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Tim Walz: Der Brückenbauer zwischen Demokraten und Republikanern

US-Wahl 2024

Der Normalo: Tim Walz soll enttäuschte US-Republikaner zu den Demokraten locken

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    Der demokratische Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz - mit ihm hoffen die Demokraten, enttäuschte Republikaner auf ihre Seite zu ziehen.
    Der demokratische Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz - mit ihm hoffen die Demokraten, enttäuschte Republikaner auf ihre Seite zu ziehen. Foto: Erin Hooley, AP/dpa

    Nein, er hat trägt kein Freizeit-Shirt. Für den großen Auftritt vor einem Millionenpublikum hat sich Tim Walz einen Anzug mit Krawatte angezogen. Trotzdem unterscheidet sich die Rede des demokratischen Vizepräsidenten-Kandidaten schon am Anfang auffällig von anderen auf diesem Parteitag. Die Senioren einer von dem 60-Jährigen trainierten Football-Mannschaft sind auf die Bühne gekommen, und aus den Lautsprechern der riesigen United-Arena in Chicago dröhnt der Song „I was born in a small town.“

    Tim Walz, dieser sympathisch-bodenständige Normalo-Amerikaner, den vor einem Monat außerhalb des Bundesstaates Minnesota wohl kaum jemand kannte, wurde tatsächlich in einem 300-Seelen-Kaff im Mittleren Westen geboren. Und eine der wichtigsten Lehren aus seiner Herkunft, so berichtet er, laute: „Die Familie nebenan mag nicht dieselben Überzeugungen wie Du haben. Aber es sind Deine Nachbarn. Jeder gehört dazu.“

    Die Demokraten rund um Kamala Harris wollen ein möglichst breites Bündnis schmieden

    Das mag ein bisschen idealistisch sein. Aber es beschreibt sehr gut einen zentralen Ansatz der Kampagne von Kamala Harris und ihrem Running Mate: Die beiden Politiker wissen, dass alleine die Stimmen der überzeugten Demokraten-Anhänger nicht ausreichen werden, um ihnen den Weg ins Weiße Haus zu ebnen. Sie versuchen daher, ein möglichst breites Bündnis gegen Donald Trump zu schmieden und neben der eigenen Basis auch möglichste viele unabhängige Wähler und enttäuschte Republikaner mit ins Boot zu holen.

    Die Gegnerschaft zu Trump als gemeinsamer Nenner trotz ansonsten unterschiedlicher Überzeugungen – wie ein roter Faden zieht sich dieser Gedanke durch die Convention. Kein Geringerer als Barack Obama hat am Dienstag die Philosophie dahinter ausgebreitet. „Wenn Eltern oder Großeltern gelegentlich etwas sagen, das uns schaudern lässt, unterstellen wir nicht automatisch, dass das böse Menschen sind“, hat der Ex-Präsident erklärt: „Unsere Mitbürger verdienen dieselbe Gnade, die wir von ihnen für uns erwarten.“ Schließlich, so Obama, würde sich doch die große Mehrheit im Land nach der Rückkehr eines Amerikas sehnen, „in dem wir zusammengearbeitet und uns ins Gesicht geschaut haben“.

    Soldat, Lehrer, Football-Coach: Tim Walz kommt auch in konservativen Regionen an

    Niemand scheint dieses Ideal persönlich so zu verkörpern wie Walz. Vor seiner Zeit als Gouverneur von Minnesota war der Mann mit schütterem Haar und gemütlichem Gesicht viele Jahre Soldat, dann Lehrer und schließlich Football-Coach. Er ist Jäger und besitzt mehrere Gewehre, setzt sich aber trotzdem für schärfere Waffengesetze ein. Anders als Kamala Harris, der ein gewisses links-elitäres Westküstenimage anhängt, ist Walz im Mittleren Westen verwurzelt, und er hat Wahlen in tief konservativen Regionen gewonnen.

    „Ich weiß, wie man über Parteigrenzen hinweg zusammenarbeitet und habe gelernt, Kompromisse zu schmieden“, stellt sich Walz dem Parteitag vor. Seine Rede ist persönlich, authentisch, unprätentiös, streckenweise berührend und an anderen Punkten unterhaltsam. Nur der Anzug wirkt etwas fremd. Eigentlich mag der Mann nämlich bequeme Kleidung. „Man sieht, dass die Flanell-Hemden, die er trägt, nicht von politischen Beratern ausgewählt wurden, sondern aus dem Schrank kommen“, hat Obama gesagt und witzelnd hinterhergeschoben: „Und sie haben schon einiges durchgemacht.“

    Walz war es, der vor einigen Wochen den Begriff „weird“ für Donald Trump und dessen Vize-Aspiranten J.D. Vance eingeführt hat. Nicht „gefährlich“ oder „faschistisch“, sondern schlicht und einfach – „seltsam“. Auch diese Entideologisierung der Auseinandersetzung soll die Türen für neue Wähler öffnen. Und diese werden auf dem Parteitag regelrecht umworben. Fast einem Dutzend Republikanern werden im Laufe der vier Tage teils sehr prominente Redeplätze eingeräumt, um die sich mancher demokratische Parteifunktionär vergeblich bemüht.

    Da ist zum Beispiel John Giles, der Bürgermeister der Stadt Mesa in Arizona. „Ich bin Zeit meines Lebens Republikaner. Also ist das für mich hier sehr ungewohnt“, gesteht der Kommunalpolitiker in der United-Arena. Doch seine Grand Old Party sei „gekidnappt von Extremisten und zu einem Kult verkommen“, weshalb er für Harris stimmen werde. „Trump kennt keine Empathie, keine Moral und keinerlei Verpflichtung zur Wahrheit“, warnt Stephanie Grisham, die ehemalige Sprecherin des Präsidenten. „Ich stimme nicht mit allen Ideen von Harris überein. Aber Donald Trump darf nie wieder einen Fuß ins Weiße Haus setzen“, sagt Geoff Duncan, der frühere Vize-Ministerpräsident von Georgia und fordert enttäuschte Republikaner auf, mit ihrer Stimme Trump zu „versenken“.

    In der republikanischen Partei finden solche Stimmen kein Gehör mehr. Aber auf enttäuschte Reagan-Konservative oder Wechselwähler könnten sie durchaus Eindruck machen.

    Talkshow-Legende Oprah Winfrey ist der Überraschungsgast des Abends

    Darauf setzen die Demokraten wohl auch mit dem spektakulären Überraschungsgast des Abends: Kurz vor Walz betritt unter Jubelstürmen die legendäre TV-Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey die Bühne. Die 70-Jährige, die zu den erfolgreichsten Frauen der Welt gehört, hat Obama und Hillary Clinton unterstützt, hält sich aber aus der Tagespolitik heraus. Nun appelliert sie an die Amerikaner: „Wir sind nicht so unterschiedlich von unseren Nachbarn. Wenn ein Haus brennt, fragen wir nicht nach der Rasse oder Religion des Hauseigentümers. Wir machen, was gemacht werden muss.“

    Das passt zur heilen Kleinstadt-Welt von Tim Walz. Doch Winfrey setzt noch einen Seitenhieb gegen J.D. Vance hinzu, der Kamala Harris vorgeworfen hatte, keine leiblichen Kinder zu haben: „Und wenn das Haus zu einer kinderlosen Katzen-Lady gehört, dann versuchen wir auch die Katze herauszubringen.

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