Nach dem Sieg bei der Präsidentenwahl in der Türkei steht Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan vor großen Herausforderungen. Die türkische Landeswährung Lira gab am Montag im frühen Handel leicht nach und näherte sich damit wieder dem erst vergangene Woche erreichten Rekordtief an. Die Währung hat in den vergangenen zwei Jahren massiv an Wert verloren, die Inflation im Land liegt bei rund 44 Prozent. Mittelfristig rechnen Experten mit einem weiteren Verfall.
Der 69 Jahre alte Erdogan hatte gestern die Stichwahl gegen Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu (74) für sich entschieden. Erdogan erhielt nach vorläufigen Ergebnissen der Wahlbehörde rund 52 Prozent der Stimmen, Kilicdaroglu rund 48 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 85 Prozent.
Erdogan schlug nach seinem Wahlsieg in Ankara sowohl aggressive als auch versöhnliche Töne an. Er warf westlichen Medien Stimmungsmache vor und bezeichnete die Opposition als Terroristen. Er sagte aber auch: "Heute hat niemand verloren", alle 85 Millionen Einwohner der Türkei hätten gewonnen. Die Demokratie habe gesiegt.
Deutliche Mehrheit bei Wählern in Deutschland
In Deutschland stimmten nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu rund 50 Prozent der Wahlberechtigten ab. Wie auch bei der ersten Runde sprach sich eine deutliche Mehrheit von ihnen für Erdogan aus. Beim Stand von rund 95 Prozent der ausgezählten Wahlurnen aus Deutschland kam der Amtsinhaber bei dieser Gruppe auf 67,4 Prozent der Stimmen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Der Wahlkampf galt insgesamt als unfair, unter anderem wegen der Medienübermacht der Regierung.
Bundesagrarminister Cem Özdemir kritisierte das Wahlverhalten von Türken in Deutschland. Die Anhänger Erdogans feierten, "ohne für die Folgen ihrer Wahl einstehen zu müssen", schrieb der Grünen-Politiker auf Twitter. Özdemir selbst ist türkischer Herkunft, hat aber eigenen Angaben zufolge keinen türkischen Pass.
Erdogan führt die Türkei seit 20 Jahren. 2003 wurde er zunächst Ministerpräsident, 2014 Staatspräsident. Seit Einführung eines Präsidialsystems 2018 hat er so viel Macht wie nie zuvor. Befürchtet wird, dass er nach der Wahl noch autoritärer regieren wird. Die Türkei ist Nato-Mitglied, pflegt enge Beziehungen zu Russland ebenso zur Ukraine und ist Akteurin im syrischen Bürgerkrieg. Die Wahl wurde entsprechend auch international mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.
Wiederaufbau nach Erdbeben im Fokus
Im Oktober feiert die Türkei den 100. Jahrestag ihrer Republikgründung. Erdogan spricht deshalb von einem "Jahrhundert der Türkei". Er hat weitere Investitionen in die Rüstungsindustrie und die Infrastruktur versprochen. Eine seiner größten Aufgaben wird der Wiederaufbau der vom Erdbeben zerstörten Regionen sein. Im Februar waren bei schweren Erdbeben in der Südosttürkei Zehntausende Menschen ums Leben gekommen.
Bundeskanzler Olaf Scholz gratulierte Erdogan zum Wahlsieg und würdigte die Zusammenarbeit. "Deutschland und die Türkei sind enge Partner und Alliierte - auch gesellschaftlich und wirtschaftlich sind wir stark miteinander verbunden", schrieb der SPD-Politiker gestern Abend auf Twitter. "Nun wollen wir unsere gemeinsamen Themen mit frischem Elan vorantreiben."
EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen schrieb, es sei sowohl für die EU als auch für die Türkei von strategischer Bedeutung, "diese Beziehungen zum Wohle unserer Völker voranzutreiben". US-Präsident Joe Biden schrieb auf Twitter, er gratuliere Erdogan zu seiner Wiederwahl. "Ich freue mich darauf, weiter als Nato-Bündnispartner in bilateralen Fragen und bei gemeinsamen globalen Herausforderungen zusammenzuarbeiten."
Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beglückwünschte Erdogan. Als einer der ersten hatte Russlands Präsident Wladimir Putin dem türkischen Präsidenten gratuliert, noch vor Ende der Stimmauszählung. Erdogan sieht sich als Vermittler im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schrieb auf Twitter: "Ich freue mich, unsere Arbeit zusammen fortzusetzen und den Nato-Gipfel im Juli vorzubereiten." Die Türkei hatte den Beitritt Schwedens in die Nato bislang blockiert und Zugeständnisse in der Terrorismusbekämpfung gefordert. Beobachter gehen davon aus, dass das türkische Parlament, in dem Erdogans Allianz eine Mehrheit hat, den Beitritt noch vor dem Nato-Gipfel ratifiziert.
(dpa)