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Türkei-Krise: Über den Konflikt in der türkischen Gesellschaft in unserer Region

Türkei-Krise

Über den Konflikt in der türkischen Gesellschaft in unserer Region

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    Erdogan-Anhänger vor drei Wochen auf dem Augsburger Rathausplatz. Oberbürgermeister Kurt Gribl nennt die Kundgebung hinterher "befremdlich".
    Erdogan-Anhänger vor drei Wochen auf dem Augsburger Rathausplatz. Oberbürgermeister Kurt Gribl nennt die Kundgebung hinterher "befremdlich". Foto: Silvio Wyszengrad

    Nein, sagt der Mann mit der leisen Stimme. „Ich möchte nicht reden.“ Es ist genug gesagt. Er hat Angst vor den Folgen, die seine Worte haben könnten. Der Mann zieht es vor zu schweigen.

    Da ist er nicht der Einzige. So mancher Türke in Deutschland hält das in diesen Tagen für die beste Strategie – zumindest öffentlich. Versprochene Rückrufe bleiben aus, Gespräche werden beendet, bevor sie wirklich begonnen haben. Seit dem Abend des 15. Juli geht das so. Jenem Freitag, als in der Türkei Teile des Militärs versuchten, Präsident Recep Tayyip Erdogan zu stürzen. Stunden später waren fast 300 Menschen tot und die Putschisten zurückgeschlagen.

    In Deutschland leben rund 2,9 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, 1,5 Millionen davon haben die türkische Staatsbürgerschaft. Bei der Parlamentswahl in Ankara im November wählten knapp 60 Prozent der Türken in Deutschland die Partei Erdogans – zehn Prozentpunkte mehr als in der Türkei selbst. Ob türkischer oder deutscher Pass oder beide, das scheint derzeit aber egal zu sein. So oder so sind die Erdogan-Anhänger unter den Türkischstämmigen offenbar in der Überzahl. Ihre Gegner schweigen oder sagen, wie dieser Mann, beispielsweise: „Ich lebe seit 50 Jahren glücklich und sicher in Deutschland, daran soll sich nichts ändern.“ Ein anderer winkt ab. Keine Zeit, entschuldigen Sie bitte.

    Flagge nach misslungenem Putschversuch aufgehängt

    Nuri Yilmaz dagegen will reden. Der 33-Jährige sitzt in einem unscheinbaren Hinterhof zwischen einer Druckerei und einer Wachswarenfabrik auf einem braunen Stuhl hinter einer grauen Kasse. Wer von der Straße aus in den Hinterhof blickt, sieht zuerst eine riesige türkische Flagge. Sie weht auf dem Gelände im Gewerbegebiet von Krumbach neben einer kleineren deutschen Fahne sanft im Wind. Yilmaz hat sie nach dem misslungenen Putschversuch aufgehängt. Wer den türkischen Supermarkt, der sich in dem Hinterhof versteckt, betreten will, muss unter ihr durchgehen.

    In eben diesem Supermarkt sitzt Yilmaz nun auf seinem braunen Stuhl hinter der grauen Kasse und erzählt von der Nacht, die vieles verändert hat. Auch hier in Krumbach, Mittelschwaben, 13.000 Einwohner, 750 von ihnen mit ausschließlich türkischem Pass. Zwei Tage habe er damals nicht geschlafen, sagt Yilmaz. Zusammen mit anderen Mitgliedern der türkischen Gemeinde saß er fast nur vor dem Fernseher. „Erst als das in Ordnung war, konnten wir schlafen“, erinnert er sich. Und schiebt hinterher: „Doch es ist noch nicht vorbei. Es sind ja nicht ein, zwei Leute.“

    Yilmaz meint die Anhänger des türkischen Predigers Fethullah Gülen. Viele Türken vermuten die umstrittene Bewegung, deren Mitglieder wichtige Stellen im Staat besetzt haben sollen, hinter dem Putschversuch. Yilmaz ist da keine Ausnahme. Spricht der Mann mit dem grauen T-Shirt, dem leicht angegrauten Haar und dem freundlichen Gesicht von Gülen-Anhängern, sagt er „Fetö’cü“. „Fetö“ bedeutet so viel wie „Terror-Organisation der Fethullah-Anhänger“. Erdogan hat den Begriff geprägt, er verwendet ihn für seine Kritiker.

