Sie war im brasilianischen Kulturverein aktiv, tanzte beim Karneval der Kulturen und gab Kindern Nachhilfe in Mathematik: Auf die Idee, dass sich hinter der netten Frau von nebenan in Wahrheit eine ehemalige Terroristin verbirgt, ist in der Sebastianstraße 73 im Berliner Szenebezirk Kreuzberg nie jemand gekommen. Am 26. Februar vergangenen Jahres allerdings fliegt die Tarnung von Daniela Klette nach mehr als 30 Jahren auf: Zielfahnder der Polizei stehen am frühen Abend vor ihrer Wohnung und verhaften sie. Dass sie noch für drei Anschläge der Roten Armee Fraktion (RAF) verurteilt wird, an denen sie beteiligt gewesen sein soll, ist damit aber noch nicht gesagt. Vor dem Landgericht im niedersächsischen Verden wird vom Frühjahr an nur ein gutes Dutzend Überfälle auf Geldtransporter und Supermärkte verhandelt, mit denen die 66-Jährige und ihre noch flüchtigen Komplizen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg ihr Leben im Untergrund finanziert haben sollen. Geschätzte Beute: 2,7 Millionen Euro.
Die Anklage wirft dem RAF-Trio unter anderem versuchten Mord, schweren Raub und unerlaubten Waffenbesitz vor. In den nächsten Wochen muss das Gericht nun entscheiden, ob es auch ein Verfahren eröffnet - was allerdings nur Formsache sein dürfte. Um einiges komplizierter ist nach Auskunft einer Sprecherin gerade die Suche nach einer Halle, in der das Mammut-Verfahren dann stattfinden kann. Das Gerichtsgebäude mit dem historischen Schwurgerichtssaal ist für den erwarteten Andrang von Nebenklägern, Zeugen, Gutachtern und Journalisten viel zu klein, die Sicherheitsvorkehrungen werden wie bei solchen Verfahren üblich hoch sein und die Stapel an Akten etliche Regalmeter beanspruchen. Schon jetzt füllen sie 30 Umzugskartons. Allein die Anklageschrift ist 700 Seiten lang - kein Vergleich zum bisher spektakulärsten Prozess in Verden, den gegen den früheren SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy wegen des Besitzes von kinderpornografischen Filmen und Bildern.
Die dritte RAF-Generation zieht eine Blutspur durch die deutsche Wirtschaft
Daniela Klette, die in Berlin mit einem gefälschten, auf den Namen Claudia Ivone lautenden italienischen Pass lebte und sogar ein eigenes Facebook-Profil als „Claudia Ivone“ hatte, gehörte zur dritten Generation der RAF, die zwischen 1985 und 1991 eine Blutspur durch die deutsche Wirtschaft gezogen hat. Ihr werden unter anderem die tödlichen Attentate auf den Rüstungsmanager Ernst Zimmermann, den Siemens-Manager Heinz Beckurts, Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen und den Chef der Treuhandanstalt, Detlev Karten Rohwedder, zugerechnet. Zur Führungsebene gehörte Daniela Klette nach allem, was man weiß, zwar nicht, sie soll aber zumindest an drei Sprengstoffanschlägen beteiligt gewesen sein - darunter an dem auf ein Gefängnis im hessischen Weiterstadt 1993, dem letzten Anschlag der RAF. Fünf Jahre später löste sie sich dann auf.

Parallel zum Verfahren in Verden arbeitet die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe an einer Terror-Anklage gegen die gebürtige Karlsruherin Klette. Diese Ermittlungen allerdings sind um einiges komplizierter als die in Niedersachsen, weil sich die Justiz seit jeher schwertut, die Verbrechen der dritten RAF-Generation konkret einzelnen Mitgliedern zuzuordnen. Im Falle der drei Sprengstoffanschläge deuten Haare und andere DNA-Spuren an den Tatorten bzw. den verwendeten Fahrzeugen jedoch zumindest auf eine Mittäterschaft von Klette, Staub und Garweg hin. Für die Mitgliedschaft in der RAF selbst können sie nicht mehr belangt werden - dieser Vorwurf ist inzwischen verjährt.
Zur RAF gekommen ist Daniela Klette über die „Rote Hilfe“ in Wiesbaden, einem lockeren Zusammenschluss junger, im radikal linken Milieu beheimateter Leute, die sich für die Gefangenen der RAF einsetzen und von denen einige später selbst zu Terroristen werden - allen voran Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld, die Anführer der dritten Generation. Untergetaucht ist Daniela Klette, die Tochter einer Zahnärztin und eines Vertreters, vermutlich um den Jahreswechsel 1989/90 herum. Lange vermuten die Fahnder sie im Ausland, in Spanien oder im Libanon, tatsächlich aber lebt sie mitten in Berlin in der Anonymität eines tristen Mehrfamilienhauses. Selbst als sie dort nach mehreren Hinweisen aus einem Fahndungsaufruf gestellt wird, sind die Beamten noch nicht ganz Herr der Lage. Daniela Klette gelingt es in einem unbeobachteten Moment, ihren Komplizen Garweg per Handy zu warnen, der ganz in der Nähe in einem Bauwagen haust. Kurz vor Weihnachten meldet er sich mit einem Schreiben an die Tageszeitung zu Wort, in dem er sich weiter als Teil der „revolutionären Linken“ bezeichnet. Überschrieben ist es mit „Grüße aus der Illegalität“.
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