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TTIP: Gabriel legt den Finger in die TTIP-Wunde

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Gabriel legt den Finger in die TTIP-Wunde

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    Das Projekt TTIP ist wohl nicht mehr zu retten.
    Das Projekt TTIP ist wohl nicht mehr zu retten. Foto: Olivier Hoslet (dpa)

    Natürlich befindet sich SPD-Chef Sigmar Gabriel im Wahlkampfmodus. In mageren Zeiten für die Sozialdemokraten versucht er zu punkten, wo es eben geht. So hat der zu eruptiven Ausbrüchen neigende Bauch-Politiker etwas gesagt, was vielen Wählern seiner Partei gefallen wird und zugleich richtig ist. Mit seiner Diagnose, dass die Verhandlungen zwischen Europa und den USA über das Freihandelsabkommen TTIP de facto gescheitert seien, trifft der Rote ins Schwarze.

    Denn nach drei Jahren wirken die Positionen auf beiden Seiten nach wie vor verhärtet. Die Repräsentanten aus den USA und der EU haben sich in entscheidenden Fragen nicht – wie notwendig – Meter um Meter angenähert, sondern allenfalls zentimenterweise Kompromisswillen dokumentiert. Dabei ist der Eindruck entstanden, dass die US-Unterhändler unnachgiebiger als die Vertreter diesseits des Atlantiks auftreten. Daher argumentiert Gabriel gezielt populistisch: Europa dürfe sich Amerika nicht unterwerfen. Diese Einlassung findet in einem zunehmend nationalistischen Klima nickende Abnehmer.

    Denn in Europa macht sich immer mehr eine saturierte Anti-Haltung breit. Hier mischt sich an den linken und rechten Rändern der Gesellschaft Anti-Amerikanismus mit Anti-Globalisierungs- und -Freihandelshaltung. Hinzugesellt sich Anti-Liberalismus, der in die Mitte der Gesellschaft ragt.

    Das ist ein denkbar schlechtes Klima, um einen Freihandelsvertrag zum Abbau wachstumshemmender Zölle und zur überfälligen Angleichung von Normen zu schaffen. In Europa und in den USA sehnen sich Bürger zunehmend nach Nationalismus und Abschottung. Das geht mit einem starken Misstrauen gegen Eliten einher.

    TTIP und die ungeschickten Unterhändler

    TTIP - Pro und Contra gegen den Handelspakt

    Das geplante Freihandelsabkommen TTIP mit den USA stößt vor allem in der deutschen Bevölkerung auf heftigen Widerstand. Ein Überblick über Argumente von Befürwortern und Kritikern:

    Argumente pro TTIP: Der Wegfall von Zöllen und mehr gemeinsame Standards kurbeln die Wirtschaft an und schaffen neue Jobs. Mit 800 Millionen Verbrauchern entsteht der größte Wirtschaftsraum der Welt.

    Argumente pro TTIP: Nur ein Zusammenschluss zwischen USA und Europa verhindert, dass Asien künftig die führende Rolle im Welthandel spielt.

    Argumente pro TTIP: Deutschland profitiert als größte Exportnation Europas über die Maßen vom Freihandel. Jeder vierte Arbeitsplatz in der Bundesrepublik hängt direkt oder indirekt vom Export ab.

    Argumente pro TTIP: Gemeinsame Standards, beispielsweise für die Produktion von Autos, ermöglichen Kosteneinsparungen bei der Herstellung. Das könnte zu sinkenden Preisen für die Verbraucher führen.

    Argumente pro TTIP: Europa und die USA rücken auch politisch weiter zusammen.

    Argumente contra TTIP: Es besteht die Gefahr, dass europäische Vorschriften zum Schutz von Verbrauchern, Arbeitnehmern oder der Umwelt gelockert werden, weil sie als Handelshemmnisse eingestuft werden könnten.

    Argumente contra TTIP: Über Regeln zum sogenannten Investitionsschutz bekommen internationale Großkonzerne die Möglichkeit, nationales Recht und nationale Politik auszuhebeln. Die Parlamente verlieren hingegen an Einfluss.

    Argumente contra TTIP: Zahlreiche Menschen in ärmeren Ländern verlieren ihre Jobs, weil es Unternehmen außerhalb der neuen Freihandelszone schwerer haben werden, ihre Waren in den USA oder Europa zu verkaufen.

    Argumente contra TTIP: Zölle spülen jedes Jahr Milliardensummen in die Staatskassen bzw. den EU-Haushalt. Dieses Geld würde fehlen.

    Argumente contra TTIP: TTIP gefährdet die kulturelle Vielfalt in Europa, weil staatliche Subventionen auf den Prüfstand kommen könnten. (dpa)

    Immer mehr Klein- und Wutbürger stehen leider nur wenigen Weltbürgern gegenüber. Es ist eine gefährliche Stimmung des Unbehagens entstanden, die von ungeschickten TTIP-Unterhändlern befördert wird. Denn die Abgesandten glauben im Zeitalter der durch soziale Medien erzwungenen Transparenz, wie Geheimbündler auftreten zu können. So versuchen sie, Standards zur Lebensmittel- und Medikamentensicherheit zu vereinheitlichen, ja die US-Seite will umstrittene private Schiedsgerichte durchdrücken, vor denen Konzerne Staaten verklagen können. Das ist ein perfekter Nährboden für Verschwörungstheorien, auch wenn sich vieles bei sachlicher Betrachtung als weniger dramatisch erweist.

    Zur mangelnden Transparenz gesellte sich der TTIP-Kardinalfehler: Ob Amerika oder Europa – beide Parteien haben zu viele Themen in die Verhandlungen hineingepackt. Der daraus sprechende Optimismus mutet naiv an, gibt es doch unterschiedliche transatlantische Kulturen, etwa im Verbraucherschutz. In den USA gilt das Wissenschafts- oder Nachsorgeprinzip. Wenn sich durch Studien erhärtet, dass ein Produkt sicher ist, kommt es schneller als in Europa auf den Markt. Tauchen Probleme auf, können Hersteller auf horrende Zahlungen verklagt werden. In der EU dominiert aber das Vorsorgeprinzip. Es muss vorab erwiesen sein, dass eine Ware gefahrlos ist.

    Vielleicht gibt es noch eine Chance für ein „TTIP light“

    Solch traditionell bedingte mentale Gräben sind schwer zu überwinden. Scheitern die Verhandlungen, sollte 2017, wenn der Machtwechsel in den USA vollzogen ist, ein neuer Gesprächsanlauf gewagt werden, allerdings mit abgespecktem Programm. Für ein „TTIP light“ würde es reichen, Zölle abzuschaffen sowie sich zum Beispiel im Bereich der Autoindustrie auf einheitliche Blinker und dergleichen festzulegen. Am Ende ist weniger mehr. Ohne die Akzeptanz der Bürger fördert ein zu radikales Freihandelsabkommen die ohnehin schon unerträgliche Anti-Haltung.

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