Herr von Loeper, seit 2002 stehen die Tierrechte im Grundgesetz. Sie waren damals eine treibende Kraft. Was hat Sie denn bewegt, sich für Tiere einzusetzen?
EISENHART VON LOEPER: Es gibt da einen Moment aus meiner Kindheit. Mit zwölf Jahren habe ich Hühner betreut, und es war für mich traumatisch zu sehen, dass sie sterben mussten. Dann habe ich immer wieder erlebt, wie Kühe mit den Kälbern zum Schlachter gezerrt wurden. Deswegen habe ich mich entschlossen, dass ich vegetarisch leben will. Als ich beruflich als Anwalt tätig war, bewegte mich eine Biologin, ein Rechtsgutachten zur Käfighaltung von Legehennen zu schreiben. Im Zuge dessen habe ich erkannt: Das Gesetz enthält zwar gute Leitsätze, aber sie werden in der Praxis missachtet. Seither habe ich entschieden daran gearbeitet, dass auch den Tieren Recht geschieht.
Warum ist es so wichtig, dass die Tierrechte in das Grundgesetz gekommen sind?
VON LOEPER: Das Neue daran war, dass der Tierschutz in den höchsten Rang unserer Rechtsordnung kam, dorthin, wo auch die Menschenrechte stehen. Der Staat muss seitdem die Tierrechte in der Gesetzgebung, in der Rechtsanwendung und im Gesetzesvollzug beachten.
Sehen Sie die Tierrechte seither auch gut umgesetzt?
VON LOEPER: In den vergangenen Jahrzehnten geschah das leider nur sehr unzulänglich. Aber der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ist auf dem Wege dahin, dass im Zusammenhang mit dem Klimaschutz flächendeckend eine neue Ordnung unseres Zusammenlebens mit Tieren zustande kommt. Der Klimaschutz verlangt zum Beispiel im Verkehr radikale Veränderungen. Ähnlich grundlegend kommt es darauf an, in jeder Hinsicht dem Einzeltier als Mitgeschöpf und seinen Grundbedürfnissen auf Wohlbefinden gerecht zu werden. Tierquälerei und der Missbrauch der Tiere für den Profit sind auch menschenunwürdig.
Wo sind die aktuellen Probleme beim Tierschutz?
VON LOEPER: Gerade in der Massentierhaltung sind ja hunderte von Millionen Tieren, die täglich unter schrecklichen Bedingungen vor sich hinvegetieren. Der Käfighaltung von Hühnern wurde zwar ein Riegel vorgeschoben, aber immer noch leiden Tiere, wie Schweine und Puten, unter artwidrig hohem Stress. Da ist eine grundlegende Veränderung unausweichlich, wenn man den Tierschutz ernst nimmt. Wir brauchen Menschlichkeit und Tierrechte in einem. Neben Gesetzen, die einen neuen Rahmen schaffen, braucht es uns alle als engagiert Beteiligte, denn der Rechtsstaat, der nur auf dem Papier steht, taugt nichts. Gesetze müssen die Tiere spürbar schützen.
Wie würden diese spürbaren Gesetze aussehen?
VON LOEPER: Dazu gehört zum Beispiel die Verbandsklage, die in allen Bundesländern realisiert werden muss. Aktuell orientieren sich die Aufsichtspersonen bei ihren seltenen Kontrollen an der Praxisüblichkeit und nicht an den gesetzlichen Tierrechten. Mit einem Verbandsklagerecht, wie es der Umweltschutz bereits kennt, haben die Kontrolleure einen größeren Anreiz, die Tierrechte durchzusetzen, weil ihnen sonst von Tierschutzverbänden eine Klage droht. In manchen Bundesländern, wie in Baden-Württemberg oder Bayern, gibt es zwar schon ein Verbandsklagerecht, aber das muss deutschlandweit umgesetzt werden.
Wie kam es dazu, dass die Tierrechte in das Grundgesetz aufgenommen wurden?
VON LOEPER: Im Mai 1990 ergriff ich die Initiative, dass die Tierrechte im Grundgesetz dauerhaft zu stärken sind. Es brauchte vielfältige gute Vorstöße, großartige Zusammenarbeit und zwölf Jahre einer immer größeren Bürgerbewegung. Da waren tolle Menschen dabei, wie Loriot und Senta Berger. Oder auch Richard von Weizsäcker, der damalige Bundespräsident, der erklärte, es gebe nichts Wichtigeres, als die Mitwelt und die Nachwelt zu schützen, das sei zukunftsweisend. Der Kanzler Helmut Kohl war 1994 noch dagegen, doch sechs oder sieben Bundesländer zogen mit, sodass sie Tierrechte in ihrer Landesverfassung verankerten. Schließlich traten Kanzlerkandidat Edmund Stoiber und deshalb auch die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag dafür ein, dass der Tierschutz ins Grundgesetz aufzunehmen sei. Vorangegangen war: Das Bundesverfassungsgericht entschied im Fall des betäubungslosen Schächtens zugunsten der Gewerbe- und Religionsfreiheit für Muslime. Das erschütterte auch die konservativen Parteien und trug wesentlich zur Wende bei. Am 17. Mai 2002 stimmte dann mehr als zwei Drittel des Bundestages für die Aufwertung des Tierschutzes im Grundgesetz.
Was war denn das Problem, als Tierrechte nur im Tierschutzgesetz standen?
VON LOEPER: Die krasse Rechtslücke kam immer dann zum Vorschein, wenn schrankenlose Grundrechte, wie Religions-, Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit mit Tierrechten kollidierten. Rechtlich hatten diese Grundrechte dann ausnahmslos Vorrang. Seitdem aber der Tierschutz in der Verfassung steht, muss das Gericht im Konfliktfalle eine stärkere Wertung für die Tiere und eine Abwägung vorzunehmen.
Aktuell gibt es einen Trend zu vegetarischer und veganer Ernährung. Ist das eine "Modeerscheinung"? Oder hat sich da tatsächlich etwas verändert in der Gesellschaft?
VON LOEPER: Ich lebe seit 1960 vegetarisch. Als ich zu studieren begann, musste ich noch auf Pudding ausweichen. Heutzutage können wir in Gaststätten vegetarische Gerichte regelmäßig längst als hochwertig und der eigenen Gesundheit dienlich verzehren. Es ist ja so ähnlich wie beim Klimaschutz oder bei der Energiefrage. Da stehen wir vor der Notwendigkeit, dass wir uns grundlegend neu ausrichten. Ich staune darüber, wie intensiv jetzt vor allem Frauen ihr Mitgefühl mit Tieren praktizieren. Mir ist es in meinem nun höheren Alter wichtig, noch zu erleben und mitzuwirken daran, wie das Recht zugunsten der Tiere zur Geltung kommt. Wenn jetzt Menschen dafür bluten, dass auch die Tiere ihre Rechte bekommen, dann bin ich ihnen mit Herzblut zur Seite.
Zur Person
Eisenhart von Loeper ist deutscher Rechtsanwalt und Tierrechtsaktivist. Er gründete 1987 die Vereinigung "Juristen für Tierrechte“ und war von 1987 bis 2006 Vorsitzender des Bundesverbandes "Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner". Er war maßgeblich an der Aufnahme des Tierschutzes ins Grundgesetz beteiligt. Wegen seiner Verdienste um den Tierschutz wurde ihm 2005 das deutsche Verdienstkreuz am Bande verliehen.