Die Wände des Konferenzzimmers sind mit dunklem Holz getäfelt, am Kopf des Raumes stehen zwei Flaggen, eine für die USA, eine für Bayern, die Münchner Staatskanzlei ist in Laufweite, vor der Tür der Englische Garten. Es ist einer dieser typischen amerikanischen Konsulatsbauten, den Amy Gutmann an diesem sonnigen Tag betritt. Entworfen von einem Architekten aus Chicago, „internationaler Stil“ nannte sich das Design, gebaut in den 1950er Jahren. Im Innern zweckmäßig von außen fällt vor allem die beeindruckende Polizeipräsenz auf.
Gutmann ist US-Botschafterin in Deutschland, sie reist zu Antrittsbesuchen von Berlin aus durch ihr Gastland, um Gespräche zu führen und das zu beschwören, was unter dem Begriff „transatlantische Partnerschaft“ zum politischen Schlagwort gewachsen ist. Hochsensibel, ständigen Schwankungen unterworfen – und dabei einer der wesentlichen Pfeiler der westlichen Außenpolitik. Ist die Beziehung zwischen Weißem Haus und Kanzleramt gestört, prägt das die bundesdeutsche Gemütslage. Die Ära Donald Trump hat für einen wahren politischen und psychologischen Scherbenhaufen gesorgt.
Für US-Botschafterin Amy Gutmann ist ihr Job mehr als Arbeit
Gutmann muss ihn aufkehren. Die 72-Jährige ist seit knapp zwei Monaten als Amerikas Top-Diplomatin in Berlin. Eine kleine, schmale Frau mit großer Lebenserfahrung und gewaltiger Ausstrahlung. Sie wird sie brauchen. Die Position in der US-Vertretung war mehr als 20 Monate wegen einer Blockade der oppositionellen Republikaner im US-Senat unbesetzt. In der Bundesrepublik hat noch nie eine Frau die US-Botschaft geleitet.
Als Gutmann ihren Posten übernahm, machte sie deutlich, dass das nicht bloß ein Job sei, der sie nach Deutschland geführt habe - es sei eine Mission. Dass die gleich in doppelter Hinsicht bestehen würde, dürfte ihr kaum klargewesen sein als sie Präsident Joe Bidens Angebot annahm. Denn die Aufgabe der Botschafterin wird nicht nur sein, die deutsch-amerikanische Freundschaft zu hätscheln. Kurz bevor sie ihre Ernennungsurkunde erhielt, brach in Europa ein Krieg aus, der seither nicht nur die politische Agenda dominiert, sondern auch so manche Gewissheiten über den Haufen geworfen hat.
Die Zeitenwende muss mehr als ein kurzes Aufbäumen sein
Und so versucht es Gutmann mit Lob und Anerkennung und Motivation. In der Hoffnung, dass das, was sie mit dem deutschen Wort „Saitänwände“, Zeitenwende, benennt, mehr ist als eine politische Momentaufnahme, sondern der Beginn einer echten deutschen Verantwortungspolitik. Nur mit geeinten Kräften lasse sich dem Aggressor Wladimir Putin wirksam gegenübertreten.
Tatsächlich war die westliche Einheit wohl das, was den wütenden Mann im Kreml am meisten überrascht hat. „Die transatlantische Partnerschaft war nie stärker, als sie es heute ist“, sagt Gutmann. „Und das ist nicht nur gut – es ist notwendig.“ Die USA seien von Tag 1 an vorbereitet gewesen auf diesen Krieg, Deutschland habe inzwischen die Allianz gestärkt. Das Land habe Großes für die Ukraine geleistet und werde das auch weiter tun. „Die Zeitenwende ist für Deutschland so bedeutend, wie sie es für uns und unsere Alliierten ist“, sagt Gutmann. Kurz vorher hat der Bundestag die Lieferung schwerer Waffen beschlossen. Es ist der Wink mit dem besonders großen Zaunpfahl. Das Lob, das die USA dafür aussprechen, ist wohl vor allem als Ansporn zu verstehen, künftig noch mehr zu leisten. Denn so viel ist klar: Die USA mögen zurück sein in ihrer Rolle als Weltpolizist, doch sie verlangen echte Unterstützung.
