ministerpräsidenten

    Kurz vor dem Wahltag steigen damit die Spannungen im Land noch einmal an. Offiziell bestimmen die knapp 53 Millionen Wähler am Sonntag lediglich Bürgermeister und Gemeindeparlamente neu. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Art Volksabstimmung über Erdogan. Knapp könnte es für die AKP in der Hauptstadt Ankara und der Wirtschaftsmetropole Istanbul werden. Selbst die Zeit steht still für die Wahl: Die Behörden verschoben den Beginn der Sommerzeit von Sonntag auf Montag, um den Wahlablauf nicht zu stören.

    Den meisten Meinungsumfragen zufolge kann die Erdogan-Partei AKP trotz aller Skandale der jüngsten Zeit am Sonntag damit rechnen, mit 40 Prozent oder mehr stärkste Kraft im Land zu bleiben. Der Wirtschaftsaufschwung unter Erdogan ist ein Grund dafür, die Sicht vieler Wähler auf den Korruptionsskandal ist ein anderer: Zwar seien 77 Prozent der Türken überzeugt, dass die Vorwürfe gegen Erdogan der Wahrheit entsprächen, teilte das Demoskopie-Institut Konda mit. Doch ein Teil der AKP-Wähler finde, dass Korruption normal sei.

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