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Türkei: Die Türkei nach Erdogans Wahlsieg: "Wir geben die Hoffnung nicht auf"

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Die Türkei nach Erdogans Wahlsieg: "Wir geben die Hoffnung nicht auf"

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    Meric Demir Kahraman besucht gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter den inhaftierten Ehemann.
    Meric Demir Kahraman besucht gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter den inhaftierten Ehemann. Foto: Susanne Güsten

    Der kleinen Vera musste ihre Mutter am Wahlabend erklären, dass ihr Papa wohl noch länger nicht nach Hause kommen wird. Nein, sie werde nicht vaterlos aufwachsen, habe sie die Dreijährige beruhigt, erzählt Meric Demir Kahraman: „Papa wird nach Hause kommen, es wird nur noch etwas dauern.“ 

    Tayfun Kahraman sitzt seit 13 Monaten im Hochsicherheitsgefängnis Silivri - wegen Beihilfe zum versuchten Umsturz der staatlichen Ordnung zu 18 Jahren Haft verurteilt, weil er sich vor zehn Jahren in einer Bürgerinitiative zum Schutz eines Stadtparks engagiert hatte. 

    Die Wiederwahl von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bedeutet für seine Aussichten auf Freiheit einen bitteren Rückschlag; doch Meric Demir Kahraman will die Hoffnung und den Kampfgeist nicht aufgeben. Der Kampf um Recht und Freiheit gehe weiter, sagte sie unserer Redaktion; und vielleicht werde der Berufungsgerichtshof nun, da die Wahl vorbei sei, die Unabhängigkeit der Justiz demonstrieren wollen und das Urteil gegen ihren Mann kassieren.

    Wie Tayfun Kahraman sitzen in der Türkei tausende Menschen hinter Gittern, weil ihre Ansichten der Regierung nicht gefallen; und ebenso wie die Kahramans wollen sich viele politische Gefangene und ihre Familien nicht von Erdogans erneutem Wahlsieg entmutigen lassen. Das kann die Istanbuler Rechtsanwältin Eren Keskin bezeugen, die viele Mandanten hinter Gittern betreut und seit Jahrzehnten selbst stets mit einem Bein im Gefängnis steht. Die türkische Gesellschaft sei historisch abgehärtet, auch vor Erdogan war die

    Viele Feinde Erdogans waren einst Wegbegleiter

    Hinter Gittern die Hoffnung zu bewahren, kann in den Tagen nach der Wahl nicht leicht sein. „Solange wir an der Macht sind, kommt er nicht mehr raus“, verkündete Staatspräsident Erdogan noch in seiner nächtlichen Siegesrede über seinen inhaftierten Rivalen Selahattin Demirtas. Die jubelnde Menge vor dem Präsidentenpalast antwortete mit einem Sprechchor: „Hängt ihn auf, hängt ihn auf!“ Einst selbst Präsidentschaftskandidat, sitzt Demirtas seit fast sieben Jahren hinter Gittern, weil er nicht mit Erdogan paktieren wollte, als der die Kurden für sein Präsidialsystem einspannen wollte. Von Kurden über einstige Anhänger des Predigers Fethullah Gülen bis hin zu liberalen Bürgerrechtlern waren viele der politischen Gefangenen zeitweise Weggefährten von Erdogan auf dessen Weg zur absoluten Macht. 

    Jede Woche fährt Meric Demir Kahraman mit ihrem Kleinkind die knapp hundert Kilometer hinaus zur Haftanstalt Silivri, wo sich die Familie beim Besuchstermin durch eine Trennscheibe sehen und über einen Telefonhörer sprechen kann. „Und wir sind nur ein einziges Beispiel von so vielen“, sagt Kahraman.

    Türkei zählt tausende politische Gefangene

    Landesweit sind nach Schätzung von Eren Keskin viele tausende Menschen aus politischen Gründen im Gefängnis. Sie selbst ist allein in diesem Monat schon mehrfach vorübergehend festgenommen worden, weil sie mit den sogenannten Samstagsmüttern für Aufklärung von staatlichen Morden aus den 90er Jahren demonstrierte. Dennoch sieht die Anwältin noch immer Anlass zur Hoffnung, auch nach dem Ausgang der Präsidentenwahl. „Erdogan ist ein höchst pragmatischer Politiker“, sagte Keskin unserer Redaktion: Wenn er aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen einen Vorteil darin sehe, könne er jederzeit wieder den Kurs wechseln. Verzweiflung komme jedenfalls nicht in Frage, sagt sie: Der Kampf gehe weiter.

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