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Türkei: Vor der Stichwahl inszeniert sich Erdogan als versöhnender Landesvater

Türkei

Vor der Stichwahl inszeniert sich Erdogan als versöhnender Landesvater

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    Stilisiert sich vor der Stichwahl als gütiger Vater aller Türkinnen und Türken: der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdogan.
    Stilisiert sich vor der Stichwahl als gütiger Vater aller Türkinnen und Türken: der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdogan. Foto: Khalil Hamra, AP, dpa

    Recep Tayyip Erdogan zeigt sich großherzig. Unter seiner Regierung könne jeder nach seiner Fasson glücklich werden, sagt der 69-Jährige vor der Stichwahl um das Präsidentenamt am kommenden Sonntag. Wenn er die Wahl gewinne, „wird niemand verlieren“, verspricht er. Oppositionskandidat Kemal Kilicdaroglu aber habe nach der Niederlage im ersten Wahlgang „seine Maske fallen lassen“: Mit ausländerfeindlichen Parolen zeige sein Herausforderer nun sein wahres Gesicht.

    Vor der Stichwahl dreht Erdogan den Spieß um, tritt als versöhnender Landesvater auf und weist Kilicdaroglu die Rolle des Spalters zu. Der Herausforderer hat Erdogan den Rollentausch ermöglicht. Der Oppositionskandidat, der sich vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl noch als Versöhner der gespaltenen Gesellschaft empfahl, greift seither mit rechtspopulistischen Sprüchen an. Er werde als Präsident alle Flüchtlinge aus dem Land werfen, die Erdogan ins Land gelassen habe, verspricht er.

    Auch in der Opposition in der Türkei wird die ausländerfeindliche Sprache des Herausforderers kritisiert

    „Entscheide dich: Sind zehn Millionen Syrer nicht genug, sollen noch mal zehn bis zwanzig Millionen kommen?“, fragt Kilicdaroglu in einem Wahlkampf-Video. Nach amtlichen Statistiken leben rund fünf Millionen Flüchtlinge in der Türkei, davon gut dreieinhalb Millionen aus Syrien - doch Fakten spielen jetzt keine Rolle mehr. Am 28. Mai stehe keine Wahl an, sondern eine Volksabstimmung über die Zukunft des Landes, sagt Kilicdaroglu. Der neue Kurs des Kandidaten ist umstritten. Politiker aus Kilicdaroglus Oppositionsbündnis kritisieren die ausländerfeindliche Sprache. Mustafa Akyol, ein Erdogan-kritischer Islamexperte, vergleicht die Wortwahl des Kandidaten mit den rassistischen „Ausländer raus“-Parolen in Deutschland. 

    Kilicdaroglu hatte in der ersten Runde am 14. Mai knapp 45 Prozent der Stimmen erhalten, während Erdogan auf 49,5 Prozent kam. Mit seiner neuen Taktik zielt Kilicdaroglu auf vier Wählergruppen. So will er möglichst viele der 8,5 Millionen Türken für sich gewinnen, die bei der ersten Runde zu Hause blieben. Daneben will er Frauen und Jungwähler ansprechen. Zudem will Kilicdaroglu die knapp drei Millionen Wähler erreichen, die am 14. Mai für den rechtsnationalistischen Kandidaten Sinan Ogan stimmten.

    Versucht das Ruder vor der zweiten Wahlrunde am Sonntag mit dem Versprechen, Ausländer rauszuwerfen, herumzureißen: der  Präsidentschaftskandidat des Oppositionsbündnisses, Kemal Kilicdaroglu.
    Versucht das Ruder vor der zweiten Wahlrunde am Sonntag mit dem Versprechen, Ausländer rauszuwerfen, herumzureißen: der Präsidentschaftskandidat des Oppositionsbündnisses, Kemal Kilicdaroglu. Foto: Emrah Gurel, AP, dpa

    Bei diesem Versuch erlitt Kilicdaroglu jetzt einen Rückschlag: Ogan sprach eine Wahlempfehlung für Erdogan aus. Nun hofft Kilicdaroglu auf die Empfehlung der rechtsgerichteten Sieges-Partei, für die Ogan als Präsidentschaftskandidat ins Rennen gegangen war. Parteichef Ümit Özdag erklärte am Dienstag, er denke anders als Ogan. Özdag will an diesem Mittwoch sagen, welchen Kandidaten er den Anhängern seiner Partei empfiehlt.

    Erdogan kann mit seinem Stimmenvorsprung der Stichwahl gelassener entgegensehen als Kilicdaroglu. Vor dem ersten Durchgang der Präsidentenwahl hatte Erdogan seine Gegner als Terroristen beschimpft und ihnen vorgeworfen, Homosexualität zu propagieren. Jetzt wolle die Regierungspartei AKP versöhnliche Botschaften ins Zentrum ihres Wahlkampfes vor der zweiten Runde stellen, melden Erdogan-nahe Medien. 

    Präsident Erdogan will bei der Türkei-Wahl sein Ergebnis von 2018 übertreffen

    Der Präsident will sein Ergebnis aus der Wahl von 2018 übertreffen, als er mit 52,5 Prozent gewählt wurde. In seinem Bemühen, sich als toleranter Präsident für alle darzustellen, strapaziert Erdogan die Grenzen der Wahrheit. So sagte er in einem Wahlappell an Jungwähler, seine Regierung mische sich nicht in den Lebensstil der jungen Generation ein, die Musik- und andere Kulturveranstaltungen nach Belieben genießen könne. Dabei hatte die Regierung im vergangenen Jahr reihenweise Konzerte und Musikfestivals verboten.

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