    In Krumbach ist Yilmaz von seinem Stuhl hinter der Kasse aufgestanden. Er steht jetzt zwischen dem Fließband und einem Regal mit gesalzenen Kürbiskernen, Kichererbsen und getrockneten Aprikosen und gestikuliert leidenschaftlich. „Natürlich gibt es Auseinandersetzungen“, sagt Yilmaz. Hier, in der türkischen Gemeinde in Deutschland. Und doch betont er: „Der Putsch hat uns zusammengebracht. Man hat gesehen, wer zusammenhält.“ Türken, Kurden, Aleviten, alle stünden sie zusammen, behauptet Yilmaz. Diese Unterscheidung gerade zwischen Kurden und Türken, die gebe es nicht mehr. Vorbei die Zeiten, in denen Kurden aus Protest gegen die türkische Regierung Straßensperren anzündeten und bei Augsburg die Autobahn blockierten, wie damals vor gut 20 Jahren. So sieht er das.

    Völlig außen vor ist heute, drei Wochen nach dem Putschversuch, eine andere Gruppe: die der Gülen-Anhänger. Das räumt auch Yilmaz ein. Manche Türken würden diese auf der Straße nicht einmal mehr grüßen, erzählt er. Im türkischen Supermarkt immerhin dürften sie weiter einkaufen: „Du kannst niemanden rausschmeißen.“ Yilmaz verschweigt aber nicht, dass seit dem 15. Juli kaum einer mehr mit Gülen-Anhängern einen Tee trinken geht. „Jetzt ist etwas Großes passiert, da können wir nicht mehr da weitermachen, wo wir waren“, sagt er.

    Türkei: Die Angst vor dem Rückfall in die dunkle Vergangenheit

    Ihm gehe es nicht um die Person Erdogan, sagt Yilmaz. Ihm gehe es um den Präsidenten eines demokratischen Landes, das nicht wieder in die Zeit der 70er und 80er Jahre zurückfallen soll. „Ob er der richtige Präsident ist, weiß ich nicht“, sagt Yilmaz, er sei ja immer nur für ein paar Wochen als Urlauber in der Türkei. In seinem Heimatort aber, wo man früher mit Sand baute, baue heute jeder dreistöckig. „Das heißt, der Mann macht etwas richtig.“

    Keine zwei Stunden nach dem Gespräch an der Kasse steht Nuri Yilmaz im gelben Torwarttrikot mit kleiner türkischer Flagge auf der Brust auf einem Sportplatz in Edelstetten. Sein Verein Türkiyemspor Krumbach spielt in dem kleinen Dorf, 15 Autominuten vom Supermarkt entfernt, gegen Ziemetshausen. Es ist die 4. Runde des Toto-Pokals. Yilmaz feuert seine Mitspieler aus dem Tor heraus immer wieder an, schreit Anweisungen über das Feld. An der Überlegenheit des zwei Ligen höher spielenden Gastes kann er aber auch nichts ändern.

    Abseits des Rasens ist trotz der sich abzeichnenden Niederlage und den Unstimmigkeiten in der türkischen Gemeinde von schlechter Stimmung nichts zu spüren. Eine Gruppe jüngerer Türken trinkt Limo, scherzt, lacht. Ein Junge kickt mit einem anderen einen Ball hin und her. Mehrmals rollt er aufs Feld, niemand tadelt den Buben. Friedliche Amateurfußballidylle in der untergehenden Abendsonne.

    Auch Erkan Can wirkt entspannt. Nach der 1:4-Niederlage seiner Mannschaft steht der Trainer von Türkiyemspor am Spielfeldrand und zündet sich eine Zigarette an. „Wir sind gegen den Putsch und froh, dass er misslungen ist“, sagt er mit ruhiger Stimme. „Eine gewählte Regierung kann man nicht einfach stürzen.“ Die Ereignisse in der Türkei seien auch in seiner Mannschaft ein großes Thema gewesen. „Eigentlich spielen wir nur Fußball“, sagt Can. „Aber das war Ausnahmezustand.“ Gemeinsam habe man über den Putsch diskutiert, jeder habe seine Meinung äußern können. Ein Riss gehe nicht durchs Team. Der Kader ist unverändert.

