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Türkei: Sieg über den Westen: Wie Erdogan seinen Wahlsieg bewertet

Türkei

Sieg über den Westen: Wie Erdogan seinen Wahlsieg bewertet

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    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bleibt weitere fünf Jahre im Amt.
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bleibt weitere fünf Jahre im Amt. Foto: Mustafa Kaya/Handout/XinHua, dpa

    Mit einer osmanischen Regimentsfahne steht Cemal Basaran am Tag nach der Präsidentenwahl vor der Hagia Sophia. Den Jahrestag der Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen am 29. Mai 1453 feiere er, erklärt der 90-Jährige stolz, denn Sultan Mehmet der Eroberer sei der beste Herrscher aller Zeiten gewesen. Die

    Die Erinnerung an glanzvolle osmanische Zeichen gehört schon lange zum rhetorischen Handwerkszeug von Erdogan und seiner Regierung. Mit dem Sieg in der Stichwahl um das Präsidentenamt wird die Beschwörung der glorreichen Vergangenheit nun zur Beschreibung einer verheißungsvollen Zukunft. Die Wahl sei ein ebenso historischer Wendepunkt wie die Eroberung von Konstantinopel, sagte Erdogan in der Wahlnacht vor zehntausenden Anhängern am Präsidentenpalast von Ankara. "So Gott will, ist die Wahl das Tor zum Jahrhundert der Türkei".

    Erdogan kann bis 2028 im Präsidentenpalast bleiben

    Der Präsident regiert seit 20 Jahren und prägt die vor hundert Jahren gegründete Republik länger als jeder türkische Politiker vor ihm. Nach seinem Sieg vom Sonntag wird Erdogan bis 2028 im Präsidentenpalast bleiben können; er hat bereits eine Verfassungsänderung ins Gespräch gebracht, die ihm danach eine weitere Amtszeit ermöglichen würde. Ans Aufhören denkt er nicht: "Wir werden bis zum Grab zusammen sein", rief er seinen Anhängern zu. 

    Erdogan siegte nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis mit 52,2 Prozent vor seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu, der auf 47,8 Prozent kam. Die Wahlbeteiligung betrug 85,7 Prozent, nach 88,8 Prozent bei der ersten Wahlrunde am 14. Mai. Laut der Nachrichtenagentur Anadolu stimmten türkische Wähler in Deutschland zu 67 Prozent für Erdogan. Aber auch ohne eine Stimme aus dem Ausland hätte Erdogan mit 1,2 Millionen Stimmen Vorsprung vor Kilicdaroglu gewonnen. Der Präsident will an diesem Freitag sein neues Kabinett vorstellen.

    Kilicdaroglu kämpfte nicht nur gegen Erdogan, sondern auch gegen sehr unfaire Bedingungen: Der Präsident kontrolliert die Justiz, die Verwaltung und die Medien. Nach Einschätzung von Experten scheiterte Kilicdaroglu wegen der geringeren Wahlbeteiligung in der zweiten Runde und besonders wegen der Zurückhaltung kurdischer Wähler. Kritiker sagen zudem, der 74-jährige Kilicdaroglu sei der falsche Kandidat gewesen. Trotz seiner Niederlage will Kilicdaroglu nicht als Vorsitzender der Oppositionspartei CHP zurücktreten.

    Angriffe auf die Opposition: Erdogan hält eine unversöhnliche Siegesrede

    Erdogan verspottete Kilicdaroglu in seiner Siegesrede als Versager und beschimpfte die Opposition als Terrorhelfer und Unterstützer von Homosexuellen, die es auf die Institution der türkischen Familie abgesehen hätten. Der Präsident betonte zwar, er wolle für alle 85 Millionen Türken da sein, doch seine neuen Angriffe auf seine Gegner zeigten: Erdogan hat bereits die Kommunalwahl nächstes Jahr im Blick. Dann will er Großstädte wie Istanbul und Ankara von der Opposition zurückerobern.

    Erdogans Siegesrede sei die unversöhnlichste gewesen, die er je gehalten habe, kommentierte Yildiray Ogur von der konservativen Oppositionszeitung Karar. "Das ist ein Vorgeschmack auf kommende Zeiten." Schwere Zeiten kommen auf die Türkei auch in der Wirtschaft zu. Die Lira fiel am Montag auf ein neues Rekordtief gegenüber dem Dollar. Erdogan beharrt auf einer Zinspolitik, die die Inflation hochtreibt. Manche Experten sagen voraus, dass der Türkei bald das Geld ausgehen könnte. 

    Traum von einem "Jahrhundert der Türkei" als eigenständiger Akteur zwischen Ost und West

    Mit dem Westen liegt Erdogan unter anderem wegen seines Vetos gegen den Nato-Beitritt von Schweden über Kreuz. Im "Jahrhundert der Türkei" versteht sich Erdogans Türkei nicht mehr als Verbündeter des Westens, sondern als eigenständiger Akteur zwischen Ost und West. 

    Vor der Hagia Sophia hat der Präsident am Tag nach der Wahl viele Bewunderer unter den Gläubigen, die zum Mittagsgebet kommen. Yusuf, Adem und Volkan, Anfang zwanzig und Mitarbeiter einer Aufzugfirma, sind in ihrer Mittagspause zu dem 1500 Jahre alten Gotteshaus in der Istanbuler Altstadt gekommen, um zu beten. "Das war das Beste, was der Türkei passieren konnte", meint Adem. Vom "Jahrhundert der Türkei" versprechen sie sich einen wirtschaftlichen Aufstieg ihres Landes, eine Verbreitung der türkischen Kultur über die Landesgrenzen hinaus und mehr militärische Macht. Spannungen mit dem Westen müsse es nicht unbedingt geben, sagt er lachend. "Und wenn, dann werden wir sie schon zurechtweisen."

    Doch das Land ist nach der Wahl tief gespalten, und nicht jeder ist einverstanden mit Erdogans Kraftmeierei. Der 90-jährige Cemal Basaran mit seiner osmanischen Regimentsfahne ist davon jedenfalls nicht begeistert. Sultan Mehmet der Eroberer habe eine gerechte Ordnung geschaffen, in der alle Untertanen gleich waren, niemandem etwas weggenommen wurde und alle Brüder waren, sagt der alte Herr. Das sei jetzt leider anders.

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