Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Türkei: Leitartikel: Harte Arbeit für Erdogan

Türkei

Leitartikel: Harte Arbeit für Erdogan

    • |
    Die Präsidentschaftswahl hat Erdogan gewonnen. Nun wird er sich vielen Herausforderungen stellen müssen - sowohl in wirtschaftlicher, als auch in politischer Hinsicht.
    Die Präsidentschaftswahl hat Erdogan gewonnen. Nun wird er sich vielen Herausforderungen stellen müssen - sowohl in wirtschaftlicher, als auch in politischer Hinsicht. Foto: EPA/STR (dpa)

    Wahlsieger finden oft große Worte. Berauscht vom Erfolg umarmen sie das ganze Volk. So auch Recep Tayyip Erdogan. Der neu gewählte türkische Präsident rief noch in der Wahlnacht vom Balkon seiner Parteizentrale herunter zur großen Versöhnung auf: „Lasst uns die alten Auseinandersetzungen in der alten Türkei zurücklassen.“ Ganz neue Töne von einem Politiker, der zuletzt als Polarisierer und Spalter in Erscheinung getreten war.

    Viele Gegner trotz absoluter Mehrheit

    Oder steckt Kalkül dahinter? Selbst im Überschwang des Sieges kann dem Chef der islamisch-konservativen AKP-Partei nicht entgangen sein, dass er nur die Hälfte der Bevölkerung hinter sich hat. Gewiss ist es eine Leistung, bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit zu erhalten, auch wenn diese mit 51,79 Prozent knapp ausgefallen ist. Wenn man allerdings berücksichtigt, dass der bisherige Ministerpräsident den Regierungsapparat für seinen Wahlkampf exzessiv genutzt hat und von staatlichen wie privaten Medien über alle Maßen bevorzugt wurde, relativiert sich der Erfolg doch deutlich. Da überrascht es fast schon mehr, dass unter solch widrigen Umständen die beiden von säkularen Parteien unterstützten Gegenkandidaten zusammen 48,2 Prozent der Wählerstimmen erhielten.

    Gespaltene Gesellschaft und harte Zukunftsaussichten

    Die Bürgerschaft steht also keineswegs geschlossen hinter Erdogan und seinen Vorstellungen von einer „neuen Türkei“, die stärker vom Islam geprägt und von einem Autokraten regiert wird. Vielmehr ist die Gesellschaft tief gespalten. Soll sich die Türkei erfolgreich weiterentwickeln, ist das Land aber auch auf die Mitarbeit der weltlich orientierten Hälfte der Bevölkerung angewiesen. Denn die Zukunftsaussichten sind keineswegs rosig. Das Wirtschaftswachstum hat sich verlangsamt, die Experten nennen für die nahe Zukunft nur Werte im unteren einstelligen Bereich. Rund um die Türkei befinden sich überdies lauter Krisenherde: Bürgerkriege in Syrien und im Irak, der traditionelle Nahostkonflikt, das Ende des Arabischen Frühlings in Ägypten. Das erschwert einerseits die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Andererseits hat sich auch politisch die Lage verkompliziert: Ankara konnte in keinem einzigen Fall erfolgreich vermitteln. Man schuf sich sogar neue Feinde. Der Plan, die Türkei zur führenden Regionalmacht und zum Vorbild für arabische Staaten im Übergang zu machen, ist nicht aufgegangen.

    Angewiesen auf Europa

    Auch deswegen wird Erdogan umdenken müssen. Er, der als Ministerpräsident viele Reformen anschob, die Europa und die Türkei einander näherbrachten, hatte zuletzt den Eindruck erweckt, als brauche die aufstrebende Macht am Bosporus das alte

    Das Präsidentenamt als Machtzentrale

    Auch im Inneren werden Erdogans Bäume nicht in den Himmel wachsen. Seinen Plan, das Präsidentenamt zur neuen Machtzentrale auszubauen, wird er wohl verwirklichen können. Wenn das verfassungsmäßig abläuft, ist daran nichts Verwerfliches. Schließlich funktionieren Präsidialsysteme in vielen demokratischen Staaten wie zum Beispiel Frankreich und USA.

    Aber Erdogan wird seine Selbstherrlichkeit zügeln müssen. Im vergangenen Jahr genügte ein verhältnismäßig kleines Ärgernis – die geplante Bebauung eines Parks in Istanbul –, um das ganze Land in Aufruhr zu versetzen. Das muss ihm Warnung sein. Erdogan sollte – im eigenen wie im Interesse des Landes – seine Versöhnungsrhetorik vom Wahlabend ernst nehmen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden