Die Proteste im Iran gegen die Religionspolizei und den Kopftuch-Zwang entwickeln sich zu einer Kampfansage an das Regime. Aktivisten veröffentlichten Videos von Demonstranten, die in der Provinzhauptstadt Sari nordöstlich von Teheran ein Regierungsgebäude einnahmen und ein Bild von Staatsgründer Ajatollah Ruhollah Khomeini zerrissen.
Bei anderen Protestzügen riefen Teilnehmer „Tod dem Diktator“, eine Parole gegen den derzeitigen Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei. Die Regierung antwortete mit Gewalt: Bis Mittwoch starben mindestens acht Menschen. Teheran wirft dem Westen vor, die Proteste organisiert zu haben.
Auslöser der regierungsfeindlichen Demonstrationen war der Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini vorige Woche. Die junge Frau war in der Hauptstadt Teheran von der Religionspolizei festgenommen worden, weil ihr Kopftuch nicht den strengen Vorschriften der Islamischen Republik entsprach. Amini wurde nach Angaben ihrer Familie von den Polizisten verprügelt. Sie fiel in ein Koma und starb am Freitag. Die Regierung versprach eine Untersuchung; Khamenei schickte einen Berater zu Aminis Familie. Gleichzeitig erklärten die Behörden aber, die junge Frau sei nicht geschlagen worden, sondern an Herzversagen gestorben.
Besonders heftig tobten Straßenschlachten in der kurdischen Heimat Aminis
In Aminis kurdischer Heimat und in der nordwestlichen Provinz West-Aserbaidschan erschossen Sicherheitskräfte bei Protesten gegen die Regierung nach Angaben von Aktivisten fünf Menschen. Mehrere hundert weitere Demonstranten seien verletzt worden, teilte die Exil-Menschenrechtsorganisation Hendaw in Norwegen mit. Nach Angaben der Behörden starben zwei weitere Menschen bei Zusammenstößen in Kermanshah; im südiranischen Shiraz wurde ein Polizist getötet. Proteste brachen auch in der Hauptstadt Teheran und in anderen Städten aus.
Die Führung der iranischen Theokratie wurde von der Wucht der Proteste offenbar überrascht. „Das Regime hatte nicht erwartet, dass der Tod einer Normalbürgerin aus der Provinz einen landesweiten Aufstand auslösen würde“, sagte der Iran-Experte Ali Fathollah-Nejad von der FU Berlin unserer Redaktion. In der Vergangenheit habe die Regierung versucht, manche Proteste zu „ethnisieren“, sagte er; Aminis Volksgruppe der Kurden, die etwa zehn Prozent der mehr als 80 Millionen Menschen im Iran stellt, fühlt sich im Iran häufig diskriminiert. Diesmal seien die Demonstranten aber in ihrem Engagement für Menschen- und Bürgerrechte geeint, sagte Fathollah-Nejad. Auch seien Mitglieder der städtischen Mittelschicht und der ärmeren Schichten, die bei früheren Protesten von der Regierung gegeneinander ausgespielt worden seien, diesmal gleichermaßen empört über den Tod der jungen Frau.