Womöglich ist die 72-Jährige genau die richtige Frau zu genau der richtigen Zeit für die große Aufgabe, die auf sie wartet. Und das liegt nicht nur daran, dass sie so etwas wie der menschgewordene Gegenentwurf ihres Vorgängers Richard Grenell ist. So mancher hatte den Eindruck, dass der Amerikaner sich eher wie ein Feldherr gegenüber seinen Untertanen benommen hatte als wie ein Partner auf Augenhöhe. Aus der Opposition kamen während seiner Amtszeit sogar vereinzelt Forderungen, ihn zur „unerwünschten Person“ zu erklären. Von Gutmann sind verbale Entgleisungen kaum zu erwarten. Sie schaut auf eine makellose Karriere als Professorin und Universitätspräsidentin zurück, ihr Lebenslauf ist gepflastert mit Auszeichnungen und Ehrungen. 2011 zählte sie das Magazin Newsweek zu den „150 Frauen, die die Welt bewegen“. Von der Zeitschrift Fortune wurde sie 2018 als eine der 50 wichtigsten Führungspersönlichkeiten der Welt eingestuft. Ihr Verhältnis zu Präsident Biden gilt als eng.
Amy Gutmanns Familie floh vor den Nazis aus Feuchtwangen
Doch es gibt noch einen anderen, einen durch und durch persönlichen Grund für Gutmanns besondere Eignung für ihre Aufgabe. Gerade einmal drei Kilometer liegen zwischen dem amerikanischen Konsulat in München und dem Ort, an dem der Mann wohnte, der ihre Familiengeschichte bis in die Grundfeste erschüttern sollte. In der Schleißheimer Straße 34 lebte von 1912 bis 1914 Adolf Hitler. Gutmanns Vater Kurt, ein Unternehmer, war Jude. 1934, ein Jahr nach Hitlers Machtübernahme, floh er mitsamt seiner Familie aus Feuchtwangen zunächst nach Indien. Später zog er nach New York, wo Amy 1949 im Stadtteil Brooklyn geboren wurde. Kurt Gutmanns Elternhaus steht noch heute in der fränkischen Kleinstadt, schräg gegenüber der Kirche, im Sommer will die Tochter es besuchen. „Sein Mut und seine Weitsicht schützten das Leben seiner ganzen Familie. Er hat mir eingeflößt, dass ich mich gegen jede Form von Hass, Bigotterie und Diskriminierung wehren werde“, sagte die US-Botschafterin in einer ihrer ersten öffentlichen Reden. Nun kehrte die Tochter in jenes Land zurück, in dem nicht nur ihre Wurzeln liegen – sondern das auch seine nationalsozialistische Vergangenheit bis heute als ein Argument heranzieht, warum es sich selbst militärische Abstinenz auferlegt hat.
„Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg sehr gute Gründe für Deutschland, sich zu entmilitarisieren“, sagt Amy Gutmann. „Aber inzwischen hat sich nicht nur die Welt dramatisch geändert – auch Deutschland hat sich geändert.“ Ihr Vater sei 1966 gestorben, Amy war erst 16, er habe die großen Umbrüche nicht mehr erlebt. Doch sie selbst erfahre jeden Tag, dass die Lehren, die Deutschland aus seiner Geschichte ziehen müsse, andere seien als die, die sich die Politik selbst auferlegt hat. „Deutschland ist eine starke Demokratie, es hat eine Führungsrolle in Europa inne und muss all die militärische Hilfe bereitstellen, die es leisten kann – ohne dabei die eigene Sicherheit zu gefährden“, betont sie entschieden. „Lassen Sie es mich so deutlich sagen: Ohne militärische Gewalt hätte Hitler den Zweiten Weltkrieg gewonnen.“
Es geht nicht allein um die Ukraine
Auch heute geht es nach Ansicht der amerikanischen Botschafterin um mehr als um die Schlacht zwischen zwei Ländern, um mehr als um die Ukraine. Es gehe um die demokratische Weltordnung. Deshalb dürfe sich die Welt auch nicht einschüchtern lassen von Russlands Drohungen mit einem Atomschlag. „Wir nehmen das ernst“, sagt Gutmann. „Aber die Bedrohung, die Putin ausspricht, geschieht aus einer Position der Schwäche heraus, nicht aus einer Position der Stärke.“ Aus diesem Grund gehe er auch brutal vor in seinen Schlachten, hinterlasse unnötige Zerstörung. „Egal wie oft Herr Putin von atomarer Bedrohung spricht, es wird ihm nicht helfen“, sagt die Botschafterin. Die Welt werde alles daransetzen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinne.
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