Syrische Rebellen haben nach Angaben von Aktivisten die nordwestliche Millionenstadt Aleppo erreicht. «Die Aufständischen sind zum ersten Mal seit 2016 in die Stadt Aleppo eingedrungen», sagte Rami Abdel Rahman, der Leiter der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Die Offensive der Rebellen stellt eine dramatische Entwicklung dar in dem seit 2011 andauernden Bürgerkrieg - in dem sich die Fronten zuletzt wenig verändert hatten.
Eine Allianz islamistischer Rebellengruppen teilte mit, ihre Kämpfer lieferten sich Gefechte mit Regierungstruppen in westlichen Vororten der Großstadt. Das syrische Verteidigungsministerium gab an, die Streitkräfte der Regierung seien mit massiven Angriffen im Umland der Städte Aleppos und Idlibs konfrontiert.
Augenzeugen in Aleppo berichteten der Deutschen Presse-Agentur von Rebellen, die mit ihren Fahrzeugen im westlichen Teil Aleppos gesehen wurden. Sie hätten Bilder des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad zerrissen. Andere Anwohner berichteten von Gefechtslärm und Explosionen, die in der Stadt zu hören waren.
Rebellen wollen Dutzende Orte erobert haben
Aus Kreisen der Rebellen hieß es, Kämpfer seien vom Süden und Westen nach Aleppo vorgerückt und hätten bisher über 50 Orte in der Umgebung unter ihre Kontrolle gebracht. Darunter war nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte auch die Ortschaft Sarakib, die entscheidend für die Kontrolle der Verbindungsroute zwischen der Hauptstadt Damaskus und Aleppo ist.
Seit Mittwoch wurden nach Angaben der Menschenrechtsaktivisten bereits mindestens 255 Menschen getötet. Darunter seien mindestens 24 Zivilisten. Die Organisation mit Sitz in Großbritannien bezieht ihre Informationen von einem Netz aus Informanten vor Ort.
Die Gefechte hatten am Mittwoch begonnen. Die Allianz islamistischer Rebellen nennt ihre neue Offensive «Abschreckung der Aggressionen».
Die syrische Armee griff seither mit Unterstützung russischer Kampfjets Dutzende Ziele in Idlib und im Umland von Aleppo an. Beobachter gehen davon aus, dass die Offensive seit Monaten von den Rebellen geplant worden war. Schon in den vorigen Wochen hatte sich die Lage immer weiter zugespitzt.
Moskau sieht sich wohl nicht in Verantwortung
Russland verurteilt den unerwarteten Vormarsch islamistischer Rebellen auf die Stadt Aleppo als Angriff auf die Souveränität Syriens. «Natürlich ist das ein Eingriff in die Souveränität Syriens in dieser Region», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau.
Seine Worte legten aber nahe, dass Moskau sich nicht in der Verantwortung sehe, die Offensive zu stoppen. «Wir sind dafür, dass die syrischen Behörden so schnell wie möglich Ordnung in die Region bringen und die verfassungsmäßige Ordnung wiederherstellen», sagte er der staatlichen Nachrichtenagentur Tass zufolge.
Erinnerung an erbitterte Schlacht um Aleppo
Aleppo war in den ersten Jahren des syrischen Bürgerkriegs stark umkämpft und wurde schwer verwüstet. Damals wurden die Aufständischen vom syrischen Militär und seinen Verbündeten gewaltsam aus dem östlichen Teil der Stadt vertrieben. Die Schlacht um Aleppo galt als eine der schlimmsten in dem seit 2011 andauerndem Bürgerkrieg in Syrien. Idlib ist seit Jahren in der Hand der Aufständischen.
Russland hatte 2015 in den syrischen Bürgerkrieg eingegriffen und mit seiner überlegenen Luftwaffe dazu beigetragen, dass die wankende Macht von Präsident Baschar al-Assad sich wieder festigte. Gerade an der Rückeroberung Aleppos durch die syrische Armee 2016 mit vielen zivilen Opfern war Russland beteiligt. Wegen des Ukraine-Kriegs verringerte Moskau aber ab 2022 seine Truppenpräsenz in dem nahöstlichen Land.
Zehntausende Menschen mussten fliehen
Seit dem jüngsten Ausbruch der Kämpfe sind nach Angaben der Vereinten Nationen rund 14.000 Menschen in der Umgebung von Idlib und westlich von Aleppo vertrieben worden.
Viele Bewohner flohen Augenzeugen zufolge aus den betroffenen Gebieten aus Angst vor einer Eskalation. «Die Leute haben Angst. Ich packe meine Sachen und meine Familie und fahre in Richtung Damaskus», sagte ein Anwohner im Westen Aleppos der dpa.
Die Lage verschlechtere sich insbesondere für die Zivilbevölkerung, betonte der stellvertretende regionale UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Syrien, David Carden. «Wir erhalten Berichte über Kinder mit mehreren Verletzungen durch Schrapnell», sagte er.
Der Bürgerkrieg in Syrien hat das Land zutiefst gespalten. Präsident Baschar Al-Assad geriet zeitweise schwer unter Druck, kontrolliert mit Hilfe seiner Verbündeten Russland und Iran inzwischen aber wieder zwei Drittel des Landes. Gebiete im Nordwesten sind unter Kontrolle von Oppositionskräften, die teils von der Türkei unterstützt werden. Eine politische Lösung für den Konflikt ist nicht in Sicht. Infolge des Bürgerkriegs sind Millionen Syrer ins Ausland geflohen - viele auch nach Europa.
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