    Ob sich derzeit Gülen-Anhänger der Mannschaft anschließen könnten? „Das ist eine schwierige Frage“, sagt Can und hält einen Moment inne. „Ich glaube nicht, dass sie jetzt hierherkommen und ihre Meinung offen sagen würden“, sagt er dann. „Das wäre ein Brennpunkt.“ In seinen Augen ist nicht jeder Gülen-Anhänger automatisch ein Putsch-Befürworter, stellt Can sogleich klar. Dieser Punkt ist dem Trainer wichtig. Die Stimmung in Krumbach und Umgebung beschreibt er als friedlich.

    Es ist eine Ruhe, die nicht jeder so empfindet. „In den letzten Wochen ist viel passiert, was uns betroffen macht“, steht in roter Schrift auf der Internetseite der Vision Privatschule in Jettingen-Scheppach, einem 7000-Seelen-Ort an der A8, keine 20 Kilometer vom Sportplatz entfernt. Die Schule wird zum Großteil von türkischen Kindern besucht, immer wieder wird ihr eine Verbindung zur Gülen-Bewegung nachgesagt. Schulleiterin Monika Weltz wird nicht müde, dem zu widersprechen. Gerade nach dem jüngsten Vorfall: Nach dem Putschversuch haben sie an einer Garage der Schule Totenkopf-Schmierereien entdeckt. Eltern haben seither 40 Schülerinnen abgemeldet. Die Kripo Neu-Ulm ermittelt, die Schule wird von der Polizei geschützt.

    Gülen- und Erdogan-Anhänger: "Die Lage ist angespannt"

    Von einer Eskalation im Kreis Günzburg möchte Sebastian Adam nicht sprechen – wenngleich die Zahl der Vorfälle seit dem Putschversuch zugenommen habe, bestätigt der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West. Auch Thomas Rieger vom Augsburger Polizeipräsidium berichtet von deutlich mehr Auseinandersetzungen zwischen Gülen- und Erdogan-Anhängern. „Die Lage ist angespannt“, sagt er. Zwischen Beleidigungen und Sachbeschädigungen ragen vor allem zwei Vorfälle heraus: In Gersthofen schlugen Unbekannte mit Steinen Scheiben einer türkischen Bildungseinrichtung ein. Im Augsburger Stadtteil Haunstetten fand die Polizei in einer Einfahrt mehrere hundert Schrauben. Im Gedächtnis bleibt zudem die aufgeheizte Stimmung, als hunderte Türken auf dem Augsburger Rathausplatz gegen den Putsch protestierten – viele von ihnen mit türkischer Flagge, die am Ende gar vom Perlachturm wehte. Oberbürgermeister Kurt Gribl nannte die Kundgebung „befremdlich“.

    Eingeschlagene Scheiben, Schrauben auf der Straße: Es sind nicht nur Vorfälle wie diese, die Fatma Cakar Sorgen bereiten. Die 50-Jährige ist Vorstandsmitglied der alevitischen Gemeinde in Krumbach, einer in der Türkei diskriminierten Glaubensrichtung des Islam. Cakar spricht schnell, ohne Punkt und Komma. Die Worte sprudeln nur so aus ihr heraus. „Die Erdogan-Anhänger sind euphorisch und wir haben Angst“, sagt sie.

    Cakar, die betont, auch sie sei gegen den Putsch, findet es beängstigend, wie Erdogan die Demokratie benutze, um seinen Willen durchzusetzen. Sie findet es beängstigend, wie gewaltbereit das türkische Volk sei. Und sie findet es beängstigend, in welche Richtung sich das Verhältnis unter den Türkischstämmigen in Deutschland entwickle. „Wir können uns nicht mal vernünftig unterhalten“, klagt die 50-Jährige. „Man müsste etwas sagen. Aber wenn man etwas sagt, kommt es zum Streit.“ Dass die Türken nun zusammenstünden, hält sie für eine Mär. „Es gibt so viele, die sich wirklich Sorgen machen“, sagt sie, und ihre Stimme wird laut. „Viele trauen sich nur nicht, es auszusprechen.“ Sie selbst, gesteht Cakar, habe sich schon ein wenig von der anderen Seite abgewandt. „Man weiß, man ist unerwünscht“, sagt sie. Dass sich daran in nächster Zeit etwas ändern wird, glaubt sie nicht.

    Nuri Yilmaz ist da optimistischer. „Hoffen wir, dass alles wieder okay wird“, sagt er, während er neben seinem braunen Stuhl steht. „Dass jeder seinen Fehler einsieht.“

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