Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Türkei: Erdogan ist so schwach wie nie

Türkei

Erdogan ist so schwach wie nie

    • |
    Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Erdogan lassen die Fahnen wehen.
    Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Erdogan lassen die Fahnen wehen. Foto: Kno Jai Tba, dpa (Archivbild)

    Blass, müde und niedergeschlagen wirkt Recep Tayyip Erdogan in diesen Tagen. Als er jetzt die Erdbeben-Provinz Hatay besuchte, bat er die Opfer des Unglücks erneut um Verzeihung für Fehler des Staates. Solche Töne sind die Türken von ihrem sonst so selbstsicheren Präsidenten nicht gewöhnt. Genau 20 Jahre ist Erdogan an diesem Dienstag in der Türkei an der Macht – und er wirkt so schwach wie nie zuvor.

    Am 14. März 2003 zum Ministerpräsidenten gewählt und seit 2014 Staatspräsident, hat Erdogan die Türkei so stark verändert wie vor ihm nur Staatsgründer Atatürk. Er hat die politische Einflussnahme der Militärs beendet, eine neue islamisch-konservative Mittelschicht nach oben gebracht und fast alle Wahlen seit 2003 gewonnen. In den ersten Jahren seiner Regierungszeit brachte er die Türkei mit Reformen auf EU-Kurs und leitete einen Wirtschaftsboom ein, der das Einkommen der Türken verdreifachte und das Land zu einem Mitglied der G20 machte, der Organisation der 20 stärksten Volkswirtschaften der Welt.

    Recep Tayyip Erdogan dreht seine eigenen Reformen zurück

    Doch seit etwa zehn Jahren dreht Erdogan mit einem zunehmend autokratischen Regierungsstil große Teile seiner eigenen Reformpolitik wieder zurück. Im Jahr 2018 führte er ein Präsidialsystem ein, das ihm weitreichende Machtbefugnisse ohne wirksame Kontrollmechanismen garantiert. Erdogan schränkte die Meinungsfreiheit ein, brachte die Zentralbank und die Justiz unter seine Kontrolle und ließ Kritiker ins Gefängnis werfen. Seine Partei AKP, die einst Islamisten wie EU-Anhängern eine politische Heimat bot und zeitweise 50 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinte, ist zu einem reinen Erdogan-Wahlverein verkümmert.

    Nun will sich der 69-Jährige bei den Wahlen am 14. Mai eine dritte Amtszeit als Staatschef sichern. Noch Anfang des Jahres sah es gut aus für ihn. Zwar schimpften die Wähler über Korruption und die Rekordinflation von zeitweise mehr als 80 Prozent, doch sobald Erdogan teure Wahlgeschenke wie eine Erhöhung des Mindestlohns und die Möglichkeit eines frühen Renteneinstiegs verteilte, stiegen seine Popularitätswerte wieder. Kriegsdrohungen gegen Syrien und Griechenland begeisterten seine nationalistischen Anhänger. Im Ukraine-Krieg etablierte er sich als Vermittler. 

    Das Erdbeben in der Türkei erschüttert auch die Politik

    Zwei Ereignisse haben Erdogan seitdem den Wind aus den Segeln genommen. Zuerst kam das Erdbeben vom 6. Februar, das fast 50.000 Menschen tötete und eine Region mit 15 Millionen Einwohnern verwüstete. In den ersten Stunden nach der Katastrophe reagierte Erdogans Regierung langsam und planlos. Erdogan argumentiert, kein Staat der Welt hätte sich auf ein Erdbeben dieser Stärke vorbereiten können. Seine Stammwähler glauben ihm, wie Umfragen zeigen; die Regierung hat durch das Erdbeben nur wenig an Unterstützung verloren. Doch um die Wahl zu gewinnen, braucht Erdogan mehr als seine Kernanhängerschaft. Die besonders wichtige Gruppe der Jungwähler ist laut dem Institut IEA des Meinungsforschers Can Selcuki zu fast 90 Prozent der Ansicht, dass eine bessere Erdbebenvorsorge des Staates viele Menschenleben gerettet hätte.

    Kemal Kilicdaroglu tritt bei den Präsidentenwahlen gegen Erdogan an.
    Kemal Kilicdaroglu tritt bei den Präsidentenwahlen gegen Erdogan an. Foto: Bradley Secker, dpa (Archivbild)

    Das zweite Ereignis, das Erdogans Wiederwahlchancen geschmälert hat, ist die Einigung der Opposition. Zwar zerbrach die Allianz aus sechs Oppositionsparteien zunächst und Erdogans Anhänger in den Medien frohlockten schon. Doch einige Tage später rauften sich die Erdogan-Gegner wieder zusammen und kürten Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu zum Präsidentschaftskandidaten. Kilicdaroglu war lange Zeit Erdogans "Wunschkandidat", denn in den Umfragen lag er immer hinter dem Präsidenten.

    Türkische Opposition will sich diesmal vereinen

    Doch Kilicdaroglu ist aus dem Krach in der Opposition gestärkt hervorgegangen. Er ist im eigenen Bündnis unangefochten und erhält inzwischen Unterstützung von linken Parteien und der prokurdischen HDP, die bei der Wahl zum Königsmacher werden könnte. In einer Befragung des Instituts ORC kam Kilicdaroglu im Direktvergleich mit Erdogan auf fast 57 Prozent der Stimmen, während der Präsident bei 43 Prozent landete. Mit einem solchen Ergebnis würde Kilicdaroglu am 14. Mai neuer Staatschef und die Ära Erdogan wäre zu Ende.

    Noch ist es nicht so weit. Erdogans Fähigkeit, sich aus schwierigen Situationen zu befreien, ist legendär. Doch wenn er diesmal das Blatt noch wenden will, muss er innerhalb weniger Wochen ein Thema finden, das die Wähler überzeugt und sie die Schwächen der Regierung bei der Erdbebenhilfe vergessen lässt. Der Kolumnist Mehmet Yilmaz von der Nachrichtenplattform T24 glaubt nicht, dass Erdogan das schaffen kann: Bis Mai werde der Präsident "kein Kaninchen mehr aus dem Hut zaubern".

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden