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Telegram: Wie Rechtsextreme Politiker Einschüchtern und Mobilisieren

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„Rechtsextreme nutzen ihre Reichweite auf Telegram gezielt, um uns einzuschüchtern“

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    Der Messengerdienst Telegram ist so etwas wie die Lieblingsplattform der rechten Szene. Spätestens mit der Coronapandemie schossen die Follower-Zahlen ihrer Accounts in die Höhe
    Der Messengerdienst Telegram ist so etwas wie die Lieblingsplattform der rechten Szene. Spätestens mit der Coronapandemie schossen die Follower-Zahlen ihrer Accounts in die Höhe Foto: stock.adobe.com/AZ

    Als Lutz Hoffmann am 13. Februar einen Anruf auf seinem Handy entgegennimmt, fängt sein Herz an zu rasen. „Es ist ein Unglück passiert, fahr mal nach Hause“, sagt eine unbekannte Stimme am anderen Ende der Leitung. Was damit gemeint ist, wird ihm schnell klar. Kurz zuvor hatte Max Schreiber, ein wegen Körperverletzung verurteilter Rechtsextremist der Kleinstpartei „Freie Sachsen“, auf dem Messengerdienst Telegram Hoffmanns Privatadresse und Telefonnummer veröffentlicht.

    Hoffmann – Anfang 40, dunkle Haare – ist Stadtbezirksbeirat in Dresden und tritt für die SPD als Kandidat bei den Landtagswahlen an. Anfeindungen aus der rechten Szene ist er gewohnt. „Aber das hatte eine neue Dimension“, sagt er heute. „An diesem Tag war meine Freundin mit den Kindern bei mir zu Hause.“ Direkt nach dem Anruf wählt Hoffmann den Notruf und fährt zu seiner Wohnung. Als er dort ankommt, stehen vier schwarz gekleidete Männer vor dem Haus. „Sie sind zum Glück gegangen, als sie mich erkannt haben“, sagt er. „Meiner Freundin und den Kindern ging es gut.“ Trotzdem sei der Vorfall beängstigend gewesen – und keine Ausnahme. „Rechtsextreme nutzen ihre Reichweite auf Telegram gezielt, um uns und andere demokratische Politikerinnen und Politiker einzuschüchtern“, sagt Hoffmann.

    Wie Rechtsextreme Telegram im Wahlkampf und der Politik nutzen

    Tatsächlich ist der Messengerdienst Telegram so etwas wie die Lieblingsplattform der rechten Szene. Spätestens mit der Coronapandemie schossen die Follower-Zahlen ihrer Accounts in die Höhe. Dabei geht es der Szene auf der Plattform – anders als beispielsweise bei TikTok oder Instagram – nicht so sehr darum, neue Mitglieder zu gewinnen. Vielmehr ist Telegram ein Instrument, um die eigene Gefolgschaft aufzuwiegeln – und um die Finanzierung der Szene zu sichern.

    Grund dafür ist zunächst einmal der Aufbau der App. Telegram ist ein Messengerdienst, ähnlich wie beispielsweise WhatsApp. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass Telegram schon lange auch offene Kanäle erlaubt, denen jeder beitreten kann. So können einzelne Nutzerinnen und Nutzer mit ihren Nachrichten viele Menschen auf einmal erreichen. Vor allem, weil einzelne Nachrichten meist in viele andere Kanäle weitergeleitet und geteilt werden.

    Trotzdem: Verglichen mit Plattformen wie TikTok ist die Reichweite gering. „Anders als auf diesen Plattformen werden den Nutzern bei Telegram ja keine potenziell interessanten Inhalte von einem Algorithmus ausgewählt“, sagt der Politikwissenschaftler Johannes Kiess. Er forscht an der Universität Leipzig zu rechten Aktivitäten auf Telegram. „Der fehlende Algorithmus macht es schwieriger, neue Menschen zu erreichen“, erklärt er. „Wer auf Telegram den Kanälen der ‚Identitären Bewegung‘ oder den ‚Freien Sachsen‘ folgt, hat gezielt danach gesucht und schon zuvor ein Interesse daran gehabt.“

    Wie Telegram mit Hetze auf seinen Kanälen umgeht

    Umgekehrt heiße das aber auch: Diejenigen, die die Beiträge rechter Gruppen auf Telegram lesen, haben sich ein bereits radikalisiert oder sind zumindest offen für rechte Inhalte. Und genau diese Menschen wollen die Gruppen der rechten Szene auf Telegram mobilisieren. So rufen Bewegungen wie die Freien Sachsen oder die rechtsextreme Identitäre Bewegung dort regelmäßig zu Demonstrationen beispielsweise gegen den Bau von Geflüchtetenheimen auf. Oder eben zur Hetze gegen politische Gegner. Denn dass Telegram Inhalte löscht, kommt nur selten vor – egal, wie extremistisch sie sind.

    Das bekommt im aktuellen Wahlkampf nicht nur Lutz Hoffmann zu spüren. Auch Mitglieder anderer Parteien klagen über Anfeindungen aus der rechten Szene. Zum Beispiel Lisa Thea Steiner, die in Sachsen für die Linke antritt. In ihrer Jugend stand sie selbst der rechten Szene nahe. Das macht sie zu einem besonders beliebten Ziel für Rechtsextremisten wie Max Schreiber, der auch die Privatadresse des SPD-Politikers Hoffmann auf Telegram veröffentlicht hatte. Schreiber gehört zu den prominentesten Figuren der „Freien Sachsen“.

    Im Juni wurde er bei den Kommunalwahlen sowohl in den Kreisrat des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge als auch in den Stadtrat von Heidenau gewählt. Kurz nach seiner Wahl verurteilte ein Gericht den früheren NPD-Mann zu einer Bewährungsstrafe.

    Schreiber nutzt vor allem Telegram, um gegen Andersdenkende zu agitieren. Mehr als einmal landeten auf seinem Kanal auch Fotos von Lisa Steiner. „Ich empfinde das als Bedrohung, wenn ein verurteilter Straftäter Fotos von mir auf Telegram postet“, sagt sie. „Außerdem erreichen Screenshots dieser Nachrichten auch meine Familie, die sich ohnehin schon Sorgen um mich macht.“

    Wahlkampf in Sachsen und der Umgang im Rechtsextremen

    Steiner versucht ihre Familie so gut es geht aus ihrem öffentlichen Leben herauszuhalten. Ihre Tochter begleitet sie zwar häufig zu Demonstrationen, dort laufen die beiden aber immer einige Meter voneinander entfernt. „Sonst landen am Ende noch Fotos von ihr in diesen Telegramgruppen.“ Und wenn sie auf Instagram Storys oder Fotos von ihren Wahlkampf-Ständen teilt, dann immer zeitversetzt. „Es ist mir wichtig, dass die Leute nie genau wissen, wo ich gerade bin.“ Denn es kam in der Vergangenheit durchaus vor, dass Wahlkampfhelferinnen und -helfer angegriffen wurden. Erst Ende Juli beispielsweise bedroht ein Mann Steiners Team mit einer Machete. Sie sollten sich „verpissen“, sonst hacke er ihnen den Kopf ab, droht er. Das Team muss fliehen. „Es ist immer nur eine Frage der Zeit, bis wirklich mal einem die Sicherungen durchbrennen“, sagt Steiner heute.

    Doch auch wenn die Freien Sachsen zu den reichweitenstärksten Accounts der Szene gehören: Das Phänomen reicht weit über den Wahlkampf in Sachsen hinaus. Ein besonders extremes Beispiel aus Bayern ist das „Kollektiv Zukunft schaffen, Heimat schützen“, das der Verfassungsschutz als rechtsextreme Gruppierung „mit einer ideologischen Nähe zum Neonazismus“ führt. In ihrem Kanal ruft die Gruppe beispielsweise dazu auf, Deutschland müsse sich von Jüdinnen und Juden „komplett befreien“. In einer anderen Nachricht heißt es: „Mach dich frei, werde arisch.“ Beide Beiträge sind noch immer online zu finden. Die Abonnentinnen und Abonnenten des Kanals reagieren auf die Nachrichten häufig mit Herzchen oder Blitz-Emojis, die an die Sigrunen der SS erinnern.

    Das Kollektiv ruft aber auch regelmäßig zu Protesten gegen Geflüchtetenunterkünfte auf. So zum Beispiel im fränkischen Zapfendorf, wo Teile der rechten Szene vor zwei Jahren eine Gemeinderatssitzung störten. Der Bayerische Rundfunk berichtete damals von „tumultartigen Szenen“, einige der Störer sollen gar gedroht haben, das Haus des Bürgermeisters anzuzünden.

    Der Verfassungsschutz beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. Die Gruppen versuchten systematisch Ablehnung gegenüber Geflüchteten oder deren Unterbringung anzufachen. „Dabei werden oftmals tatsächliche oder angebliche Straftaten von Flüchtlingen oder Personen mit Migrationshintergrund im Rahmen der Agitation aufgegriffen.“

    Rechtsextreme Demonstrationen in Bayern und Schwaben

    Abgrenzungen zwischen extremistischen Gruppen und der AfD gibt es dabei kaum. So demonstrierten im vergangenen Jahr beispielsweise Mitglieder der Jungen Alternative gemeinsam mit Anhängern der rechtsextremen Identitären Bewegung gegen eine Geflüchtetenunterkunft in Holzheim (Landkreis Dillingen). Zuvor hatten die beiden Gruppen auf Telegram für die Veranstaltung geworben. „Obwohl die Identitäre Bewegung und die Junge Alternative im Raum Schwaben traditionell eng verbunden sind, ist eine derart offene Kooperation ein Novum“, schreibt die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus über den Fall. Einige der Teilnehmer seien mehr als 100 Kilometer angereist.

    Forscher wie Johanes Kiess beobachten aber auch eine zunehmende Professionalisierung in der Art, wie die Gruppen Medien auf Telegram teilen. „Das liegt auch daran, dass sich in der rechten Szene Organisationen und kleine Unternehmen bilden, die die Gruppen dabei unterstüzen“, sagt er. Ein Beispiel: das „Filmkunstkollektiv“. Dahinter verbergen sich Aktivistinnen und Aktivisten, die professionelle Videos beispielsweise von Protesten der Identitären Bewegung drehen und sie dann auf Telegram verbreiten. Daran beteiligt ist unter anderem eine Aktivistin der Identitären Bewegung aus dem Raum Augsburg. Aktuellstes Projekt der Gruppe: ein 100-minütiger Image-Film über den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke.

    Doch diese Projekte kosten Geld. Um Filme oder aufwendige Protestaktionen zu finanzieren, ist die Szene auf Spenden angewiesen. Spenden, die sie über Telegram eintreibt. Gerade weil auf Telegram vor allem treue Anhänger der Szene aktiv sind, bitten Organisationen wie beispielsweise die Identitäre Bewegung dort besonders offensiv um Untersützung. Und das mit Erfolg.

    Mehr als 250.000 Euro haben Rechtsextremisten in den vergangenen Jahren auf diese Weise eingenommen. Das berichtet das Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) – ein Berliner Thinktank, der die Aktivitäten der rechten Szene in Deutschland beobachtet und analysiert. Für ihre Untersuchung haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr als 400 Telegram-Kanäle untersucht. Alleine Aktivisten der Identitären Bewegung haben auf diese Art und Weise fast 140.000 Euro gesammelt.

    Telegram wird immer wieder mangelnde Kontrolle vorgeworfen

    Dabei hatte sich das Bundesinnenministerium bereits 2022 das Ziel gesetzt, rechte Gruppen finanziell „austrocknen“ zu wollen. Nur passiert ist bisher wenig. Das liegt auch daran, dass Telegram kaum mit Sicherheitsbehörden kooperiert – weder bei der Unterbindung von Finanzströmen, noch bei Hetze und Beleidigungen. „Der Austausch auf Telegram wird seitens des Messengerdienstes weiterhin kaum kontrolliert, sodass verfassungsfeindliche Agitation in der Regel nicht zu einer Sperrung oder Löschung von Accounts führt“, schreibt dazu das Landesamt für Verfassungsschutz in Bayern. In Frankreich scheinen die Behörden nun mit deutlich mehr Nachdruck gegen Telegram vorzugehen. Dort wurde am Wochenende Telegram-Chef Pavel Durow verhaftet. Der Vorwurf: Er unternehme zu wenig gegen Straftaten auf der Plattform. Durow selbst streitet das ab.

    Wurde in Frankreich festgenommen: Telegram-Chef Pavel Durow.
    Wurde in Frankreich festgenommen: Telegram-Chef Pavel Durow. Foto: Tatan Syuflana, dpa

    Für diejenigen, die Ziel dieser Anfeindungen werden, ist die mangelnde Kooperation durch Telegram frustrierend. „Wenn ich eine Plattform zur Verfügung stelle, muss ich auch wissen, was darauf passiert“, sagt die sächsische Linken-Kandidatin Lisa Thea Steiner. „Aber auch der Staat hat es verschlafen, da mit der entsprechenden Härte gegen die Betreiber vorzugehen.“

    Auch SPD-Mann Lutz Hoffmann fordert strengere Bestimmungen gegen Netzwerke wie Telegram. „Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber in diesen Fällen geht es ja nur darum, politische Gegner einzuschüchtern“, sagt er. „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, vor allem nicht in großen Abonnentenkanälen.“

    Einschüchtern lassen will der SPD-Kandidat aus Sachsen sich von den Nachrichten nicht. „Diesen Gefallen dürfen wir den Rechtsextremen nicht tun“, sagt er. „Wenn wir jetzt aufhören, deshalb öffentlich aufzutreten oder in den sozialen Medien Wahlkampf zu machen, dann wachen wir bald in ganz dunklen Zeiten auf.“

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