Robert Habeck stellt sich vor seinen wichtigsten Mann. Er zieht die Pfeile auf sich, die seinen Staatssekretär Patrick Graichen treffen sollen. „Ich habe entschieden, dass Patrick Graichen wegen dieses Fehlers nicht gehen muss“, sagt Habeck, nachdem er und Graichen eine scharfe Befragung im Wirtschaftsausschuss des Bundestages über sich ergehen lassen mussten. In den Sitzungssaal fällt das helle Licht der Mai-Sonne. Aus dem Kanzleramt könnte Olaf Scholz herüberschauen und sehen, wie sein Vize-Kanzler tief im Morast steckt.
Es geht in diesen Tagen für Habeck um mehr als nur ein lästiges Zwischentief. Die Affäre um den grünen Staatssekretär, der seinem Trauzeugen einen lukrativen Posten verschaffen wollte, könnte für den Anführer der Grünen schwerwiegende Konsequenzen haben. Hinter seinem umstrittenen Heizungsgesetz werden nun große Fragezeichen gemacht, aber damit nicht genug.
Der Fall Graichen bringt Habecks Kanzlertraum in Gefahr
Es geht um das Umfragetief der Grünen und auch die persönlichen Ambitionen des 53-Jährigen. Sein Traum, Kanzler zu werden, leuchtet noch in ihm. Er wäre eigentlich dran als Kandidat seiner Partei, nachdem Annalena Baerbock vor zwei Jahren zugegriffen hatte und den Wahlkampf vergeigte.
Im ersten Jahr der Ampel lief es gut für ihn, Habeck stieg zum beliebtesten Politiker der Koalition auf. Doch das geplante Verbot von Gas- und Ölheizungen hat ihn bei den Wählern viel Vertrauen gekostet und ausgerechnet dem dafür zuständigen Staatssekretär haftet jetzt der Vorwurf der Vetternwirtschaft an. Die Meinungsforscher vom Forsa-Institut melden passend zur Befragung, dass die persönlichen Beliebtheitswerte gefallen sind. Außenministerin Baerbock liegt vor ihm.
Für die Opposition ist die Affäre ein Fest. Ausgerechnet die moralisch so hochfliegenden Grünen sind auch nur Menschen. CDU-Chef Friedrich Merz hat bereits den Rücktritt Graichens gefordert. Und die frühere Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner will einen Untersuchungsausschuss nicht ausschließen. „Wir halten uns alle Instrumente offen … Wir sagen, dass Herr Habeck Staatssekretär Graichen, der ihn getäuscht hat, zurückziehen muss.“
Jeder Pfeil, der auf Graichen abgeschossen wird, soll eigentlich Habeck treffen. Und ihn damit schwächen. Der Wirtschaftsminister hat sich dafür entschieden, sich dem Hagel weiter auszusetzen. Er braucht Graichen, der sich wie wenige mit den Tücken der Energiewende auskennt, für die Details der Gesetzgebung. Außerdem ist er ihm dankbar für die geleistete Plackerei in der Gaskrise. Wie Graichen so unbegreiflich unbedarft oder dreist sein konnte, seinem Trauzeugen eine sehr gut dotierte Stelle zuzuschustern, will Habeck unter den Tisch fallen lassen. „Für mich ist es nicht entscheidend. Die Begründung ist für mich zweitrangig.“
Staatssekretär Graichen: „Ich bedaure diesen Fehler sehr“
Als sich sein Chef der Presse stellt, ist Graichen längst entschwunden. Später entschuldigt er sich über den Kurznachrichtendienst Twitter. „Das war falsch und ich bedaure diesen Fehler sehr“, erklärt er. In der nicht öffentlichen Sitzung ist der sonst so selbstbewusste Politiker kleinlaut und schwer angegriffen. Er kann nicht erklären, warum er glaubte, mit seinem Freundschaftsdienst durchzukommen. Das berichten mehrere Abgeordnete, die dabei waren.
Ihren Worten nach hat er seinen Freund Michael Schäfer bewusst in das Spiel gebracht für die Geschäftsführung der staatlichen Deutschen Energieagentur. In der dreiköpfigen Auswahljury stimmte er später für seinen Trauzeugen. Der Job wird mit 190.000 Euro Jahresgehalt bezahlt, wie mehrere Zeitungen melden. Unterschrieben hat Schäfer laut den Teilnehmern seinen Vertrag am 21. April, drei Tage später gesteht Graichen dem Minister, dass es da ein Problem geben könnte. Das Problem ist da und als eine Folge prüft das Ministerium nun, ob es ein Disziplinarverfahren gegen den Staatssekretär einleitet.
Habeck hat für seinen Mitstreiter das erste Gesetz der Aufarbeitung von Affären gebrochen. Der schnelle, klare Schnitt ist dem scheibchenweisen Zugeben vorzuziehen, um die Gemüter zu beruhigen. So schleppt er die Vorwürfe mit und macht sich zur Zielscheibe. Nicht nur der Opposition kommt es zupass.
Die Ampel-Partner werfen sich jetzt nicht gerade vor Habeck, der bei der nächsten Bundestagswahl 2025 ein starker Konkurrent wäre. Der Bundeskanzler belässt es bei knappen Sätzen. „Er hat gesagt, dass Entscheidungen, die falsch gelaufen sind und die kritisierbar sind, korrigiert werden müssen. Das ist passiert“, so Olaf Scholz. Die Liberalen sehen eine Chance gekommen, das ungeliebte Heizungsgesetz wieder aufzumachen und das Einbauverbot von Öl- und Gasheizungen um mehrere Jahre zu verschieben.